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It's all over now, Lola Blau

■ Georg Kreislers Musical für eine Schauspielerin in der Vagantenbühne

Sie ist jung, hübsch, und sie kann singen. Auf Lola Blau scheint eine große Karriere als Bühnenstar zu warten, wäre sie, wie ihr Zeitgenosse Adolf Hitler, einfach österreichisch und nicht auch noch Jüdin. Als das Donauland 1938 von deutschen Truppen annektiert wird, ist mit dem ersten Gastspielvertrag am Landestheater Linz auch Lolas Zukunft zu Hause dahin. Daß die junge Wienerin sich für Politik nur wenig interessiert, bewahrt sie nicht vor dem Auftrittsverbot. Eine abenteuerliche Flucht führt den Star — stets ein Lied auf den Lippen — quer durch Europa, bis die Blau in den Vereinigten Staaten in die Clubs gerät.

An fünfzehn von Funzeln erhellten, mit roten Deckchen versehenen Kaffeehaustischen sitzen stark parfümierte Menschen mittleren Alters. Die Frauen auf den Plastestapelstühlen sind frisch paniert, die Männer haben schütteres Haar. Dahinter stehen fünf Sitzreihen für das einfache Volk, dort, wo die Bedienung nicht mehr serviert. Besser — als auf die authentisch gewöhnliche Erscheinung des Berliner Premierenpublikums zu setzen — hätte der Bühnenbildner die stickige Atmosphäre eines Nachtclubs in der Vagantenbühne nicht nachbauen können.

Vom Foyer her tritt der Star des Abends auf. Rothaarig und mit großem Lächelmund — vom Spot bis zur kleinen Bühne verfolgt —, begrüßt die Sängerin im kleinen Schwarzen ihre Gäste. Als sie zur Klavierbegleitung zu singen anhebt, schweigt auch der aufgeregte Herr mit grauem Haar und Brille, der eine junge Rezensentin mit seinem Smalltalk — neueste Tendenzen der Theaterdramaturgie betreffend — zu belästigen sucht.

Die Schau beginnt langsam. Rita Feldmeier — so mag auch Lola Blau mit bürgerlichem Namen geheißen haben — kommt bei der musikalischen Nacherzählung zunächst nicht recht in Fahrt. Mal zu laut, mal mit zu schwacher Stimme bleiben Kreislers Lieder für sich stehende, einzelne Nummern — wie zufällig für diesen Bühnenabend zusammengestellt.

Und wirklich entstand Heute abend: Lola blau als Versuch, die zu verschiedenen Zeiten entstandenen Songs mit einer Szenenfolge zusammenzufügen. Georg Kreisler, der Komponist zahlreicher Chansons — am bekanntesten ist Gehn'n ma Taub'n vergiften im Park —, beschreibt damit seine eigene Geschichte. Als 15jähriger erlebte er den Einzug der Wehrmacht in Wien: »Mir und meinen Eltern, die wir alle in Wien geboren waren, wurde von einem Tag auf den anderen erklärt, wir seien keine Österreicher, sondern Ungeziefer, das ausgerottet werden muß.«

Doch was betroffen machen soll, wirkt hölzern. Auf Lolas Jungmädchenträume von der Schauspielerei — »Im Theater ist was los / man ficht mit dem Degen / tötet die Kollegen / und wird von der Zeitung dafür gelobt« — folgt eine Propagandarede zur Annexion Österreichs und die melancholische Ernüchterung, zwei Lieder später, nach Hitlers Kriegserklärung. Harmlose Szenen zwischen den Songs zeigen das Verwandlungstalent von Frau Feldmeier, doch die meisten, mit eingespielten Tonaufnahmen hergestellten, Übergänge sind dramaturgisch so bieder wie Frau Schmidt, die Georg Kreisler als Prototypen verlogener Behaglichkeit durch den Kakao zieht: »Hätt' ich damals den Goldstein genommen / wär' ich sicher nach Amerika gekommen / Doch Papa war Antisemit / Und so bin ich nur die Frau Schmidt.«

Von dem Moment an, als die Zimmerwirtin Lola mit dem schweinösen Charme einer vom Sachzwang Gebeugten vor die Tür setzt, weicht die Naivität der Heldin Kreislers bitterem Spott. So zieht die Blau auf der Schiffsreise nach Amerika in »Beruf: Dame« über die feine Gesellschaft an Bord her: »Ich seh' den Swami in Miami / und treff' den Emir in Kuwait / doch Kuwait zu weit.« Das Schicksal als Trällertrine, das sie in den USA ereilt, illustriert Feldmeier mit Kreislers Frühwerk, ziemlich braven, in englischer Sprache getexteten Songs.

Nach dem Krieg kehrt die Künstlerin nach Europa zurück, um festzustellen, daß weder der Antisemitismus noch der schlechte Geschmack verschwunden sind. Bei dem Potpourri aus Versatzstücken von Theaterklischees — »Wie, zu wenig Paris? Das haben wir gleich: l'amouur...« — am Ende der zweistündigen Schau gibt es beim Publikum kein Halten mehr: Frau Feldmeier ist eine Stimmungskanone. Zwar trifft sie leise Töne nicht so gut, aber wer will die auch schon hören? Stefan Gerhard

Lola Blau : Dienstags bis Sonntags um 20.00 Uhr in der Vagantenbühne, Kantstraße 12a, Berlin 12.

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