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Die lebenden Toten

■ Beim TSC gab Walle Bremen seine Abschiedsgala

Lichtenberg. So viele Zuschauer wie am Samstag möchte mancher Zeitgenosse gerne auf seiner Beerdigung begrüßen können. In dichten Scharen drängten die EnthusiastInnen in die Lichtenberger Anton-Saefkow-Sporthalle zum Pokal-Viertelfinale der Handball- Frauen zwischen dem TSC Berlin und TuS Walle Bremen.

Die einen wollten ihren TSC in die Endrunde jubeln, andere Besucher wiederum nutzten die wohl letzte Gelegenheit, um eine Bremer Frauschaft der Sonderklasse zu erleben. Gemeinsam mit dem TV Lützellinden oder SC Leipzig prägte der norddeutsche Emporkömmling die Frauen-Handarbeit der jüngsten Vergangenheit. Doch letztlich stolperte Bremen, das Team aus dem vermeintlich weltmännischen Hanseörtchen, über eine simple Familienaffäre.

In den achtziger Jahren entdeckte ein Pfeffersack namens Volker Brüggemann, daß seine Tochter halbwegs passabel mit dem ledernen Wurfgeschoß hantieren konnte. Also kaufte der stinkreiche Warenterminhändler um seinen Augapfel herum einen Spitzenkader zusammen — vornehmlich aus dem Osten Europas. Der märchenhafte Aufstieg des Turn- und Sportvereins Walle begann. Nur auf Papis Geldbeutel schwebte Fräulein Brüggemann nebst Spielkameradinnen von der tristen Nordseeliga bis in die bundesdeutsche Eliteklasse — bis der Erzeuger einsah, urplötzlich einsah, daß es mit der töchterlichen Handballkunst doch nicht allzuweit her war. Der Haltbarkeitstermin der Ware Tophandball „made in Bremen“ ist für Sponsor Brüggemann Ende der aktuellen Saison abgelaufen. Nächstes Spieljahr dürfte die Bremer Bäckerinnung der richtige Ansprechpartner für TuS Walle sein — weil dann dem siegverwöhnten Publikum an der Weser wieder kleinere Brötchen serviert werden.

Doch Totgeglaubte leben länger. Vor allem, wenn sie vom Geiste der Marktwirtschaft beseelt sind — wie am Samstag die Bremerinnen. Falls der alte Brötchengeber aussteigt, dann müssen wir uns in Berlin wenigstens für einen neuen gutdotierten Arbeitsplatz empfehlen, dachten sich die Hanseatinnen. Prompt erzielten sie gegen den düpierten TSC Berlin nach wenigen Spielzügen das 1:0, eine Führung, die Walle das gesamte Spiel über nicht mehr hergeben sollten.

Wie sich die chloroformiert wirkenden Einheimischen auch anstrengten — Walle waltete unter den Augen von Bundestrainer Heinz Strauch nach Herzenslust. Allein Marina Basanova sowie Cordula David, die zusammen 16 Treffer ansetzten, spielten die TSC-Abwehr nach Belieben aus. Zu ihrer Entlastung zeigte sich schon bald, daß die sonstigen TSC- Säulen Evelyn Hübscher und Josefine Grosse in der Offensive nicht ihren besten Tag erwischt hatten. Als dann auch noch die Berliner Scharfschützin Olga Sekulic nach ihren drei Anfangserfolgen in eine wirksame Fraudeckung genommen wurde, hatten die Lichtenbergerinnen ihr Pulver verschossen.

Erstaunt nahmen die rund 400 Zuschauer zur Kenntnis, daß die Gäste nach einer 12:10-Führung bei Halbzeit nicht mehr aus ihrer allseitig entwickelten Überlegenheit machten. Gegen Ende der Partie vergaben sie sogar mehrmals freistehend vor Berlins Torfrau Ute Vetter.

Schließlich reichte dem TuS Walle Bremen aber ein 24:20-Sieg über den TSC Berlin — nicht nur, um ins Pokal-Halbfinale des Deutschen Handball-Bundes einzuziehen. Wie hinter den Kulissen der Anton-Saefkow-Sporthalle zu vernehmen war, will Geldmacher Volker Brüggemann nun doch noch einmal seinen Rücktritt überdenken. Sollte die werbewirksame Topleistung der TuS-Handballerinnen etwa völlig umsonst gewesen sein? Jürgen Schulz

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