: Angestrengte Schönheit
■ David Byrne haßt schmutziges Geschirr. Er will nicht älter werden. Und schon gar nicht darüber nachdenken. Mit dem Kopf und Körper der Talking Heads sprach in Hamburg Christoph Becker.
Christoph Becker: Was sehen Sie, wenn Sie in New York aus Ihrem Küchenfenster blicken?
David Byrne: Die Sporthalle der New York University. Kein besonders schöner Anblick, ein häßliches Zweckgebäude. Aber wenn ich den Blick ein wenig zur Seite wende, sehe ich ein wunderschönes altes Haus, das von allen Leuten bloß das Cable Building genannt wird. Es wurde gebaut, als das erste transatlantische Kabel verlegt wurde. Zumindest ist das meine Interpretation des Namens und der Zeit, aus der es stammt.
Sie sind viel auf Reisen. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Ich weiß es nicht.
Wo ist Ihre Plattensammlung?
Ich habe nicht viele Platten. Die meisten sind im Büro meiner kleinen Plattenfirma Luaka Bop. Die anderen versuche ich schnell loszuwerden. Mich bindet nichts an Platten.
Wo wohnt Ihre Familie, Ihre Frau und Ihre kleine Tochter Malu?
Zur Zeit sind sie in New York.
Fühlen Sie sich dort nicht zu Hause?
Manchmal.
Ist Musik für Sie eine Möglichkeit, Ihre Unfähigkeit, mit fremden Menschen zu kommunizieren, auszudrücken und Ihre Schüchternheit und Wortlosigkeit in Kreativität umzuleiten?
Ja, ich glaube schon.
Vielleicht sollten wir das Interview dann singend fortsetzen?
Ich glaube, das würde mir nicht helfen.
Warum nicht?
Weil es in einem Interview nicht um Musik, sondern um das Geschäft geht. Die Situation ist schwierig für mich.
Aber selbstgewählt.
Ja, das stimmt. Ich will Platten verkaufen und Geld verdienen, und dazu gehört im Geschäft mit der Musik auch Promotion. Doch mein Beruf ist Musiker und nicht Geschäftsmann. Meine musikalischen Interessen und Vorlieben haben sich nicht geändert, nur weil ich mir, seitdem ich eine eigene kleine Plattenfirma besitze, über die geschäftliche Seite mehr Gedanken mache.
Sie sind Popmusiker. Sie verdienen und verkaufen sich via Fotos, Plattencover, TV, Videos, über Bilder. Sie haben ein Image. Und dieses Image ist immer an eine Person gebunden; in diesem Fall Sie. Wenn Sie das nicht wollen, dürfen Sie keine Popmusik machen.
Natürlich mache ich Popmusik, um mit Rollen, Masken und Images zu spielen. Das Spiel gefällt mir auch mit meinen vierzig Jahren noch. Trotzdem bin ich diese Künstlichkeit machmal leid und versuche auszubrechen. Ich bin, glaube ich, ziemlich sprunghaft.
Ich glaube, es schlagen zwei Herzen in Ihrer Brust: Einerseits das Interesse an Pop-Phänomenen, dem Massen-Appeal. Das drückt sich aus in Ihrer Arbeit mit den Talking Heads, einem Film wie „Stop Making Sense“ und auch in Ihrer neuen, sehr zugänglichen Platte „Uh-Oh“. Andererseits der Wille zur konzeptionellen Kunst. Wie Ihre Verbindungen zu frühen Dada- Künstlern, ein Film wie „True Stories“ oder eine Platte wie „The Forest“ zeigen, deren Musik Sie für eine Robert Wilson-Inszenierung geschrieben haben. Zwischen diesen beiden Polen pendeln Sie und können oder wollen sich nicht entscheiden: zwischen Massenpopularität und künstlerischer Befriedigung.
Das ist richtig. Ich möchte beides. Und habe auch beides. Ich könnte aber nicht sagen, in welche Richtung ich mich demnächst entwickeln werde. Das hängt von den Möglichkeiten, auch den finanziellen, und den Angeboten ab. Das Theaterstück The Forest von Robert Wilson und die dazugehörige Musik von mir trafen nur deshalb zusammen, weil die Stadt Berlin den Auftrag erteilt und das nötige Geld zur Verfügung gestellt hatte. Robert Wilson sprach mich eines Tages an und ich gab ihm die Bänder mit der Musik, die ich schon vor einiger Zeit komponiert und eingespielt hatte. So kam es schließlich zu The Forest. Meine persönlichen Antriebskräfte sind eher gering. Ich warte, bis mir ein interessantes Thema über den Weg läuft oder angeboten wird. Zufällig.
Aber wenn Sie die Tonbänder für „The Forest“ bereits fertiggestellt hatten, bedeutet das doch, daß Sie auch jenseits von bestimmten Projekten arbeiten, Ideen sammeln und sogar formulieren?
Das tue ich. Ich nehme vieles auf, sammle Ideen, gehe ins Studio oder notiere meine seltenen Geniestreiche; auch ohne Anlaß. Doch zu einem konkreten Ereignis, zu einem Projekt, einer Platte oder einem Film kommt es meistens erst durch die Angebote anderer.
Was haben Sie in der näheren Zukunft vor?
Ich war mehrere Monate lang in Indien und habe mich dort mit indischer Filmmusik beschäftigt. Auf meinem Label Luaka Bop wird demnächst eine Platte mit verschiedenen Filmhits erscheinen.
Wie sind Sie auf diese Musik gekommen?
Yale Evelev, mit dem zusammen ich Luaka Bop leite, hat diese Musik auf einer Reise durch Indien gehört, ein paar Cassetten gekauft und mir dann zu Hause in New York vorgespielt.
Was hat Sie an dieser Musik fasziniert, daß Sie gleich mehrere Monate nach Indien gereist sind und nun eine Platte veröffentlichen?
Was ich an dieser Musik mag, ist ihre absolute Achtlosigkeit gegenüber jeglicher musikalischen Konvention. Diese Musik wechselt zwischen Rap, indischem Liebesgesang und Country & Western — alles innerhalb eines Stückes. Ich konnte nur noch „Wow“ sagen, als ich das gehört habe. Diese Musik integriert alles, was in der Luft liegt. Das ist lebendig.
Mögen Sie die indischen Filme, aus denen die Musik stammt?
Ja, sie unterhalten. Sie erinnern mich an frühe Hollywood-Filme. Nur hat irgendjemand den Lautstärkeknopf irrwitzig aufgedreht, das Tempo dieser Filme ist enorm, ständig gibt es Tanz und Gesangseinlagen. Ich mag diese gedankenlose Geschwindigkeit. Auch wenn natürlich diese Filme im Westen oft als unseriös oder oberfächlich betrachtet werden. Doch damit versucht man gar nicht erst den Grund ihrer Existenz zu verstehen. Sie sollen bloß unterhalten.
Das hat Ihnen doch sonst nie genügt?
Nein, aber die angestrengte westliche Vorstellung von Schönheit genügt mir auch nicht mehr. Ich versuche die verschiedenen Extreme auszuloten.
Haben Sie noch Kontakt mit Brian Eno, Arto Lindsay, Laurie Anderson, der New Yorker Künstlerszene, aus der auch die Talking Heads gewachsen sind?
Unterschiedlich. Arto Lindsay sehe ich ziemlich häufig, da wir einen ähnlichen Freundeskreis haben. Brian Eno habe ich das letzte Mal vor einem Jahr getroffen. Dadurch, daß ich nicht mehr New York als meinen musikalischen Mittelpunkt betrachte, viel reise und mit vielen Musikern aus verschiedenen Ländern arbeite, habe ich ein wenig den Kontakt zur New Yorker Szene verloren. Die Clubs wie das CBGB, in denen wir zu Hause waren, haben ihre Bedeutung verloren. Heute passiert eine Menge in der Knitting Factory. Musiker wie John Zorn oder Bill Frisell stehen dort im Mittelpunkt. Ich kenne zwar die meisten, gehöre jedoch nicht dazu. Außerdem bin ich nicht mehr häufig nachts unterwegs. Ich fühle nicht mehr den Zwang, ständig auf dem Laufenden zu sein.
Welches Buch lesen Sie gerade?
Das Tibetanische Buch des Todes.
Haben Sie es in Indien gekauft?
Nein, irgendwie ist es in unsere Wohnung in New York geraten. Ich habe es einfach gefunden.
Ihre neue Platte „Uh-Oh“ erinnert wieder deutlich an die Talking Heads. Und das, wo sich die Band gerade aufgelöst hat. Ist das Ihre posthume Rache?
Auf keinen Fall. Wozu Rache, wir haben uns doch nicht im Streit getrennt...
Auf keinen Fall. Wozu Rache, wir haben uns doch nicht im Streit getrennt...
Darüber kann man auch anderes lesen. Ihr ehemaliger Kollege Chris Frantz hat gesagt, daß er es leid sei, von Ihnen bloß als eine Art Türvorleger benutzt zu werden.
Das ist schon einige Zeit her. Jetzt gab es keinen konkrekten Grund zur Trennung. Aber auch keinen Grund weiterzumachen. Was meine neue Platte angeht, hatte ich plötzlich wieder Lust, mich in meine Vergangenheit zurückzuarbeiten. Das heißt nicht, daß die Stücke retrospektiv angelegt sind. Ich wollte nur eine schlüssige Verbindung meiner verschiedenen Einflüsse. Es gibt keine so starke Dominanz südamerikanischer Elemente, wie auf meinem letzten Solo-Album Rei Momo.
Das Cover Ihrer neuen Platte ist, gelinde gesagt, eigenwillig. Sphärische Engelsgestalten umrahmen einen schweren, ehrwürdigen Stuhl, auf dem ein kleiner weißer Hund sitzt, der Walt Disney's Comicwelt entsprungen zu sein scheint. Wo steckt die Metapher?
Wenn man das Wort „dog“ umdreht, wird „god“ daraus. Ich mag diese Art von Humor.
Mich erinnert das, ebenso wie der Titel „Uh-Oh“, an Ihre früheren Dada-Referenzen. Den Schweiger Hugo Ball, der Anfang dieses Jahrhunderts zu den Vordenkern der Dada-Bewegung zählte, erwähnen Sie auf der dritten Talking Heads- Platte „Fear Of Music“ sogar als Co-Komponisten des Songs „I Zimbra“. Sehen Sie sich in einer Tradition? Sind Sie ein geheimer Dadaist?
Ein wenig, manchmal. Ich sehe den Einfluß aber weniger auf meinen Pop-Platten wie Uh-Oh, sondern eher auf einer Platte wie The Forest. Oder über die Compilation, die ich mit der Musik von Tom Ze, einem brasilianischen Musiker, zusammengestellt habe. Auf der Platte ist ein Stück namens Um Oh! E Um Ah!, das sehr dadaistisch ist. Ich klaube meine Ideen wie das Cover oder den Titel von Uh-Oh zusammen. Ihr Zusammenhang wird definiert durch meine gesamte Arbeit; Pop und Avantgarde, Brasilien und Indien, Luaka Bop und die Talking Heads.
Auf „Monkey Man“, einem Stück Ihrer neuen Platte, beschreiben Sie einen Mann, der aus dem Krieg zurückkommt, sein Land sieht und bemerkt, daß sich die Evolution umgekehrt hat. Damit greifen Sie ein Thema auf, das in Ihrem künstlerischen Output immer wieder auftaucht: Zivilsation gegen Primitivismus.
Das Problem an diesem Thema beginnt schon auf der sprachlichen Ebene. Das Wort Primitivismus suggeriert Unterlegenheit. Doch schon auf der musikalischen Ebene erkennt man, daß sogenannte primitve Kulturen wie in Afrika hochkomplexe Musik geschaffen haben.
Aber ähnlich wie Hugo Ball und die ersten Dada-Poeten, die während des Ersten Weltkriegs mit ihren Gedichten die ultimative menschliche Barbarei reflektierten und sich bewußt von sogenannten zivilisierten Wortstrukturen abwandten und afroamerikanische Ragtime-Rythmen verarbeiten, haben Sie seit dem Beginn Ihrer Karriere und mit Alben wie „My Life In The Bush Of Ghosts“ afrikanische Musik verarbeitet und anglo-amerikanischer Musik gegenübergestellt. Was man als Ausdruck des schwärenden Konflikts zwischen Nord und Süd, Erster Welt und Dritter Welt werten könnte. War das Ihre Intention?
Im Nachhinein könnte man einiges so interpretieren. Doch als die Musik entstand und wir Platten wie My Life in the Bush of Ghosts einspielten, haben wir aus einem bloßen Interesse heraus gearbeitet und mit der Sicherheit, etwas Faszinierendes entstehen zu lassen. Die historische Dimension war uns natürich nicht bewußt. Aber wie ich bereits sagte, entsteht meine Musik in Zusammenhängen und mein Interesse für Dada wie für afrikanische Polyrhythmik ist sicherlich nicht bloß zufällig.
Das Stück „Now I'm Your Mom“ handelt von einer Geschlechtsumwandlung. Spätestens seit der legendären Zeile „Well, I've seen sex and I think it's alright“ gehören Sex und das Männerbild zu Ihren zentralen Themen. Allerdings oft mehr auf einer äußerlichen Ebene. War ihre früher oft strenge, mit männlichen Charakteristika spielende, manchmal beinahe faschistoide Bühnenerscheinung eine Reaktion auf die Androgynität des Punk?
Zunächst einmal ging es uns darum, die damals üblichen Sterotypen der Rockmusik zu vermeiden. Das bedeutete gleichzeitig, mit männlichen Klischees jonglieren zu müssen, da zu dem Zeitpunkt Rock noch deutlich männlich dominiert war.
Sie tragen ein blaues Jeanshemd, schwarze Jeanshosen und Cowboy- Stiefel. Tragen Sie gerade die Maske des Amerikaners auf Urlaub?
Nein, es ist einfach bequem.
Sie sind in Schottland geboren. Sind Sie katholisch erzogen worden?
Nein, meine Familie hat die Kirchenzugehörigkeit recht häufig gewechselt. Für eine Weile waren es die Methodisten, dann die Presbyterianer und als ich zum College ging, konvertierte meine Mutter zu den Unitariern, einer sehr liberalen Kirche.
Ihr Interesse für Candomble, eine afro-brasilianische Regligion, führt Sie aber in eine sehr andere Richtung als Ihre familiäre Sozialisation verspricht.
Genau das reizt mich an Candomble. Es ist eine sehr körperbewußte Religion, mit Tanz als einem zentralen Bestandteil. Im Idealzustand besteht dort kein Gegensatz zwischen Körper und Geist.
Was man bei Ihrer Körpersprache nicht unbedingt behaupten könnte.
Stimmt.
Tanzen Sie gerne?
Ja, aber nicht gut.
Mögen Sie es, älter zu werden und mehr Verantwortung zu übernehmen? Immerhin haben Sie eine Frau und eine zweijährige Tochter.
Ich liebe meine Frau und meine Tochter. Aber ich hasse es, Verantwortung zu übernehmen. Denn das bedeutet leider immer, den Abwasch machen zu müssen.
Das ist nicht Ihr Ernst.
Absolut. Ich hasse schmutziges Geschirr. Ich will nicht älter werden. Ich hasse es, graue Haare zu bekommen. Und ich möchte mir über all das keine Gedanken machen.
Gut. Wann waren Sie das letzte Mal stoned?
Vor sechs Monaten. Ich war bei Freunden und nach dem Essen haben wir Marihuana geraucht. Ein gutes Gefühl. Wieder mal.
David-Byrne-Tour: 29.Mai: Köln/ E-Werk, 30.Mai: Frankfurt/Alte Oper, 31.Mai: Hamburg/Stadtpark, 1.Juni: Berlin/Tempodrom, 29.Juni: München/Luisenkrone
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen