Die Spur führt zu Bernsteins Witwe

„Ozapft ist“: Auf der Suche nach dem Bernstein-Zimmer/ Bauleiter Stadelmann aus Weimar will sich einen Jugendtraum erfüllen und bohrt nach/ Schriftsteller Wolgang Schneider aber weiß mehr  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

Das Aufgebot war beachtlich. Bundeskriminalamt mit Spreng- und Kampfstoffsachverständigen nebst Schnüffelhunden. Bergwerksexperten mit Bohrgerät. Jede Menge bedeutsam blickender städtischer Beamter des mittleren Dienstes und natürlich Legionen von Presseleuten. Die aber mußten draußen bleiben. Vor den Toren des einstigen Weimarer Gauforums, in dessen Orkus man den Nibelungenhort Bernsteinzimmer und andere Raubschätze der Nazis vermutete.

Losgetreten hatte die Aktion Boris Jelzin, der anläßlich seines Deutschlandbesuches behauptete, er habe Informationen über den Aufenthalt jenes verschollenen Weltwunders, das Nazigauleiter Koch 1942 aus einem Leningrader Schloß stehlen ließ. Es befände sich auf dem Territorium der einstigen DDR.

Ganze Heerscharen privater Schatzsucher brachen unverzüglich auf. Zuerst ins Jonasthal bei Arnstadt, wo Hitlers Wernher von Braun noch 1945 die Wunderwaffen V2 hatte bauen lassen. Hier, inmitten eines verlassenen sowjetischen Übungsgeländes, wurde das Bernsteinzimmer vermutet. „Weil“, so ein mit Pickel und Schaufel bewehrter Höhlenmensch, „die Russen doch viel zu blöd sind, so was zu finden.“ Sprach's und tauchte unter in einem Stollen. Wurde erst nach Tagen halbtot aufgesammelt, weil er zu blöde war, den Weg zurückzufinden.

Im Jonasthal war aber dann doch nix, außer gewaltigen Schäden an Natur und Umwelt.

Also ging's stracks weiter nach Weimar. Dort gibt es einen gewissen Bauleiter Stadelmann, der seit seiner Jugend unter dem Gauforum im Herzen der Stadt gewaltige Schätze vermutet. Und dem die Äußerung Jelzins wieder einmal Gelegenheit gab zu sagen: „Hier unter unseren Füßen liegen Berge von Gold, Bernstein und Geschmeiden.“

Auch der Schriftsteller Wolfgang Schneider schloß sich Stadelmanns Meinung an. Er glaubte, in der Aussage des letzten Landeskulturpflegers der Nazis, Dr. Scheidig, gegenüber den Russen und später der Stasi eine offenkundige Lüge gefunden zu haben. Diese Lüge, das war Schneider sofort klar, hatte nur eine Intention: die Fahnder von Weimar abzulenken. Und warum? Natürlich weil die Schätze ebenda gelagert wurden und noch immer dort liegen.

Und nun am Freitag und Sonnabend die Aktion. Eitel Freude im Rundgesicht von Bauleiter Stadelmann, der als einziger Nichtexperte mit vor Ort durfte. Rumpelnd frißt sich das Bohrgerät in meterdicke Betonwände. Das erste Loch. Zischend entweicht original nationalsozialistische Luft aus dem aufgefundenen Raum. „Ozapft ist“, meldet der Bohrgeräteführer gelassen. Eine Spähsonde wird eingeführt. Nichts, außer Schutt.

32mal wird „ozapft“. Überall nichts. Abbruch der Aktion. Das Rundgesicht von Stadelmann ist sehr lang geworden. Aus der Traum vom Lebensabend als Bernsteinmillionär. Schneider dagegen ergeht sich in düsteren Vermutungen. Eine getürkte Sache die ganze Bohrerei. Innerhalb von zwölf Stunden einen Schatz zu finden in solch gewaltigem Gelände? Ausgeschlossen! Reine Augenwischerei, um der Öffentlichkeit den Mund zu stopfen. Dann verweist er auf die amerikanische Schatzsucherfirma Global-Exploration, die sich um die Schürfrechte beworben hatte, sie aber, warum nur, nicht bekam. Deren Experten sind auch vor Ort und haben sich angeblich beim Anblick der veralteten Bohrwerkstechnik und der lumpigen 60.000 Mark, die das Land für die Aktion bereitgestellt hat, ausgeschüttet vor Lachen.

„Es gibt“, so Schneider, „gewisse, mächtige Kräfte im Hintergrund, die Gründe dafür haben, daß jenes Zimmer nicht wieder auftaucht. Die Spur reicht bis Argentinien, hinein in die gerade eröffneten Naziakten.“ Er wird ihnen schon noch drauf kommen, der Schneider, Wolfgang. Ein Buch darüber hat er schon so gut wie geschrieben. Das wird alle Fragen beantworten. Eben bis auf die eine. Wo ist das Bernsteinzimmer?

Mir aber drängt sich immer mehr die so einfache wie geniale Lösung des Rätsels auf. Man muß sofort mit der Witwe von Leonard Bernstein Kontakt aufnehmen. Der Mann hatte, das ist erwiesen, doch auch ein Zimmer und wußte vielleicht gar nicht, daß danach gesucht wird.