VILLAGE VOICE
: Da weiß man, was man hat

■ Mittlerweile mehr Metal als Punk: »B.Y.E.« von Jingo de Lunch

Den früher oft und gerne beschworenen musikalischen Unterschied zwischen Major- und Independent-Labels gibt es so nicht mehr. Inzwischen können die Bands ohne Bedenken zu größeren Firmen wechseln, weil diese gelernt haben, daß die frühere Klientel nur verprellt wird, wenn man versucht, alles und jeden hitparadentauglich zu trimmen. Jingo de Lunch sind schon zum zweiten Mal ein Beispiel für diese Tendenz, gerade weil sie sich auf ihrem inzwischen insgesamt vierten Longplayer B.Y.E. kaum noch verändern. Der Opener ist ein Statement. Yvonne Ducksworth singt: »I've seen Gomonda / Blood on the streets / Dresden Skinheads / Another fascist feat / Hold on to your dreamworld / And space-case the law / Gonna chew you up / And spit you out.« Chew and Spit ist Politik, und das um so mehr, als Ducksworth eine Farbige ist. Jingo de Lunch sind zum ersten Mal definitiv politisch. Weil die Zeiten danach sind und es nicht mit der Teilnahme auf den einschlägigen Samplern getan ist. Trotz dieser bisher von ihnen nicht gekannten Eindeutigkeit bleiben Jingo de Lunch weiter Jingo de Lunch. Weiterhin werden assoziativ Gefühlslagen niedergelegt, eine Reflexion bleibt aus. Deutlich ist nur die Ablehnung, genau ist nur die detailfreudige Beschreibung von Seelenpein. Auch bei den anderen Themen: Beziehungskisten und Drogen. Musikalisch bleiben Jingo de Lunch sowieso Jingo de Lunch. Einfach, weil sie gut genug dafür sind, das Erreichte zu bewahren und dezent auszubauen. Spätestens seit der zweiten LP Axe to Grind haben Jingo ihren Stil zwischen Punk und Metal gefunden. Damals hieß das Hardcore, heute heißt das immer noch Hardcore, aber Hardcore heißt inzwischen auch eine Menge mehr. Damals hieß der Produzent Jim Voxx, auf B.Y.E. heißt er wieder Jim Voxx. Die dritte LP hieß Underdog, und deren Produzent hieß Manny Charlton. Für B.Y.E. spielte der Ex-Nazareth eine Art Gesangs-Produzenten für Ducksworth. Also auch in den Personalia drückt sich aus, daß Jingo de Lunch auf die Konsolidierung des Bewährten auf höchstem Niveau bauen. B.Y.E. ist mehr Metal als Punk, nicht, weil Jingo de Lunch selbst mehr Metal wären, sondern weil sich Punk in Richtung Hardcore verschoben hat. Der Metal hat das zwar auch, aber dort gibt es weiterhin gleichberechtigt die altmodischen Spielarten. Den momentanen rhythmischen und strukturellen Experimenten in Hardcore und Metal verschließen sich Jingo weitestgehend. Statt dessen stellen sie immer mehr ihre persönlichste Eigenschaft in den Vordergrund: eine lässige Zähigkeit, die am ehesten durch eine Band wie Thin Lizzy markiert wird. Bei Thin Lizzy war es der Blues-Faktor, der den besonderen Stil ausmachte, bei Jingo de Lunch ist es der Metal, auch wenn der damals noch Hardrock hieß. Zu diesem Zwecke verliert sogar der Gesang hin und wieder sein hyperventilierendes Japsen. Daß sich Jingo de Lunch schon immer über diesen Einfluß klar waren, zeigt auch die Jingo-Coverversion des Cowboy Song von Thin Lizzy auf der schwer gesuchten Mini-LP Cursed Earth, die nach der ersten LP der Band erschien. In der Rückschau waren Thin Lizzy eine der besten Metal-Bands der Siebziger, weil sie damals schon grooven konnten und ihre Musik trotz aller Härte eine spielerische Leichtigkeit hatte. Jingo de Lunch sind auch deswegen gut, weil sie genau das adaptiert haben — wenn auch einige Grade brutaler. Und natürlich ist B.Y.E. gut, weil Jingo de Lunch sie selbst bleiben. Da weiß man, was man hat. Thomas Winkler

Jingo de Lunch: B.Y.E. (Vertigo/Phonogram).