: „Männlich, weiß und ziemlich dick“
Demokratische und republikanische Präsidentschaftskandidaten gehen heute im konservativen Texas auf Stimmenfang/ Einige Betrachtungen über typische und weniger typische Texaner — „Bubbas“ und Latinos ■ Aus San Antonio M. Sprengel
Über den prallen Bauch spannen sich die Knöpfe eines angeschmuddelten Hemdes, die Finger spielen unruhig mit einer Kreditkarte. Mit sichtlich unwohlem Gefühl lugt Art Shahan unter seinem Stetson hervor. Der Mann läßt sich nicht gern ausfragen— schon gar nicht zu Themen, die in seinem Leben bislang keine so große Rolle gespielt haben. Wahlen zum Beispiel. Oder die Frage, was ihn und seine 7.000 Landsleute in der Gemeinde Pleasanton eine Autostunde südlich von San Antonio im Wahljahr 1992 am meisten beschäftigt. „Na ja, die Wirtschaft, glaube ich“, murmelt er etwas maulfaul. „Ich bin kein besonders politischer Mensch.“ Mitteilsamer wird er, als das Gespräch auf Rind- und Pferdezucht kommt. Da ist der Manager einer Ranch schließlich Experte.
Shahan ist ein Prachtstück der Gattung „Bubba“. „Nicht besonders klug und nicht gerade sehr gesprächig“, wie John Bauer, Politologe an der University of Texas in San Antonio, einige Charakterzüge des „Bubba“, des stereotypen Texaners, beschreibt. Es klingt wie ein Vortrag über ein seltenes Fabeltier, wenn Bauer fortfährt. „Bubba ist männlich, weiß, ziemlich dick und trägt Cowboy-Boots. Man findet ihn vor allem in den ländlichen Gegenden von Texas. Er ist nicht besonders tolerant, sehr konservativ, haßt die Regierung und will am liebsten in Ruhe gelassen werden. Er will beim Autofahren sein Bier trinken und natürlich eine Waffe tragen dürfen.“
Obwohl „Bubba“, wie der Politologe Bauer erklärt, nur eine kleine Minderheit der 17 Millionen Texaner stellt, hat er ihr Bild weit über die Grenzen des „Lone-Star-Staates“ hinaus geprägt. Und konservativ wie er sind sie fast alle. Bis vor etwa 15 Jahren fühlten sich die Texaner damit noch bei den Demokraten zu Hause. In dem Maße aber, wie sich die früher traditionell konservativen Südstaaten-Demokraten nach links bewegt und die Verteidigung von Minderheitenrechten auf ihr Banner geschrieben haben, hat die republikanische Partei an Boden gewonnen.
Nach Öl- und Bankenkrise setzt Texas heute vor allem auf High- Tech. Die Computerindustrie um Austin muß Vergleiche mit Silicon Valley nicht scheuen. Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit in Texas mit 7,8 Prozent über dem nationalen Durchschnitt, das Pro-Kopf-Einkommen darunter. Befragt, welchem Problem der künftige US-Präsident erste Priorität geben sollte, nannten mehr als zwei Drittel der texanischen Wähler kürzlich die Wirtschaft, und fast die Hälfte gab an, heute schlechter dazustehen als vor vier Jahren.
Das „Weichknie“ aus dem Weißen Haus
Spektakuläres wird hier bei den Vorwahlen für die Präsidentschaft am heutigen Super Tuesday, an dem gleichzeitig in elf Staaten gewählt wird, trotzdem nicht erwartet. Der moderate Südstaaten-Demokrat Bill Clinton wird, dank perfekter Wahlkampforganisation, den trockenen Paul Tsongas aus dem fernen Norden leicht abschütteln können. Und George Bush, der Texas mit einer Steuerresidenz in einem mittlerweile bankrotten Hotel in Houston zu seiner Heimat erklärt hat, wird seinen Konkurrenten Pat Buchanan problemlos schlagen.
Dennoch hat die Unzufriedenheit mit Washington einige alte Bush-Anhänger, die ihm und nicht dem Kongreß die Schuld an der wirtschaftlichen Misere zuschieben, in die offenen Arme von Rechtsaußen Buchanan getrieben oder läßt sie sogar ins andere politische Lager schielen.
„Weich-Knie“ nennt ihn verächtlich David Miller. Der trete zwar nach außen immer stark und kompromißlos auf, gebe am Ende aber dann doch immer dem Druck des demokratisch kontrollierten Kongresses nach. Buchanan, lobt der 30jährige Farmer, sei dagegen eine ehrliche Haut. „Der sagt dir, wie es wirklich ist.“ Begeistert jubelt Miller ihm zu, als Buchanan auf dem Alamo in San Antonio den Präsidenten wegen seines gebrochenen Steuerversprechens vorführt. Buchanan hat seinen Auftritt an der Gedenkstätte, die die texanische Unabhängigkeit symbolisiert, bestens geplant. Auf den Tag genau vor 156 Jahren sind am Alamo— wie hier jedes Kind weiß — texanische Rebellen von dem mexikanischen General Santa Anna getötet worden. Zwölf Jahre und einen Krieg später wurde der Märtyrer- Tod der Rebellen gesühnt und dieser Teil Mexikos den Amerikanern zugeschlagen.
Mit Alkohol und Intuition die Wahl getroffen
Als Ironie der Geschichte und fast rechtmäßige Rückeroberung erscheint da die Zuwanderung der Mexikaner nach Texas. Rund ein Viertel der texanischen Bevölkerung — und damit die größte Minderheit — sind sogenannte Latinos. Ihre Unterstützung, die mehrheitlich den Demokraten gilt, kann in Texas wahlentscheidend sein. Während allerdings die weiße Wählerschaft wenigstens zur Hälfte an Präsidentschaftswahlen teilnimmt, liegt die Wahlbeteiligung bei den Latinos kaum über 30Prozent. John Bauer macht dafür vor allem die geringe Bildung der oft erst gerade aus ländlichen Gegenden Mexikos Zugezogenen verantwortlich, die sich in Houston oder im Süden von Texas konzentrieren. „Rendon's Icehouse“ im Nordwesten von San Antonio ist dagegen fest in der Hand alteingesessener „Mexican- americans“. Fast die Hälfte der Millionenstadt ist hispanischer Herkunft, lebt aber schon seit Generationen hier.
Am späten Nachmittag wird der Holzverschlag für die Leute aus der Nachbarschaft zum zweiten Wohnzimmer. Früher ist hier Eis in Blöcken verkauft worden, heute reicht der Wirt Beto Uresti kühles Dosenbier über den Tresen. Für Insider heißt die Kneipe „Burroland“, benannt nach dem Esel, dem Wahrzeichen der Demokraten, die hier klar den Ton angeben. Beto Uresti hat sich entschieden. „Ich bin gestern abend betrunken nach Hause gekommen, da hab' ich den Fernseher angemacht.“ Normalerweise schaltet er bei politischen Programmen immer ab, die Debatte der Demokraten habe er sich aber angesehen.
Seitdem ist Bill Clinton sein Mann. „Der hat so was“, sagt Uresti und schnackelt dabei mit den Fingern. Was ihm genau an Clinton gefällt, kann Uresti genausowenig in Worte fassen wie Art Shahan seine Loyalität zu Bush. Wer in Washington nächstes Jahr regieren wird, ist für Shahan ziemlich unwichtig, da es am „Super Tuesday“ auch über die Kandidaten für den Posten des County Commissioners zu entscheiden gilt. Der dirigiert zwar nicht die Zukunft der Superpower USA, wohl aber die Verwendung des sieben Millionen- Dollar-Budgets der Gemeinde Pleasanton.
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