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In Berlin verstehen alle nur Bahnhof

Tunnel oder Nicht-Tunnel — Eisenbahnplanung in der Hauptstadt/ Zu welchem Preis will Bonn was durchsetzen, und was tut Berlin?/ Transrapid-Verfechter Krause möchte am liebsten auch noch sein Herzensprojekt im Tunnel verstecken  ■ Aus Berlin Eva Schweitzer

Er ist 3,2 Kilometer lang, über fünf Milliarden Mark teuer und man braucht fünf Jahre, um ihn zu bauen, mindestens. Proteste und Klagen von Umweltschützern und Anwohnern dürften seinen Baubeginn noch um weitere Jahre hinausschieben. Sein Hauptfeind sitzt jedoch in Bonn: Die Bundesregierung und ihre Verwaltungen.

Die Rede ist von dem geplanten Eisenbahntunnel durch das Herz Berlins. Nach den letzten Gesprächen zwischen Bundesverkehrsminister Günther Krause und dem Berliner Verkehrssenator Herwig Haase — beide dem Auto- und Betonflügel der CDU zugehörig — nähert sich dieses bisher eher imaginäre Vorhaben, dessen Planung mittlerweile ihr 95jähriges Jubiläum feiert, möglicherweise doch der Verwirklichung. Denn Krause und Haase einigten sich darauf, einen Kompromißvorschlag des Bundesbahnchefs Heinz Dürr — eine Art Billigtunnel — prüfen zu lassen.

Das Berliner Bahnnetz bestand zur Jahrhundertwende aus Kopfbahnhöfen, in denen Züge aus verschiedenen Richtungen einliefen: Dem Anhalter Bahnhof, wo die Züge aus Leipzig hielten, dem Hamburger und dem Schlesischen Bahnhof. Ein Stück weiter außerhalb verband bis zum Mauerbau ein S-Bahn-Ring alle Strecken miteinander. Quer durch die Stadt in Ost-West-Richtung zieht sich die Stadtbahn, die sich mit dem S-Bahn-Ring am Westkreuz und Ostkreuz trifft, und an der die innerstädtischen Bahnhöfe Zoo und Friedrichstraße liegen.

Eine Nord-Süd-Achse gibt es hingegen nicht, obwohl diese seit der Jahrhundertwende gefordert wird, angefangen vom Architektenverein zu Berlin, der 1907 dazu einen Wettbewerb ausschrieb, bis zum „Reichsarchitekten“ Albert Speer. Der plante parallel zu seiner 100 Meter breiten „Großen Straße“ einen Eisenbahntunnel mit je einem riesigen Nord- und Süd-Bahnhof, dem — ganz nebenbei — 18.000 Wohnungen hätten weichen müssen.

Nichts davon wurde verwirklicht. Statt dessen wurden fast alle Kopfbahnhöfe im Krieg oder im Abrißeifer der Nachkriegszeit zerstört. Der S-Bahn-Ring im Westteil der Stadt ist seit über zehn Jahren stillgelegt. Eine Zugreise von Berlin nach Hamburg dauert heute doppelt so lang wie im Jahre 1930.

Ein Ausbau des Berliner Netzes ist also dringend nötig, um so mehr, als sich die Bundesregierung und mehrere Großunternehmen in der Hauptstadt ansiedeln wollen. Nur darüber, wie der Ausbau geschehen soll, ist man sich nicht einig.

Ein neuer Zentralbahnhof soll entstehen

Die Berliner Verkehrsverwaltung — beraten von der Deutschen Bundesbahn — beschloß schon kurz nach dem Fall der Mauer, erstmalig in der Berliner Geschichte einen Zentralbahnhof zu bauen. Der sollte am Lehrter Bahnhof, einem S-Bahnhof der Stadtbahn liegen. Dort würde sich die Stadtbahn mit einem neu zu schaffenden Nord-Süd-Tunnel kreuzen, den man an dieser Stelle größtenteils unter unbebautem Gelände graben könnte: Teils unter dem kahlen Mauerstreifen, teils unter dem Tiergarten, der grünen Lunge Berlins. Somit entstünde, wenige hundert Meter vom Reichstag und dem künftigen Parlamentsviertel im Spreebogen entfernt, ein riesiger Umsteigebahnhof, wo auf acht unterirdischen und vier oberirdischen Gleisen sämtliche Züge von und nach Berlin halten würden. Dazu kämen weitere Tunnel für eine U- und eine S-Bahn-Linie. Darüber hinaus soll es westlich davon noch einen mehrspurigen Autotunnel geben.

Kein Wunder, daß das Projekt auf den entschiedenen Widerstand von Anwohnern, Stadtplanern und Umweltschützern stieß. Die einen befürchten eine jahrzehntelange Mammut-Baustelle und Dauerstau in den umliegenden Straßen, die anderen warnen vor Grundwasserabsenkungen im Tiergarten. Alternativ wurde vorgeschlagen, man solle den S-Bahn-Ring ausbauen und dort mehrere Bahnhöfe ansiedeln, am Ost- und Westkreuz etwa oder am nördlichen Gesundbrunnen. Das wäre auch nicht ganz billig, würde aber die Belastungen für die Stadt geringer halten. Der Nachteil: Die Züge bräuchten mehr Zeit, um durch die Stadt zu fahren und zu rangieren.

Während der Berliner Senat diesen Vorschlag noch vom Tisch wischte, ging ein weitaus mächtigerer Gegner auf die Barrikaden: Die Bonner Beamten. Denn nicht nur, daß ein Zentralbahnhof — womöglich mit bettelnden Landstreichern, schwarzhandelnden Zuzüglern und Horden von Taschendieben — in Sichtweite der hehren Hallen des Parlaments für Bonn unvorstellbar ist: Der Tunnelbau würde den Ausbau des darüberliegenden Regierungsviertels um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte verzögern. Die Bonner weigerten sich im Januar kurzerhand, den Berliner Eisenbahntunnel in ihren Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen und die nötigen Milliarden dafür bereitzustellen.

Statt dessen, schlug das Bundesverkehrsministerium vor, solle man den Tunnel unter dem bestehenden Bahnhof Friedrichstraße bauen, der ebenfalls an der Stadtbahn liegt. Der große Vorteil der Friedrichstraße, so die listigen Bonner: Da dort keine Regierungsbaustelle geplant sei, sei man beim Ausbau eines Zentralbahnhofs Friedrichstraße zeitlich ungebunden: Der brauche erst im Jahre 2000 zu beginnen oder vielleicht erst im Jahr 2010.

Nun protestierten die Berliner, die den Bonner Vorschlag eher für ein Täuschungsmanöver als für eine technisch machbare Alternative hielten. Denn dieser Tunnel müßte in Deutschlands teuerstem Baugrund eine S-Bahn, eine U-Bahn und die Spree unterqueren und sich just dort in acht Bahngleise auffächern. Von mindestens acht Milliarden Mark Kosten war die Rede. Und, als ob dies nicht schlimm genug sei, schlug Bundesverkehrsminister Krause vor, quer dazu eine unterirdische Magnettrasse für den neuen Superzug Transrapid bis ins Berliner Zentrum zu legen.

Während der sich über Monate hinziehenden quälenden Verhandlungen wurde ein Vorschlag nach dem anderen aufs Tapet gebracht: Statt eines Tunnels solle man die alten Kopfbahnhöfe wieder aufbauen, forderte der Bund für Umwelt- und Naturschutz. Der Nord-Süd-Tunnel solle gebaut werden, der dazugehörige Bahnhof jedoch noch ein Stück nach Norden an den Gesundbrunnen oder nach Süden zum Gleisdreieck verschoben werden, um dem Regierungsviertel die unstandesgemäße Nachbarschaft zu ersparen, schlug der Berliner Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) vor.

Der Senat einigte sich letzte Woche intern und in vorauseilendem Gehorsam sogar darauf, den — im Süden an der Ringbahn gelegenen — Bahnhof Papestraße zum zentralen Umsteigebahnhof auszubauen, falls Bonn sich in der Tunnelfrage unnachgiebig zeigen sollte.

Ob Bonn unnachgiebig bleibt, wird sich zeigen. Der besagte Kompromißvorschlag des Bundesbahnchefs Dürr sieht vor, daß zwar ein Nord-Süd-Tunnel gelegt wird, der jedoch nur zwei Gleise statt vier enthalten soll. Und: Der S-Bahn-Ring soll trotzdem ausgebaut werden. Beides könne, so Dürr, mit den 10,7 Milliarden Mark finanziert werden, die Bonn dafür in den nächsten zehn Jahren zur Verfügung stellen wird, wenn Berlin an anderer Stelle spart: Es werden einige vom Mauerbau gerissene Lücken bei den Bahnstrecken ins Umland erst weit nach dem Jahr 2000 geschlossen.

Der Vorschlag, versprach Krause, werde geprüft. Über den Knackpunkt jedoch, nämlich wo genau der Tunnel entlanglaufen und wo der dazugehörige zentrale Umsteigebahnhof entstehen soll, schwieg Dürr sich aus.

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