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ISDN-Kurzschluß bei der Post

Die Telekom gibt sich mit ihrem digitalen Milliardencoup zufrieden, doch die verkündeten Anschlußzahlen trügen/ Auch beim Datenschutz ist längst noch nicht alles geklärt  ■ Von Frank Holzkamp

Die Bundespost-Tochter Telekom zeigte sich zufrieden: Ihr Lieblingskind, das digitale Telefonnetz ISDN (integrated services digital network), mit dem das bestehende analoge Netz ersetzt werden soll, scheint zu florieren. Ende Januar, so vermeldete das Telekommunikationsunternehmen vor dem Startschuß der Computermesse CeBit, waren bereits 300.424 Benutzerkanäle vermietet — ein Jahr davor lag die Zahl erst bei gut 100.000. Doch der Schein trügt: Die genutzten Kanäle teilen sich in knapp 6.000 „Primärmultiplexanschlüsse“ mit jeweils 30 nutzbaren Leitungen und gut 60.000 Basisanschlüsse auf, die jeweils über zwei Datenkanäle verfügen. So fanden sich tatsächlich bis Januar weniger als 70.000 ISDN-Kunden.

Doch nach einem anfangs schleppenden Geschäft — 1990 hatten sich monatlich nur rund 1.000 Kunden an das Netz locken lassen — sieht sich die Telekom nun an der Weltspitze der neuen ISDN-Technik, die Telefonieren in besserer Qualität, Faxen und schnelle Datenübertragungen von jedem dafür umgebauten Telefonanschluß erlaubt. Schon 1993 soll der Austausch der klackernden Drehmotorwähler in den Vermittlungsstellen gegen ISDN-fähige Vermittlungsrechner abgeschlossen sein; das zur CeBit 1989 in Betrieb gegangene Netz wäre dann zumindest in den alten Bundesländern so gut wie flächendeckend verfügbar.

Steht also das ISDN als Wegbereiter der „Informationsgesellschaft“ trotz aller Unkenrufe vor dem Boom? „Eher mager“ findet ISDN- Kritiker Herbert Kubicek vom Institut für Informationsökologie (IKÖ) die Telekom-Bilanz nach drei Jahren Netzbetrieb: „Da wird nur ganz normal telefoniert, ein spezifischer Nutzen als Datennetz ist nicht erkennbar.“ Die Rechnung des Informatikers Kubicek: Durch Niedriggebühren habe das Postunternehmen die Anschlußzahlen künstlich in die Höhe getrieben. Tatsächlich beträgt die monatliche Grundgebühr für einen Primärmultiplexanschluß nur 518 Mark, obwohl dieser gleich 30 analoge Telefonleitungen ersetzt. Ein Kostenvorteil also, den sich Unternehmen nicht entgehen lassen — unabhängig davon, ob die technischen Möglichkeiten des ISDN auch wirklich ausgenützt werden. Preisvorteile ergeben sich auch bei der Datenfernübertragung. Deutlich teurer als das Telefon ist dagegen der Basisanschluß für den Hausgebrauch: Mit zwei Kanälen kostet er monatlich 74 Mark.

„Es ist überschätzt worden, was das Netz alleine leisten kann. Doch genauso wichtig sind Software und preiswerte Endgeräte“, so Herbert Kubicek. Wenn auch die Zahl der ausgestellten ISDN-Geräte auf der diesjährigen CeBit gestiegen ist; der Mangel an preiswerten Endgeräten ist auch für Telekom-Sprecher Rüdiger Staats ein wunder Punkt. Als Ursache wird das Normenhickhack in der Fernmeldeindustrie ausgemacht, mit dem sich die Hersteller Marktanteile sichern wollen. Nur weil zwei Endgeräte am ISDN hängen, heißt bislang noch nicht, daß sich mit ihnen auch ohne weiteres kommunizieren läßt. Verschärft wird das Durcheinander durch die 1994 geplante Einführung des „Euro-ISDN“, in dem die unterschiedlichen Normen der EG-Länder aufgehen sollen. Über diese Verzögerungen ist man beim IKÖ nicht unglücklich — für die ISDN-Kritiker ist die Debatte um den Datenschutz ebensowenig beendet wie für den Bundesdatenschutzbeauftragten. Zwar sieht die im letzten Jahr verabschiedete Telekom-Datenschutzverordnung (TDSV) eine Wahlmöglichkeit für den Telefonkunden vor, wie lange er seine sensiblen ISDN-Verbindungsdaten gespeichert haben will; bis zur Erstellung der Fernmelderechnung bleiben sie in jedem Fall im Offenburger Telekom-Zentralrechner. Danach werden die Daten entweder sofort gelöscht, verkürzt gespeichert oder komplett 80 Tage aufbewahrt. Die letztere Möglichkeit, argumentiert die Telekom, sei Verbraucherschutz, falls es zu einem Steit über die Höhe der Telefonrechnung komme. Beantragt der Kunde einen Einzelgebührennachweis (EGN), sind dort akribisch die angewählten Anschlußnummern aufgeführt.

„Das stört uns nach wie vor, denn die Angerufenen sind nicht ausreichend geschützt“, kritisiert Herbert Kubicek. Durch den EGN wäre es beispielsweise möglich, etwa den Anruf eines Familienmitgliedes bei einer Beratungsstelle nachzuvollziehen. Ein solcher Mißbrauch soll nach der TDSV ausgeschlossen werden; bei der Telekom wird überlegt, bei solchen Gesprächen den Ausdruck der Nummer technisch zu verhindern. Aber auch ein „weißer Fleck“ ist verdächtig, und wer definiert, was eine Beratungsstelle ist? Ausdrücklich genannt werden nur Telefonseelsorge und Gesundheitsberatungen — Aids- und Drogenberatungen in Selbsthilfe etwa könnten außen vor bleiben. Immerhin hat sich bei der Rufnummernanzeige für das Euro- ISDN die „Knöpfchenlösung“ durchgesetzt: Wer nicht möchte, daß seine Nummer im Display des Apparates des von ihm Angerufenen erscheint, kann dieses „Komfortmerkmal“ einfach abschalten. „Diese ganzen Probleme sind uns bekannt“, weiß der Sprecher der langsam sensibler werdenden Telekom, „wir werden den Einzelgebührennachweis nicht anbieten, bis das geklärt ist.“ Eigentlich sollte das Problem bis zum Juni geklärt sein.

Das IKÖ drängt mit Blick auf die Überwachungsmöglichkeiten dagegen auf eine generelle Verkürzung der gespeicherten Zielnummern, wie es auch eine EG-Richtlinie vorsieht. Beim Bundesdatenschutzbeauftragten setzt man nicht allzuviel Hoffnungen in die europäische Regelung. Wenn zum Beispiel die mächtige Bundesrepublik umfalle, fürchtet der Referatsleiter Informationstechnik, Horst Alke,könnte es im europäischen Rahmen zum „Datenschutz auf dem kleinsten Nenner“ kommen. In einigen EG-Ländern würde dem Problem ohnehin keine große Bedeutung beigemessen. Die amtlichen Datenschützer drängen daher seit langem auf eine Änderung der nationalen Gesetzgebung. Nach dem Fernmeldeanlagengesetz ist es Gerichten und Staatsanwälten gestattet, die Herausgabe der ISDN-Verbindungsdaten schon beim Verdacht auf geringfügige Straftaten zu verlangen. Der Datenschutzbeauftragte schlug eine Streichung des entsprechenden Paragraphen vor, geschehen ist leider nichts. Für Referatsleiter Alke kommt es darauf an, „daß kein Schweigen im Walde herrrscht“. Denn bald wird es nur noch ein Netz geben — und das wird das ISDN sein.

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