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„In Oslo können wir nicht demonstrieren“

■ WerftarbeiterInnen wollen heute in Schwerin demonstrieren — Gomolkas Kompromiß ist für sie keiner

Vor der Schweriner Staatskanzlei steht ein Schulheft — ein Meter hoch, aus Metall, vorne drauf der Name des Besitzers: „Alfred Gomolka“. Aufgeklappt steht es da und verrät, wie der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern seine Schulaufgaben gemacht hat: Sozialkunde 6-. Diese Note verpaßten ihm die Belegschaften der Werften, die seit einer Woche eine Mahnwache vor dem Regierungssitz abhalten. Ein Anker haben sie mitgebracht und eine riesige schwarz-metallene Kolbenbuchse. Fahnen der Betriebe und der IG-Metall hängen herum. Die ArbeiterInnen wehren sich gegen die Pläne von Wirtschaftsminister Lehment, die ehemaligen DDR-Schiffbaubetriebe nicht im Verbund zu privatisieren. „Wenn sie uns in Einzelteile zerlegen“, schimpft Herbert Heistermann, Betriebsrat der Elbe Werft in Boizenburg, „verlieren wir die politische Macht. Das ist ganz im Sinne der Landesregierung.“

Gestern nun hat die christlich-liberale Landesregierung ihren von Verkehrsminister Krause geschürten Koalitionszwist beigelegt und gab ihren Lösungsvorschlag für die Werftekrise bekannt: Ganz im Sinne der Treuhand favorisiert sie eine sogenannte „kleine Verbundlösung“, nach der die Matthias-Thesen-Werft in Wismar (MTW) und das Rostocker Diesel-Motoren Werk (DMR) an die Bremer Vulkan-Werft verkauft werden, die Neptun-Warnow-Werft (NWW) von der norwegischen Firma Kvaerner übernommen wird. „Diese Entscheidung nützt nur den Politikern“, sagt Siegfried Stuchly vom Schiffsanlagenbau in Barth. Mit rund zehn anderen Kollegen belagert er die Staatskanzlei.

Notfalls die Staatskanzlei „verrücken“

In ihren grauen Segeltuchanzügen und gelben Schutzhelmen sind die Schiffbauer nicht zu übersehen. „Die wollen nur Zeit schinden“, mischt sich ein anderer Kollege ein. „Aber morgen werden wir, wenn es notwendig wird, auch noch das Gebäude hier verrücken.“

Für heute planen die Belegschaften der Werften und die IG-Metall eine große Kundgebung. Bis zu 10.000 KollegInnen werden in Schwerin erwartet. „Schauen Sie mal“, sagt einer von der Mahnwache und zeigt grinsend auf die neoklassizistische Fassade der Staatskanzlei, „da paßt noch viel Farbe drauf. Eier haften auch sehr gut.“

Bei den Schiffbauern wird die Treuhand und die Landesregierung mit ihrem Kompromiß nicht durchkommen. Sie lehnen die sogenannte „kleine Verbundlösung“ ab. „Die Landesregierung“, hört man von den Arbeitern, „wollen die Betriebsräte gegen die IG-Metall aufhetzen, aber wir stehen zu unserem Konzept.“

In den Augen der Regierung ist es die IG-Metall, die den Unfrieden in Mecklenburg-Vorpommern stiftet. „Die Gewerkschaften sollen nicht den großen Zampano spielen“, ärgert sich Pressesprecher Michael Koschinski, „sondern ernsthaft an einer konzertierten Aktion mitarbeiten.“ Und der Landesvater schlägt in dieselbe Kerbe: „Ich halte es für wenig hilfreich“, meinte Gomolka gestern, „ein Modell als das allein seligmachende zu verkaufen. Das ist nicht seriös.“

Was er meint, ist die Präferenz der IG-Metall für den Verkauf der drei Großbetriebe MTW, NWW und DMR an den westdeutschen Werftbauriesen Vulkan. „Vulkan hat aber das bessere Konzept“, argumentiert Horst Troschke aus Boizenburg. „Der baut ja auch nicht nur Schiffe, sondern kümmert sich auch um andere industrielle Standbeine.“ „Und Kvaerner“, fällt ihm ein Kollege ins Wort, „ist uns zu unangenehm. Der Norweger will die Belegschaft nicht in Stufen abbauen, sondern einen radikalen Schnitt machen. Und wenn etwas schiefgeht, haut er ab nach Norwegen und dort können wir nicht demonstrieren.“ Die Belegschaften wollen an einen Westkonzern verkauft werden, und die Landesregierung soll sich beteiligen.

Galgenhumor

„Gomolka hat sich ja schon beteiligt“, lacht ein Arbeiter. „Er hat hundert Mark für unsere Solidaritätskasse spendiert.“ Die Stimmung scheint nicht schlecht zu sein bei den Demonstranten in Schwerin. „Ach, alles Galgenhumor“, schränkt Siegfried Stuchly gleich ein. Und mit diesem Galgenhumor wollen die Schiffbauer mit ihren Aktionen weitermachen, bis auch für sie eine befriedigende Lösung gefunden wird. „Ich werde wohl bei der Kundgebung ausgepfiffen werden“, hatte Ministerpräsident Gomolka gestern befürchtet. Er wird wohl recht behalten. Bascha Mika, Schwerin

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