: Altlasten im Regal
■ „Ehrenamtliche Frischekontrolleure“ wegen versuchter Erpressung angeklagt
„Frische tanken bei Plaza“: Ist es möglich, in einer dreiviertel Stunde dort einen Einkaufswagen voller „abgelaufener“ Lebensmittel einzusammeln? Dietrich W. (54) und Manfred E. (35) haben das geschafft. Doch dann gingen sie einen Schritt zu weit. Gestern vor dem Amtsgericht mußten sie sich eine versuchte Erpressung vorwerfen lassen.
Die beiden hatten einen Einkaufswagen mit Lebensmitteln im Werte von über 350 Mark vollgeladen, deren Haltbarkeitsdatum mindestens zwei Wochen abgelaufen war. Sie wandten sich an die Information. Hier sollen sie dem herbeigerufenen Fleischermeister Andreas L. damit gedroht haben, daß sie die Gesundheitsbehörde benachrichtigen würden, wenn er ihnen nicht den Wert der gesammelten Ware erstatte. Andreas L. fühlte sich bedroht und benachrichtigte seinerseits die Polizei.
Den Vorwurf der Erpressung weisen die beiden Angeklagten strikt von sich. Lediglich eine kleine Belohnung, vielleicht in Form einer Schachtel Pralinen, hätten sie dem Fleischermeister vorgeschlagen. „Das Gesundheitsamt wollte ich sowieso benachrichtigen“, beteuert Dietrich W., „das hatte nichts mit der Vergütung zu tun!“ Es sei ein Unding, daß Warenhäuser abgelaufene Lebensmittel herumliegenlassen. „Wenn jetzt zum Beispiel eine ältere Frau kommt, die nicht mehr richtig sehen kann, die kauft das dann. Das ist doch unverantwortlich!“ erregt sich er sich während der Gerichtsverhandlung.
Auf die Idee, Kaufhäuser zu kontrollieren, seien die beiden durch eine Aktion bei Realkauf gekommen: Wer „abgelaufene“ Ware findet, darf diese in frische umtauschen und dann kostenlos
Nur eine kleine Belohnung, eine Schachtel Pralinen vielleicht
mit nach Hause nehmen. Der Richter ist erstaunt, aber eine vorliegende Werbebroschüre von Realkauf bestätigt diese Auskunft. Nachdem die Angeklagten so bei Realkauf einige Waren „für umsonst“ erhalten hatten, wollten sie „eben mal gucken, wie das so bei anderen Kaufhäusern aussieht“. Eines davon war Plaza gewesen, in anderen sähe es nicht besser aus. „Bei Karstadt haben wir in kurzer Zeit eine Wagen mit abgelaufenen Lebensmitteln im Wert von 400 Mark zusammen gehabt.“
Die Angestellten der Firma Plaza, die als Zeugen geladen sind, bestreiten zwar nicht, daß der Einkaufswagen voll mit abgelaufenen Gütern war, („Das kann schon mal passieren“), bleiben aber bei dem Vorwurf der versuchten Erpressung.
Am Ende steht Aussage gegen Aussage. Die Staatsanwältin Fahrenholz hält den Fleischer zwar für glaubwürdiger, aber man einigt sich schließlich auf Einstellung des Verfahrens. Die beiden Angeklagten kommen ohne Vorstrafen davon, müssen aber in vier Raten eine Strafe von 400 Mark an eine gemeinnützige Organisation zahlen.
Übrigens: Bei Plaza gab es vor vier Jahren eine ähnliche Aktion wie nun bei Realkauf: Wer ein „abgelaufenes“ Produkt fand, durfte es an der Kasse für 5 Mark „in Zahlung geben“. Einige besonders gewitzte Kunden haben daraufhin alte Joghurts in die Kaufhausregale geschmuggelt, um hinterher damit ihren Einkauf finanzieren zu können. Seitdem verzichtet Plaza auf derartige Aktionen.
Susanne Epple
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