Ordentliche Sozialisten heiraten in Rot

■ Wladimir Majakowskis Grosteske »Die Wanze« im Hebbel-Theater

Die Braut trägt ein rotes Kleid, und die Hochzeitstafel biegt sich vor rotem Schinken und Flaschen mit roten Verschlüssen. Unter dem Kreischen der roten Gäste wird die sowjetische Braut vom krebsrot prustenden ersten Stellvertreter des Brautvaters hereingeführt und spitzt die roten Lippen zum Kuß.

Der Bräutigam Prisypkin, Proletarier und bis dato strammer Genosse, macht mit der roten Hochzeit ein letztes Zugeständnis an seine unlängst abgestreifte revolutionäre Vergangenheit. Ohne mit der Wimper zu zucken ließ er Freunde, Genossen und die schwangere Geliebte im Regen stehen, warf sich, dem süßen Leben auf der Spur, an den Hals einer Bürgerlichen. Elsewira, die Tochter einer Friseursalonbesitzerin, verspricht sich wiederum von der Liaison für den Familienclan ein Gewerkschaftsbuch, — es ist ein Unterpfand für den Fortbestand bürgerlicher Privilegien im Sozialismus.

Der Kuhhandel geht auf. Aber auf der standesgemäß pompösen Hochzeitsfeier gibt es schon bald Spannungen zwischen den Klassen. Der Emporkömmling scheint wenig Übung mit dem diskreten Charme der Bourgeoisie zu haben, sagt Richtiges an falscher Stelle, der Pianist wittert allerorts den Skandal. Das Fest endet im Inferno, ein Klavier verwandelt sich zum alles verschlingenden Gebiß, sämtliche Gäste werden Opfer der Flammen. Aber Wunder über Wunder, unter dem Feuer bildet sich Eis, bringt die einrückende Feuerwehr ins Rutschen und gefriertrocknet Prisypkin für nachfolgende 50 realsozialistische Jahre.

Als Majakowski seinen Helden Prisypkin in einem großangelegten wissenschaftlichen Experiment wiederbeleben läßt, zeichnet er ein zwiespältiges Bild dieser neuen Welt: sie ist modern und auf technisch hohem Standard, die Menschen dagegen wirken antiseptisch, über Liebe wird gesprochen wie von einer Krankheit des Altertums. Mit Prisypkin erwacht auch eine Wanze in seinem Pullover aus der Vereisung, und gemeinsam infizieren sie den sozialistischen Alltag mit einer verheerenden Speichelleckerepidemie. Hart fällt am Ende des Stücks die Strafe für den Verräter seiner Klasse aus. Da zwischen dem »Wanzus normalis« und der von Prisypkin repräsentierten Spezies des »Bürger vulgaris« nur ein unwesentlicher Unterschied besteht, muß er zukünftig gemeinsam mit der Wanze in einem öffentlich zur Schau gestellten Käfig dahinvegetieren.

Die Wanze hat den Konflikt zwischen egoistischen Bedürfnissen und einst erkämpfter Ideale zum Thema. 1928, zum Zeitpunkt der Entstehung des Stücks, erlebten die hehren Ziele der proletarischen Weltrevolution bereits ihre erste Sinnkrise. Trotz Diktatur des Proletariats blüht der Schwarzmarkt, und das Bürgertum sonnt sich weitgehend ungerührt im Lichte seiner althergebrachten Privilegien. Ein moralisches Vakuum tut sich vor dem siegreichen Revolutionär auf: wo zuvor an klaren Fronten gekämpft wurde, gilt es jetzt, eine Utopie zu verwirklichen. Prisypkin löst das Problem privat: »Wofür kämpfte ich, wofür die Narben ungezählt? Für ein besseres Leben habe ich gekämpft. Plötzlich halte ich es in des Händen, wie ein Wunder, eine Frau, gar nicht so übel, ein Haus und auch Kultur. — Mit diesem Wohlstand erhebe ich auch meine Klasse.«

Der Regiedebütant Klaus-Rüdiger Mai hätte sich mit dem gewagten Wanze-Projekt fast verhoben. In einer Koproduktion zwischen Hebbel- Theater und Hochschule der Künste wagt er sich an den »Regiestreich«, dreißig Mitwirkende ohne gemeinsame Arbeitserfahrung unter einen Hut bringen zu wollen. Da stehen professionelle Schauspieler aus Ost-Berlin neben Schauspielschülern aus Rostock und Studenten der HdK-Kostümbildklasse auf und hinter der Bühne. Die Inszenierung muß zu allem andern auch noch das enorme Spannungsfeld gegensätzlicher Sozialisation der Beteiligten aushalten. Das Experiment droht zu mißlingen, und Peter Kock übernimmt schlußendlich die Federführung der schwierigen Majakowski-Inszenierung. Die Wanze wirkt trotz der Bearbeitung von Klaus-Rüdiger Mai konstruiert, erscheint in einem rohen, unbehauenen Zustand. Trotz diverser optisch sehr eindrucksvoll komponierter Szenen vermag die Regie dramaturgische Schwachstellen des Stücks nicht zu füllen. Die Sprache klingt oftmals vulgär und holperig nach Seifenoper, was an der Übertragung oder am Zuschnitt auf ein proletarisches Publikum liegen mag. Die vielen kleinen Rollen bleiben in der Charakterisierung blaß, und die Zukunftsvision ist weiterhin eine große Herausforderung für Mai und Kock: die uns bereits als Vergangenheit bekannte Realität muß aus der naiven Sichtweise Majakowskis rekreiert werden. Entsprechend wirken die Szenen absichtsvoll klischeehaft, wie einem veraltetem Science-fiction entnommen, quietschbunt und mitnichten den realsozialistischen Alltag imitierend.

Was die Inszenierung dennoch zu einem Erlebnis macht, sind die kostümbildnerischen Exzesse der HdK- Schüler. Auf der schwindelerregend hohen Bühne des kleinen Theaters konstruieren sie ein Baugerüst mit drei Ebenen. Ein Stockwerk nach dem nächsten kommt im Verlauf des Stückes hinter einer bemalten Leinwand zum Vorschein. Optisch sehr eindrucksvolle Massenszenen werden auf unterschiedlichen Höhen gespielt, die Zukunftsbilder erhalten durch ihre vertikale Dreiteiligkeit einen surrealistischen Touch. Mit viel Phantasie wurden die Kostüme für die proletarische, die bourgeoise und die futuristische Welt erstellt. Im Foyer begegnet der Besucher noch vor Beginn des Stücks allegorischen Gestalten, die in Anlehnung an zeitgenössische russische Bilderbögen eingekleidet wurden. Mit gipsumrandeten Drahtgestellen über dem Kopf in Form eines Bären- oder Katzenschädels, Eimern an den Füßen und mit Wandfarbe bemalten Stoffen haben diese Figuren etwas Archaisches. Sie zählen zu den schönsten des Abends. Lob auch für die Musik von Ralf Hoyer, der mit disharmonischen und wilden Klängen eine sensible Untermalung des Geschehens liefert. Eine Inszenierung der sinnlichen Opulenz. Antje Braunschweig

Bis So, 20 Uhr, Hebbel-Theater.