: Vom Nachttisch geräumt: Denkmal
Ein nützlicher erster Einblick in eine der diffusesten Gemütslagen der Bundesrepublik: Israel und die deutsche Linke. Martin W. Kloke ist der Geschichte dieses Verhältnisses nachgegangen. Natürlich spielt die taz darin eine wichtige Rolle. Nicht nur als Nachrichtenlieferant, sondern auch als linkes Medium. Ihr Selbstverständnis wird überprüft.
Klokes Untersuchung endet mit der taz-Berichterstattung über die Grünen Dietrich Wetzel und Jutta Oesterle Schwerin. Beide hatten „wegen der zugespitzten Lage in den von Israel besetzten Gebieten“ im März 88 eine gemeinsame Debatten-Initiative der grünen und christlich-liberalen Fraktionsvorstände zurückgewiesen. „Sie bestritten dem deutschen Bundestag das moralische Recht, angesichts der NS-Vergangenheit über Israel zu Gericht zu sitzen. Die Grünen, so Wetzel in einer öffentlich geäußerten Austrittsdrohung, gingen in dieser Frage mit jenen Kräften eine ,unheilige Allianz‘ ein, die für die ,personelle, ökonomische und ideologische Kontinuität des Faschismus verantwortlich‘ seien.“
Schon allein an diesen doch einigermaßen jungen Zitaten sieht man die Nützlichkeit von Klokes Buch. Es ruft die größten Ungeheuerlichkeiten ins Gedächtnis, es zeigt zum Beispiel am 'AK‘, genauer: 'Arbeiterkampf‘, wie neu manche Positionen sind, wie lang es dauerte, bis auch die radikale bundesrepublikanische Linke begriffen hatte, daß „Zionist“ kein Schimpfwort ist, sondern etwas mit jenen nationalen Befreiungsbwegungen zu tun hat, die zu unterstützen man andernorts zu fast jedem Verbrechen bereit war und zum Teil heute noch ist. Ein notwendiges Buch gegen das kurze Gedächtnis der Genossen und ihrer Gegner. Kloke hat anhand alter SDS-Papiere der Jahre 1967 bis 69 den Weg großer Teile der Neuen Linken von einer pro-israelischen zu einer fast bedingungslosen Unterstützung radikaler palästinensischen Forderungen nachgezeichnet. Er erinnert an die Begeisterung gerade der alten Nazis, die 1967 so alt noch nicht waren, über den israelischen Blitzsieg; er zitiert aus einer Erklärung, mit der 1968 eine Reihe prominenter linker Autoren von Bloch über Andersch, Grass und Johnson bis zu Mitscherlich und Walser sich an die neulinken Israelkritiker wandten: „Weil die Araber zur Dritten Welt gehören, sind sie noch nicht eo ipso die reinen Engel. Die Israelis sind die Gefährdeten, die Araber dagegen sind es, die Angriff, Vertreibung und Ausrottung planen.“ Eine Position, die innerhalb der Studentenbewegung und ihrer Nachfolgeorganisationen kaum noch eine Chance hatte.
Wer damals dabei war, sollte das Buch auf jeden Fall lesen. Es wird ihm weh tun, denn an mancher der gefährlichen Dumm- und Gemeinheiten, die Kloke aus alten Flugblättern aufgelesen hat, war er zwar vielleicht nicht beteiligt, aber er hat ihnen zugesehen, und das sollte genügen, um seine ungebrochen sich austobende volkserzieherische Begeisterung ein wenig zu hemmen. Den jüngeren Lesern wird Kloke vielleicht zu der Einsicht helfen, daß keine Absicht zu edel ist, um nicht innerhalb weniger Monate in eine verbrecherische Politik einzumünden. Was will man mehr?
Martin W. Kloke: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Haag+Herchen-Verlag, 225 Seiten, 28DM
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