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Protokoll des Größenwahns

Dokumentarisches Material von den Dreharbeiten des Vietnamfilms „Apocalypse Now“  ■ Von Gerhard Midding

Ein Alptraum, erinnert aus der behaglichen Distanz von gut anderthalb Jahrzehnten und mit dem Wissen, daß er rund 150 Millionen Dollar an den Kinokassen einspielte: Apocalypse Now im dokumentarischen Rückblick.

Ein aufregendes Filmsujet, gleichviel, ob für einen Dokumentar- oder Spielfilm: Dreharbeiten, die so spektakulär waren wie die „action“ des Films, beides wahnwitzige Feldzüge gegen die Undurchdringlichkeit der Natur und die Unwägbarkeit der Psyche, jeder Schritt begleitet von der Versuchung, über den Abgrund hinauszutreten. Eine heile Authentizität, erkämpft in 238 Drehtagen im taifungepeitschten philippinischen Dschungel, welche für die Filmcrew ebenso erbarmungslose „rites des passage“ wurden wie für den Filmehelden Willard, den Marineoffizier in Vietnam, der sich anfangs nach einem Auftrag sehnt und danach nie wieder einen übernehmen will.

Apocalypse Now mußte dem damaligen Publikum einfach schon deshalb als der definitive Vietnamfilm erscheinen, weil er so sehr mit seinem Thema rivalisierte, dem Krieg. Hearts of Darkness, zwölf Jahre nach Ende der Dreharbeiten entstanden, ist eine faszinierende, aber keineswegs ehrfurchtsvolle Annäherung an das Phänomen Apocalypse Now. Natürlich zeigt er sich beeindruckt von den logistischen Exzessen der Produktion (immerhin war es seinerzeit noch ungewöhnlich, daß die Dreharbeiten eines Films mehr Geld verschlangen als ein südamerikanischer Staatshaushalt). Vor allem aber folgt er einer künstlerischen Gratwanderung: wie unverwüstlich ist die allem zugrunde liegende Vision? Der Film protokolliert Coppolas Größenwahn und seine Selbstzweifel (die nie ganz frei sind von einer gewissen Koketterie), seine Unentschlossenheit, wessen finsteres Herz er nun eigentlich erforschen will, sein Ringen um Kontrolle, seinen Wagemut. So hat man, wie auch in den besten Momenten von Apocalypse Now, das Gefühl, gleichzeitig ein „big budget“-Spektakel und ein psychologisches Kammerspiel zu sehen.

Die Autoren Fax Bahr und George Hickenlooper schöpfen eher maßvoll aus einem ungeheuren Materialreichtum. Sie montieren Dokumentaraufnahmen, die Eleanor Coppola während der Dreharbeiten schoß, mit Filmsequenzen, auch solchen, die dem Schnitt zum Opfer fielen und Interviews jüngeren Datums. Eine überraschende akustische Dreingabe sind Ausschnitte aus Orson Welles' Radiodramtisierung von Heart of Darkness, der Conrad-Novelle, die Ausgangspunkt für Apocalypse Now war. Eleanor Coppolas Erinnungen schließlich fungieren als zusammenhang- und sinnstiftender Kommentar.

So läuft Hearts of Darkness niemals Gefahr, ein reiner „talking heads“-Film zu werden, und doch gehören die Interviewpassagen zu den eindrucksvollsten Momenten: mitzuerleben, wie großspurig Francis Coppola auf eine Zeit zurückblickt, in der ihre Ehe auf dem Spiel stand, zuzusehen, wie sich der Dennis Hopper von heute unterscheidet von dem, der damals zu „stoned“ war, um auch nur einen einzigen Dialogsatz auswendig zu lernen. Die kurioseste Reminiszenz steuert der Drehbuchautor John Milius bei, der noch heute von Schuldgefühlen geplagt wird, weil er bei der Vietnameinberufung ausgemustert wurde. Er erinnert sich wehmütig an den urspünglichen Plan, den Film schon 1969 auf 16 Millimeter, mit richtigen Soldaten und direkt in Vietnam zu drehen: „Wir wären gerade rechtzeitig zur Tet-Offensive gekommen!“

Hearts of Darkness , USA 1979/91. Buch und Regie: Fax Bahr und George Hickenlooper, Dokumentarmaterial von Eleanor Coppola, 95 Minuten

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