piwik no script img

Schon wieder 'ne Luise?

■ Berliner Straßenumbenennungen — Die Zwischenbilanz ergibt: viele Chancen vertan

Laut einer vom Senat veröffentlichten Liste sind in Ostberliner Bezirken seit der Wende bisher 55 Straßen umbenannt worden. Einige weitere sollen folgen. Die Zwischenbilanz zeigt: Die Bezirke haben — bis auf wenige Ausnahmen wie Marzahn und Hellersdorf — ihre Chancen und Kompetenzen nur unzureichend genutzt.

Seit Beginn des Jahres 1990 ist in der ganzen DDR über Namensänderungen diskutiert worden. Schon im Januar war es ausgemachte Sache, daß zum Beispiel Karl-Marx-Stadt wieder in Chemnitz rückbenannt wird und daß die nach dem tschechischen Stalinisten Klement Gottwald benannte Straße in Weißensee einen neuen Namen erhalten sollte.

Eine Donald-Duck-Straße in Berlin?

In Berlin begann eine breite Diskussion allerdings erst nach den Kommunalwahlen im Mai 1990. Die Bezirksverordnetenversammlungen bildeten Sonderausschüsse, die die Umbenennungsvorschläge sammeln und diskutieren sollten. Eine Arbeitsgemeinschaft »Straßenumbenennungen« bei der Ostberliner Magistratsverwaltung für Inneres unter dem Senator Thomas Krüger sammelte die aus der Bevölkerung eingehenden Vorschläge, die bis November auf die Zahl von 1.673 für 283 Straßen angewachsen waren. Darunter fanden sich allerdings auch wohl nicht so ganz ernstgemeinte Vorschläge wie Donald-Duck- oder Thomas-Krüger-Straße.

Diese Vorschläge waren — im Gegensatz zu den bis heute vollzogenen Umbenennungen — wenigstens originell. Schaut man sich die Liste der neuen Namen an, so kann man unschwer erkennen, daß fast ausnahmslos die alten Namen vor der letzten Umbenennung in der DDR-Zeit wieder eingesetzt wurden. Nichts zu finden von den Forderungen zahlreicher politischer Gruppen, wie etwa der Berliner Geschichtswerkstatt, endlich auch Frauennamen ins Berliner Stadtbild zu bringen. Keine Benennungen, die an die Bürgerbewegung der DDR erinnern, die die SED-Bürokratie gestürzt hat. So kam beispielsweise in Mitte eine gewisse Königin Luise zurück (früher Hermann- Matern-Straße), obwohl es in der Stadt schon drei Luisenstraßen, einen Luisenplatz, einen Luisenweg und einen Luisenhain sowie zwei Königin- Luise-Straßen gibt, die an die preußische Königin und Ehefrau von Friedrich Wilhelm III. erinnern. In Weißensee ist eine der unzähligen Berliner Straßen beziehungsweise Berliner Alleen wiedererstanden. In Lichtenberg wurde die Jacques-Duclos- Straße, 1975 umgetauft nach einem französischen kommunistischen Widerstandskämpfer, rückbenannt.

Nun heißt sie wieder Möllendorffstraße, benannt nach dem preußischen Generalfeldmarschall Heinrich von Möllendorff.

Einfache Lösungen bringen zuweilen verblüffende Ergebnisse

Natürlich waren die neuen alten Namen die einfachste Lösung, da lästiges Nachdenken und Entscheiden über neue Namen Arbeit und Ärger machen kann. Der Weg des geringsten Widerstands hat allerdings zum Teil ausgesprochen Makabres produziert. Den Vogel hat in dieser Hinsicht der Bezirk Mitte abgeschossen. Dort erhielt die Reinhold-Huhn-Straße den alten Namen Schützenstraße zurück. Treffend formuliert, wenn man bedenkt, daß Reinhold Huhn ein DDR-Grenzer war, der an der Mauer erschossen wurde. Bis heute ist ungeklärt, ob die tödlichen Schüsse von einem »West«-Schützen stammten oder durch einen Fehlschuß, der aus dem Osten kam. Ein Schütze aber war es, der Huhn tötete.

Der einzig neue Name, der in Mitte erscheinen sollte, war für die bisherige Otto-Grotewohl-Straße vorgesehen: Toleranzstraße. Der Beschluß der BVV, der gegen die Stimmen von SPD und CDU zustande gekommen war, liegt zur Zeit aber auf Eis, da mehrere Anwohner und zwei SPD- Verordnete Widerspruch dagegen eingelegt haben. Damit ist die Verwaltung erst einmal daran gehindert, den Umbenennungsbeschluß umzusetzen. Das heißt: Bahn frei für den SPD/CDU-Vorschlag, den alten Namen Wilhelmstraße zu verwenden, der untrennbar mit der dortigen NS- Reichskanzlei und dem NS-Außenministerium verbunden ist!

Außerdem kreist besonders über dem Bezirk Mitte immer noch der Knüppel eines CDU-Gesetzentwurfs, der den Bezirken in besonderen Fällen die Kompetenz zur Umbenennung entziehen soll. Die Abgeordnetenhausfraktion der CDU ärgert nämlich besonders, daß die BVV-Mitte die Otto-Grotewohl-Straße noch nicht umbenannt hat und nicht dem Wunsch der CDU nach der alten neuen Wilhelmstraße nachgekommen ist. Die SPD widersetzt sich allerdings zur Zeit noch diesem die Bezirke entmachtenden Gesetz.

Und was noch alles kommen kann: Beispielsweise Prenzlauer Berg

Dunkle Wolken ziehen zur Zeit über Prenzlauer Berg auf. Dort sollen nach einer tumultartig verlaufenen BVV- Sitzung zahlreiche Straßen, die nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt sind, rückbenannt werden. Gegen diese von SPD und CDU getragenen Beschlüsse haben Bündnis 90/Grüne und Unabhängiger Frauenverband Klage vor dem Verwaltungsgericht angekündigt, da die Entscheidungen unter Verstoß gegen die Geschäftsordnung zustande gekommen seien. Freuen wir uns also wenigstens über die neuen Namen in Marzahn und Hellersdorf! Da dies Neubaugebiete aus DDR-Zeit waren, war hier ein Rückgriff auf Namen vor der DDR-Zeit nicht möglich. So gibt es dort jetzt Straßen zum Andenken an Robert Havemann, Raoul Wallenberg, Peter Huchel, Lily Braun, Ernst Bloch, Mark Twain und zahlreiche andere.

Im Westen nichts Neues

Was den Westen betrifft, hätte es ihm gut angestanden, auch über »seine« Straßen nachzudenken. Das »Fliegerviertel« in Tempelhof ist immer noch nach »Kriegshelden« des Ersten Weltkriegs benannt: so, wie die Nazis die Straßen 1936 bezeichneten. Der Westen hatte über 40 Jahre Zeit, dies zu ändern. Versucht sich eine Kommunalvertretung in einem West-Bezirk mit einer Umbenennung (wie zum Beispiel in Steglitz beim Dietrich-Schäfer-Weg und in Wilmersdorf bei drei Straßen im Grunewald), dann wird von den Anwohnern Klage angedroht oder auch eingelegt.

Nazi-Namen können damit vorerst — jedenfalls in den West-Bezirken — bleiben. Keine guten Beispiele für Vergangenheitsbewältigung auf Berliner Straßenschildern in Ost und West! Jürgen Karwelat

Der Autor ist Mitarbeiter der Berliner Geschichtswerkstatt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen