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Leid ist Leid, System aber dennoch nicht System

Streit ums Konzept der Nazi-Gedenkstätten des Landes Brandenburg/ Historiker schlagen eigenes Kapitel zur stalinistischen Nachkriegsinternierung vor/ NS-Verfolgte lehnen eine Integration ab/ Finanzamt kommt ins KZ  ■ Aus Potsdam Anita Kugler

Im ehemaligen KZ Sachsenhausen wird seit den sechziger Jahren in bester DDR-Tradition der Opfer des Nazi-Regimes gedacht. Ergreifende Dokumente über den Terror des Lagersystems und seine Opfer mischen sich dabei mit dem staatstragenden Antifaschismus des alten Systems. Doch nach der Wende 1989 wollten kritische Historiker das Gedenken an das Nazi-Lagersystem von der Funktionalisierung durch den SED-Staat befreien. Schließen wollte man die Gedenkstätten nicht, aber so stehen lassen auch nicht.

Das KZ Sachsenhausen drängt sich für eine solche Revision des Gedenkstättenkonzeptes auf. In Sachsenhausen töteten die Nazis durch Folter, medizinische Versuche, Erhängen, Erschießen sowie mit der „Vernichtung durch Arbeit“ mehr als hunderttausend Menschen, vorwiegend ausländische Häftlinge. Doch die Geschichte des Lagers war 1945 nicht zu Ende. Einen Monat nach der Befreiung war es schon wieder in Betrieb. In das „Speziallager Nr.7“ internierte die sowjetische Militärkommandantur Nazitäter und Mitläufer, später der Geheimdienst NKWD willkürlich Festgenommene und politische Gegner der Okkupationsmacht. Nach bisher unbestätigten Berichten von Zeitzeugen, starben durch Hunger, Kälte, Krankheiten und Mißhandlungen zwischen 13.000 und 30.000 Menschen. Man weiß nichts von ihnen, weil die Registraturen nach der Auflösung des Sowjetlagers 1950 nach Moskau gebracht wurden. Sicher aber ist, daß es Menschen gab, die Auschwitz nur überlebt hatten, um anschließend in Sachsenhausen zu sterben. Ulf Müller, Vorstand des „SPD-Arbeitskreises ehemaliger politischer Häftlinge aus der SBZ/DDR“, berichtete über diese 5.000 bis 6.000 Verfolgten, deren einziges Vergehen ihr „Sozialdemokratismus“ war.

Um die Frage zu klären, wie künftig der Opfer des Nationalsozialismus gedacht und das Geschehen am historischen Ort möglichst umfassend und differenziert dargestellt werden kann, hatte die brandenburgische Landesregierung im vergangenen Juni eine Historikerkommission eingesetzt, die eine siebzigseitige Empfehlung vorlegte. Zu Wochenbeginn sollten dann rund hundert in- und ausländische Historiker, Gedenkstättenmitarbeiter und Vertreter von Verfolgtenorganisationen in Potsdam die Empfehlung diskutieren. In Brandenburg gibt es neben Sachsenhausen auch noch Gedenkstätten im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück, im Zuchthaus Brandenburg und im Belower Wald.

Die Wogen der Diskussion schlugen hoch. Dem kommissarischen Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Gerhard Emig, war die seit Monaten vorsichtig tastende Debatte um die Darstellung der komplexen Vergangeheit zu langsam gegangen. Eigenmächtig hatte er vor ein paar Wochen das Lagermuseum um eine Ausstellung über die NKWD-Opfer ergänzt und verteilt seitdem eine Broschüre, die allen Opfern der „14jährigen Diktatur“ (1936 bis 1950) gleichermaßen gerecht werden möchte. Ganz im Sinne von Kurt Noack. Der Vorsitzende des „Bundes stalinistisch Verfolgter“ in Berlin-Brandenburg sagte: „Das Terrorsystem ist das gleiche gewesen.“ Und es sei pervers, wenn jetzt die Opfer der Diktaturen sortiert werden sollten in gute oder böse. „Einer Hierarchisierung des Leidens, können wir nicht zustimmen.“

Die anwesenden Historiker hatten dagegen Mühe, ihre differenzierende Position gegen soviel Gleichsetzerei zu verteidigen. „Leid ist Leid“, stimmten sie zu, aber die Einzigartigkeit und der Charakter des nationalsozialistischen Systems werde durch eine Zusammenfassung der Zeit von 1936 bis 1950 verwischt. Daher hätten sie in ihrem Gutachten betont, daß einer „Gleichsetzung“ von NS-Verbrechen und stalinistischen Verbrechen entgegengetreten werden müsse, argumentierten die Historiker Bernd Faulenbach und Reinhard Rürup. „Die NS-Verbrechen dürfen weder durch die Verbrechen des Stalinismus relativiert noch die Verbrechen des Stalinismus mit Hinweis auf die NS-Verbrechen banalisiert werden“.

Ergänzung und eigene Ausstellung

Trotzdem empfahlen sie, das bestehende Lagermuseum um das Kapitel Nachkriegsgeschichte zu ergänzen und hier Informationen über das „Speziallager“ einzubauen. Darüber hinaus sei aber eine eigenständige Ausstellung über das Speziallager nötig. Auch hier solle, um „der Gefahr des Aufrechnens“ vorzubeugen, eine Einbindung in die „Vor- und Nachgeschichte“ erfolgen, „durch die die historischen Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Konzentrationslagern deutlich werden“.

Den Versuch der Differenzierung konnten die Vertreter der NS-Verfolgtenorganisationen so nicht akzeptieren. Das stalinistische Lager sei eine rein innerdeutsche Angelegenheit, sei eine Abrechnung der Sieger mit den Besiegten gewesen, „auch wenn Ungerechtigkeiten dabei vorgekommen sein mögen“, argumentierten sie. Vehement protestierten die Abgesandten der Lagerkomitees aus Sachsenhausen und Ravensbrück, Delegierte des Dokumentations- und Kulturzentrums der Deutschen Roma und Sinti und Vertreter der Nissenbaumstiftung (die sich um die Erhaltung und Pflege jüdische Friedhöfe kümmert) gegen jede Verschränkung von KZ-Opfern und Stalinverfolgten. „Wir werden es nicht zulassen, daß wir auf einer Gedenkstätte mit den Faschisten in einen Topf geworfen werden“, empörte sich Gertrud Müller, Vizepräsidentin des Ravensbrück-Komitees.

Noch schärfer formulierte Andreas Nachama, Leiter der Ausstellung Jüdische Lebenswelten in Berlin. „Es geht nicht darum, irgendeine Geschichte unter den Teppich zu kehren“, erregte er sich, aber das Thema des Lagermuseums sei das Konzentrationslager der Nazis. Die auf der Konferenz allzu breit geführte Diskussion über die Einbindung des Speziallagers auf dem Gelände der Gedenkstätte sei „unerträglich“, weil sie den Naziterror relativiere. Vergessen werde, „daß es 1945 keinen in diesem Land gab, der nicht schuldig war, sieht man einmal von den wenigen befreiten Opfern der Naziherrschaft ab“. Für einen sowjetischen Besatzungssoldaten, sagte Nachama, „gab es 1945 keinen Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Nazi“. Die stalinistischen Sonderlager begründeten sich über diese gemeinsame deutsche Schuld und seien kein „Zivilisationsbruch“ wie das Dritte Reich gewesen. Die ganze Tagung wirke auf ihn, wie ein Versuch, „den Historikerstreit zu materialisieren“. Wenn man alles durcheinanderwürfele, schleuderte Nachama wütend seinen Kollegen ins Gesicht, sei dies eine „museale Umweltverschmutzung“. Im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland „lehne er die Empfehlungen der Expertenkommission „grundsätzlich“ ab.

Eine Versöhnung zwischen den drei Positionen zeichnete sich erst am Ende des zweitägigen Diskussionsmarathons ab. In einem Punkt wurde man sich einig: Es bestehe Diskussionsbedarf, der Dialog müsse weitergehen. Die brandenburgischen Politiker wollen aber nicht warten. Staatssekretär Jürgen Dittberner vom Kultusministerium ließ am Rande der Tagung fallen, daß in das sogenannte „T-Gebäude“ des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen „definitiv“ demnächst das Finanzamt von Oranienburg einziehen solle. Der Vorsitzende der Historikerkommission, Faulenbach, hat noch vor wenigen Wochen betont, eben dieses Gebäude „vertrage keine beliebige Nutzung“.

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