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Psycho-Laien beim Arbeitsamt

■ Was Arbeitsvermittler so alles über ihre Kunden zu wissen glauben

Der Mann habe „in überheblicher und unangenehmer Weise“ deutlich gemacht, „daß er weder an einer Beratung noch an einer Vermittlung des Arbeisamtes interessiert“ sei. „Im Hinblick auf einen möglichen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe ich ihm zu verstehen gegeben, daß die Verfügbarkeit unter diesen Umständen zu verneinen ist.“

Solche Sätze schreiben Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt Verden über ihre „Kunden“ in die hausinternen Akten und Computer. Der Fall: Ein 37jähriger Arbeitsloser aus dem Landkreis bekam über 18 Monate kein einziges Vermittlungsangebot vom Arbeitsamt. Als er nachbohrte, stellte er fest: Seine Akte ist eine Fundgrube persönlicher Beurteilungen seitens der Arbeitsvermittler. In seiner Leistungsakte, in die laut Landesarbeitsamt Hannover nur „leistungsrelevante Daten“ gehören, fand der 37jährige sich unter anderem als „unverschämt“ und „arrogant“ gekennzeichnet.

Der gelernte Erzieher wollte der Ursache für die Funkstille des Arbeitsamtes auf den Grund gehen. Er berief sich auf das Sozialgesetzbuch X, Paragraph 25 und verlangte Akteneinsicht beim Arbeitsamt.

Das aber wurde ihm verwehrt, denn es handle sich hier nicht um die Wahrung von Interessen in einem laufenden Verfahren, so die Begründung des Verdener Arbeitsamtes. Der Widerspruch des inzwischen weidlich rechtskundigen Arbeitsamtskunden wurde ebenfalls abgelehnt. Begründung: Das Arbeitsamt habe „verbindlich fest(gestellt), daß in der Leistungsakte des Widerspruchführers keine negativen subjektiven Wertungen über seine Person enthalten sind.“

Das war falsch, wie sich herausstellte. Im Verdener Arbeitsamt befand sich zu dem Zeitpunkt nur ein Teil der Akte. Der Rest war wegen eines anderen Verfahrens ans Sozialgericht in Lüneburg geschickt worden. Dort verschaffte der Arbeitslose sich Akteneinsicht und fand dort über sich von einem Arbeitsvermittler notiert: „Verlangte von mir in m.E. unverschämter arroganter Art die Bestätigung...“ An anderer Stelle wurde über ihn angemerkt: „Ist der noch normal? „

Der Erzieher stellte Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle wegen „vorsätzlicher schriftlicher und mündlicher Falschaussage, weil ihm das Arbeitsamt doch versichert hatte, das alle Daten gelöscht worden seien. Er beschuldigte das Arbeitsamt, „grob fahrlässig und rechtswidrig“ gehandelt zu haben. Dadurch sei er „in seiner Ehre wesentlich gekränkt, verunglimpft, beleidigt und arglistig getäuscht.“

Jede Form von Fahrlässigkeit oder gar Vorsätzlichkeit weist der Leiter der Leistungsabteilung beim Verdener Arbeitsamt, Bernhard Pahl, entschieden zurück: „Unsere Aussage im Widerspruchsbescheid war vollkommen korrekt. An den anderen Teil der Akte hat doch kein Mensch gedacht. Der hat uns gar nicht interessiert“.

Von subjektiven Eintragungen in Leistungsakten hält er grundsätzlich nichts: „Das wäre ein ganz schlechter Stil“. Aber im konkreten Arbeitsalltag, wenn ihm jemand „zu oft quer kommt“, dann kann er „auch nicht dafür garantieren, daß es immer so läuft wie es soll“.

Den menschlichen Faktor betont auch Günther Kaul vom Landesarbeitsamt Hannover, Referatsleiter für Angelegenheiten des Sozialgesetzbuches, an den der verunglimpfte Arbeitslose sich inzwischen gewandt hatte. Zum konkreten Fall verweigerte Kaul „aus Datenschutzgründen“ jede Auskunft. Natürlich gehörten nur „leistungsrelevante Daten“ in die Akten, aber „überall sind Menschen und überall kommt was vor“.

Am 5. März fand ein Gespräch zwischen dem Betroffenen und Vertretern des Landesarbeitsamtes sowie des Verdener Arbeitsamtes statt. Ergebnis: Alle negativen Kennzeichnungen müssen nun auch in der Leistunsakte beseitigt werden. Das Landesarbeitsamt entschuldigte sich inzwischen schriftlich für die unzulässigen Eintragungen: „Im Nachgang dazu bitte ich Sie, die von der Bundesanstalt für Arbeit vorgenommenen negativen Kennzeichnungen in Ihrer Leistungsakte zu entschuldigen“.

Ob damit die Rechnung beglichen ist, hat der Arbeitslose für sich noch nicht entschieden. Er, der sich in der Rolle des Querulanten auch ein bißchen gefällt, prüft gegenwärtig, ob er nicht noch eine Schadensersatzklage dranhängen sollte, denn „Wer weiß, wie viele Arbeitsstellen mir durch die negative Kennzeichnung verloren gegangen sind?“ Marie Beckmann

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