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Ich pflanze gern Bäume

■ Christiane Peitz sprach mit Aki Kaurismäki über seinen Film „Das Leben der Bohème“

Uraufgeführt wurde der neue Film des finnischen Regisseurs, frei nach Motiven des gleichnamigen Romans von Henri Murger, beim „Internationalen Forum“ der diesjährigen Berlinale. In unserer Filmkritik vom 20.2. hieß es: „Verkommene Wohnungen, düstere Kneipen, enge Treppenhäuser, ein Chanson auf dem Grammophon. Auf die Brandmauer fällt der Schatten eines Fensterkreuzes, die Silhouette eines Baumes schwankt im Licht, und die Straßenlaterne malt helle Quadrate auf die Zimmerwand, vor der sich die Bewegungen der Bewohner abzeichnen wie Scherenschnitte: Kino als Schattenspiel. Aber Kaurismäki ist kein Romantiker, seine Nostalgie gebrochen: In den Himmel über Paris ragen Fernsehantennen, die Band in der Kneipe spielt Punkmusik, und auf dem Polizeirevier sammeln sich die Obdachlosen von heute. Kaurismäkis Bohèmiens leben 1991 — zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Das Interview mit Aki Kaurismäki fand während der Berlinale statt.

taz: Berlinale-Direktor Moritz de Hadeln erzählte auf einer Pressekonferenz, diesmal habe er wirklich versucht, Ihren Film für den Wettbewerb zu bekommen. Stimmt das?

Aki Kaurismäki: Ja, er hat es versucht. Sehr sogar. Ich sagte ihm, wenn er fünf Wochen lang zu uns kommt, zeige ich ihm den Film. Ich habe nichts gegen de Hadeln, auch nichts gegen den Berlinale-Wettbewerb; aber ich habe nicht das Gefühl, daß Wettbewerb gut für Filme ist.

Ihre früheren Filme, „Ariel“ und „Schuld und Sühne“, waren für Berlinale-Wettbewerbe vorgesehen, beide Male hat de Hadeln sie kurz vor Beginn des Festivals aus dem Programm genommen, zugunsten amerikanischer Filme. War es so?

Ja. Das passierte uns oft, das letzte Mal bei Ariel. Ich dachte, wenn es nicht okay ist für sie, dann sollen sie ihren Wettbewerb eben ohne meine Filme machen. Wettbewerb mag ich sowieso nicht.

Warum nicht?

Weil die Leute nur nach den Preisen schielen. Sie sind dann keine Freunde mehr. Konkurrenzgefühle sind für niemanden gut, auch nicht für Filmemacher. Ich werde mein ganzes Leben lang nicht in Wettbewerbe gehen.

Auch nicht nach Cannes?

Sie haben angefragt, diesmal. Aber ich bleibe dem „Forum“ treu. Auch in Cannes gibt es ein Forum, die „Quinzaine des Réalisateurs“. Das mag ich.

Immerhin gaben Sie de Hadeln Ihren Kurzfilm „Those Were the Days“ mit den Leningrad Cowboys. Sehr häßliche Musik. War das Ihre Rache?

Nein. Es war lustig und traurig. Sie wollten Das Leben der Bohème für den Wettbewerb, ich sagte nein. Sie wollten den Kurzfilm für den Wettbewerb, ich sagte nein, nur außer Konkurrenz. Wenn man sich einmal für etwas entschieden hat, sollte man dabei bleiben. Ich habe den Eindruck, daß de Hadeln nicht sonderlich an Filmen und Filmemachern interessiert ist, die nicht schon berühmt sind. Deshalb hat er keine Chance, neue zu finden. Und wenn er meine frühen Filme, den unbekannten Kaurismäki, nicht wollte, warum sollte er sie jetzt bekommen?

Sie wollten Murgers Roman „Das Leben der Bohème“ schon vor langer Zeit verfilmen. Was hat Sie an den Roman interessiert? Hat es etwas damit zu tun, daß die Pariser Bohèmiens ein ähnliches Leben führen wie eine finnische Filmcrew?

Nein, eine finnische Filmcrew ist besser organisiert. Aber als ich das Buch las, lebte ich genauso wie die Leute im Buch. In einem Haus, mit Freunden, immer auf der Suche nach Geld und damit beschäftigt, das nächste Bier zu organisieren. Das Buch war unser Leben, und ich liebte das Buch. Ich habe den Film gemacht, damit die Leute sich für das Buch interessieren.

(Zu den beiden Fotografen) Bitte macht keine Fotos von mir, mein Kopf ist aufgeschwollen wie ein Ballon. Ich brauche zwei Taxis, um nach Hause zu fahren, eins für den Kopf, eins für den Rest.

(Die Fotografen bitten ihn, kurz ans Fenster zu kommen, wegen des Lichts.) Licht ist egal. Macht Eure Arbeit. Gut, eine halbe Minute. Aber nicht nach draußen. Ich gehe nicht raus.

Als Sie das Buch lasen, 1976, konnten Sie keinen Film daraus machen.

Ich wußte, es ist ein großes Buch. Aber jeder starrte mich nur verwundert an, wenn ich sagte, ich will es verfilmen. Ich hatte kein Geld, keine Kamera, keinen Kameramann, keine Erfahrung als Filmemacher. Außerdem sagt Murger in seinem Vorwort, daß Das Leben der Bohème nirgendwo anders als in Paris spielen könne. Deshalb mußte ich so lange warten, bis ich in der Lage war, nach Paris zu gehen. Als ich schließlich da war, war ich sehr müde.

Müde?

Vom Filmen.

Aber man sieht es dem Film nicht an.

Haben Sie ihn gesehen?

Ja.

Mögen Sie ihn?

Ja. Er sieht aus wie ein Stummfilm, aber es wird ununterbrochen geredet. So viel wie noch nie in einem Kaurismäki-Film.

(lacht) Wenn ich einen Stil habe, dessen ich mir nicht sicher bin, dann ist dieser Film... dann wird es immer abstrakter. Ich muß mich immer daran erinnern, daß ich eine Geschichte zu erzählen habe. Mehr und mehr mache ich Filme für mich selbst. Wenn sie mich glücklich machen, ist es okay. Das heißt nicht, daß mir die Zuschauer egal sind. Ich bin Teil des Publikums, ich mache den Film für mich als einen aus dem Publikum.

Mögen Sie Stummfilme? Viele Einstellungen aus „Das Leben der Bohème“, die Schatten der Häuser, die Szene, als der Zug abfährt, wirken wie eine Erinnerung an die Anfänge der Filmgeschichte.

Das Kino heute ist schrecklich, das macht mir Kummer. Es gibt kein Kino mehr, ich flüchte mich mehr und mehr in die Vergangenheit. Erst zog ich mich in die fünfziger Jahre zurück, dann in die vierziger, jetzt bin ich beim Stummfilm angekommen. Aber „Das Leben der Bohème“ kann man kaum einen Stummfilm nennen. Es wird ja ununterbrochen geredet. Das liegt nicht an mir, sondern am Buch. Bei Murger gibt es keine Handlung, nur Reden.

War das schwer für Sie: ein Film mit so vielen Dialogen?

Nein, früher war ich der schnellste Dialogschreiber Finnlands, vielleicht sogar Europas. Ich schrieb Dialoge von sechs Seiten und mehr. Ich redete zuviel, und ich wurde es leid. Deshalb ließ ich das Reden in meinen Filmen weg.

In „Das Leben...“ treten berühmte Kollegen von Ihnen auf: Sam Fuller als Verleger, Louis Malle als Gönner und auch berühmte Schauspieler: Léaud, André Penvern. Wie haben Sie das gemacht? Haben Sie Malle angerufen und gefragt, ob er mitspielt?

Jean-Pierre [Léaud] spielte ja schon in meinem letzten Film in London mit, in I Hired a Contract Killer. Ich verehre Léaud seit der Zeit, als ich ein junger Filmfreak war und täglich sechs Filme sah. Wenn ich selber spielte, ahmte ich ihn immer nach. Louis Malle gehört ein Teil der französischen Produktionsfirma, die Das Leben der Bohème produziert hat. Regisseure als Mitwirkende sind sehr billig. Sie trauen sich nie, nach Geld zu fragen. So konnte ich sparen.

Malle und Fuller aus Kostengründen? Das glaube ich nicht.

Gut, ich würde nie einen schlechten Filmemacher fragen, ob er eine Rolle übernimmt.

Also gibt es doch ein paar Filme seit dem Ende der Stummfilmzeit, die sie mögen.

Ja, aber die meisten sind vor 1960 entstanden. Und ich gucke mir jeden Jarmusch und jeden Wenders an. Es gibt schon noch ein paar gute Filme, aber in den fünziger und vierziger Jahren muß es jede Woche ein neues Meisterwerk gegeben haben. Heute muß man drei Jahre warten.

Welches Meisterwerk haben Sie zuletzt gesehen?

(undeutlich) Nanuk.

Nanuk?

Von Flaherty. Nanuk, Sohn der Kälte. Das ist ein Meisterwerk. (Kaurismäki meint Robert Flahertys Dokumentarfilm über die Eskimos von 1921, „Nanook of the North“).

Auch Ihre eigenen Filme mögen Sie nicht, haben Sie früher einmal gesagt. Ist das immer noch so?

Ja, ich mag sie nicht. Diesen habe ich nie gesehen.

Sie haben „Das Leben der Bohème“ nie gesehen?

Ich hab ihn geschrieben, gedreht, geschnitten und gemischt, das genügt.

Sie haben aber gesagt, Sie machen einen Film für sich selbst als Zuschauer. Das macht doch keinen Sinn, wenn Sie ihn sich nicht einmal anschauen.

Ich weiß, wie er aussieht. Ich hab ihn ja millionen Mal beim Cutten gesehen. Ich habe die ersten Muster kontrolliert, ich war nicht zufrieden. Ich habe auch nicht die richtige Reihenfolge gesehen, die fünfte Rolle, dann die dritte, die zweite und so weiter. Aber ich kenne jede Sekunde, jede Einstellung, ich habe wirklich keinen Grund, mir den Film anzusehen.

Wenn Sie den Film so genau im Kopf haben, warum drehen Sie ihn dann? Kino im Kopf — das wäre am billigsten.

Aber Sie hätten ihn nicht sehen können. Und Sie müssen ihn sehen, es ist wichtig für Ihre geistige Entwicklung.

„Ich mag das Heute nicht“

Das Paris in „Das Leben der Bohème“ ist das Paris des 19. Jahrhunderts. Malakoff, der Vorort, wo Sie drehten, sieht aus wie Montmartre vor vielleicht 150 Jahren. Dennoch verbergen Sie das heutige Paris nicht. Man sieht Antennen auf den Dächern, Straßenschilder, Autos: Warum diese ungewöhnliche Mischung?

Eine gute Frage. Ich weiß nicht warum. Ich mag das Heute nicht. Ich mag die moderne Welt nicht, überhaupt nicht. Unbewußt habe ich wohl versucht, eine Welt aus der Vergangenheit zu zeigen.

Aber die heutige Welt ist trotzdem zu sehen. In der Gefängnis-Szene sieht man Leute von heute, die Musik in der Kneipe ist Musik von heute.

Nein, die Musik ist nicht von heute. Aber ich wollte auch keinen Kostümfilm machen. Das ist zu kompliziert. Ich erzähle meine Geschichte nun einmal heute und filme in den Straßen von heute. Wenn ein Auto vorbeifährt, versuche ich zu vermeiden, daß man es sieht, aber wenn es drin ist, macht es auch nichts. Ich zeige keine modernen Gebäude. Wenn überhaupt, dann um zu zeigen, wie häßlich sie im Vergleich zu den alten sind.

Es muß ja ein schreckliches Leben für Sie sein, wenn Sie nichts mögen, was Sie umgibt.

Na ja, das Bier ist kalt (Während des Interviews trinkt Kaurismäki Frankenwein mit Eiswürfeln; draußen schneit es).

Wenn es Eis gibt, halten Sie es aus?

Es gibt auch noch ein paar nette Leute. Aber unsere Generation wird die letzte sein, die sich noch daran erinnert, wie die Natur einmal war und die Kultur. Ich habe Mitleid mit der nächsten Generation. Sie wird auf dem Mars leben.

Hat „Das Leben der Bohème“ deshalb einen traurigen Schluß?

Ich habe noch nie einen Film mit einem traurigen Schluß gemacht. Bisher habe ich meinen Helden immer eine Chance gelassen. Aber ein Melodram kann man nicht mit einem Happy End beschließen.

Sie haben doch Melodramen mit Happy End gemacht.

Es war Zeit für ein trauriges Ende. Es macht mich glücklich.

Das Lied, das am Ende gesungen wird, klingt wie ein finnischer Blues. Ich habe gelesen, es ist ein japanisches Lied.

Es ist japanisch, das wie finnisch klingt. Es stammt von einem Barkeeper in einem finnischen Dorf, einem Freund von mir. Der Mann ist Japaner und hat eine Finnin geheiratet. Die beiden haben sich vor fünzehn Jahren an der Moskauer Universität kennengelernt und ein äthiopisches Kind adoptiert. Das erste schwarze Kind, das japanisch und finnisch spricht. Der Mann ist eigentlich Doktor der Soziologie, aber er arbeitet als Barkeeper. Und er ist ein großer Sänger. Sie sollten 'Hound Dog' von ihm hören und die anderen Elvis- Presley-Songs. Immer wenn wenn wir ein Fest im Dorf feiern, singt er japanische Lieder oder Rock'n 'Roll, alles mögliche. Auf einem dieser Feste hörte ich dieses Lied, und ich dachte, es muß unbedingt am Schluß des Films stehen. Also kam er in unser Tonstudio, ich stellte ihm ein Mikrofon hin und wir nahmen es auf.

„I Hired a Contract Killer“ spielt in London, „Das Leben der Bohème“ in Paris. Werden Sie je wieder einen Film in Finnland drehen?

Der nächste wird finnisch sein, wir werden ihn in Estland drehen. Die Sprache ist dieselbe.

Sie können estnisch?

Ja, es ist mehr oder weniger dasselbe.

Schwarzweiß und Farbe

In „Das Leben der Bohème“ spielen die finnischen Schauspieler Franzosen oder Iren oder einen albanischen Flüchtling. Aber man sieht und hört immer, daß es Finnen sind...

Sie hatten ja nur drei Tage Zeit, Französisch zu lernen, vielleicht auch vier.

Es hat jedenfalls einen interessanten Effekt: Es gibt eine Distanz zwischen der Rolle und dem Schauspieler, eine Art Verfremdungseffekt.

Oh, das ist schlecht. Es tut mir leid, wenn Sie das merken. Man darf keinen Unterschied sehen zwischen dem Schauspieler und dem, den er spielt.

Es stört mich nicht, mir gefällt die Kombination: Auf der einen Seite ist es ein Film fürs Herz, man kann lachen und weinen, auf der anderen Seite gibt es diese Distanz. Sie hätten es ja auch anders machen können, ich nehme an, Sie haben es so gewollt, und ich möchte wissen, warum.

Ich konnte nicht anders. Einen modernen französischen Film kann ich nicht machen.

Es könnte ja sein, daß Sie nicht wollen, daß ich als Zuschauer zu sehr mitfühle.

Ich möchte aber, daß Sie mitfühlen, sehr sogar. Ich wollte einfach wieder mit Matti arbeiten [Matti Pellonpää, er spielt einen Maler aus Albanien]. Da er kein Französisch spricht, mußten wir uns etwas einfallen lassen: Deshalb ist er ein Albaner. Ich spreche selber auch kein Französisch. Es war sehr lustig, einen Film auf französisch zu machen mit einem Schauspieler, der kein Französisch kann, und einem Regisseur, der kein Französisch kann. Ich wußte nie, ob die Schauspieler den Satz sagen, den ich geschrieben hatte, oder nicht.

Das wird in Estland anders sein.

Es wird sehr schwarzweiß sein.

Wieder ein Schwarzweißfilm?

Ja. Manche Geschichten sind in Farbe, manche in Schwarzweiß. Da kann man nichts machen. Wenn ich die erste Idee zu einem Film habe, ist sie schwarzweiß oder in Farbe. Es hat etwas mit dem Grad des Realismus zu tun. Eine so melodramatische Geschichte wie Das Leben der Bohème kann man nicht in Farbe erzählen. Die Leute glauben einem dann nicht.

In dem Dokumentarfilm über die Dreharbeiten „Wo ist Musette?“ sieht man, daß Sie trotzdem mit Farben gearbeitet haben. Die Räume sind in bestimmten Farben gehalten, die Kleider auch. Warum?

In „Das Leben...“ gibt es die schönsten Farben seit Erfindung des Farbfilms. Manchmal war ich richtig traurig, daß wir in Schwarzweiß gedreht haben. Wenn man auch die Kleider und den Set schwarzweiß hält, wird es zu schwarzweiß. Farbe ist ein Aspekt der Wirklichkeit, und man muß ihn berücksichtigen. Ich wollte ja einen relativ realistischen Film machen und nichts weglassen — außer die langweiligen Stellen.

Es gibt kein geistiges Eigentum

Gerüchten zufolge beschuldigt ein Berliner Autor Sie des Plagiats: Sie sollen Bußgelder bezahlen, weil Sie „I Hired a Contract Killer“ bei ihm abgeschrieben hätten.

Ich kenne noch nicht einmal den Namen des Mannes. Ich dachte, es ist ein Witz. Aber es scheint ernst zu sein. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, daß ich verklagt und verurteilt worden bin. In einem Prozeß, über den man mich nicht einmal informiert hat. Ich glaube, so etwas gab es in der Sowjetunion in den dreißiger Jahren. Jetzt habe ich mir einen Anwalt genommen. Es ist lächerlich, aber es hat mich zwei Tage lang sehr traurig gemacht. Ich bin ein ehrlicher Mensch, und ich möchte nicht für etwas angeklagt werden, was ich nicht gemacht habe. Ich bin in kein deutsches Produktionsbüro eingebrochen und habe mit der Taschenlampe nach brauchbaren Drehbüchern gesucht, eins gestohlen und nach Finnland geschafft und dann ins Finnische übersetzt. Ich kann doch nicht einmal Deutsch.

Dann wird Ihre Verteidigung es ja leicht haben.

Das Beleidigendste daran ist, daß ich vielleicht kein genialer Autor bin, aber ich glaube, ich schreibe ganz gut. Und dann kommt so ein blutiger Anfänger daher und behauptet, ich hätte von ihm abgeschrieben. Ich habe für meine Filme Texte von Shakespeare verwendet, Dostojewski, Murger, Sartre, ich glaube nicht, daß das Drehbuch dieses Arschlochs qualitativ mithalten könnte.

Glauben Sie an geistiges Eigentum?

Auf der Bühne, in der dramatischen Kunst hat es in den letzten 600 Jahren nichts Neues gegeben. Die Ideen sind alle längst da, es gibt nur Modifizierungen. Es sind vielleicht zwanzig Grundideen. Ich weiß nicht, wie dieser Knabe darauf kommt, die Idee mit dem Contract Killer — daß jemand sich seinen eigenen Mörder dingt — stamme von ihm. Allein in den letzten fünf Jahren sind drei Filme darüber gedreht worden. Die Beweisführung dieses Menschen, dessen Drehbuch ich nie gesehen habe, geht so: Seine Geschichte spielt in Marseille, meine in London. Beides sind Hafenstädte, also, sagt er, hätte ich von ihm abgeschrieben.

Wird Ihr nächster Film, der estnische, wieder auf einen literarischen Text zurückgehen oder basiert er auf Ihrer „eigenen“ Idee?

Diesmal habe ich sie einem albanischen Drehbuchautor gestohlen. Ich war ein Jahr in Albanien und habe alle Drehbücher gestohlen. Nein, es ist mehr oder weniger ein Originaldrehbuch. Es wird eine Art Undergroundfilm. Nach einem so ernsthaften Melodram muß ich wieder etwas Lockeres machen. Der Hauptdarsteller von Hamlet Goes Business [Pirkka-Pekka Petelius] soll die Hauptrolle spielen. Aber ich habe ihn noch nicht gefragt, ich weiß nicht, wann ich den Film mache, vielleicht nächstes Jahr. Ich bin so müde.

Was machen Sie, wenn Sie keinen Film drehen?

Ich ziehe Wein.

In Finnland?

In Griechenland.

Ziehen Sie ihn, um ihn zu trinken?

Nein, ich trinke ihn nicht. Ich mag es bloß, wenn etwas wächst. Ich pflanze gern Bäume. Es kostet nichts.

Wenn Ihnen das mehr Spaß macht, warum drehen Sie dann Filme?

Ich bin zu unruhig, um aufzuhören. Eigentlich sollte ich aufhören, denn es bringt mich um. Ich rauche zuviel und ich trinke zuviel, wenn ich drehe. Nicht immer, aber manchmal. Hinterher bin ich immer krank. Aber ich mag die Gesellschaft. Wenn ich nur noch Wein ziehe, mit wem soll ich dann Unsinn reden?

Sie können die andern einladen.

Nein, es ist besser bei der Arbeit. Wenn man zusammen arbeitet, hat man einen Grund, Unsinn zu reden.

Aki Kaurismäki: Das Leben der Bohème. Nach dem Roman Scènes de la vie de bohème von Henri Murger, mit Matti Pellonpää, Kari Väänänen, André Wilms, Finnland/ Frankreich 1991, sw, 100 Minuten. Ab nächsten Donnerstag in den Kinos.

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