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Droht dem Schwammberger-Prozeß kurz vor Ende eine zynische Wende?

Im wahrscheinlich letzten großen NS-Verfahren ist erstmals ein Wahlverteidiger eingestiegen  ■ Aus Stuttgart Edgar Neumann

„Ich möchte dem hohen Gericht für das Verständnis danken und für das objektive Verfahren.“ Der 68jährige heute in Kanada lebende leitende Angestellte Rafael Dominic bringt am Ende seiner Zeugenaussage zum Ausdruck, was vor ihm schon zahlreiche andere Überlebende des Holocausts im Zeugenstand formulierten. Nach seinem Eindruck wird in dem vermutlich letzten großen NS- Prozeß gegen den 80jährigen früheren SS-Oberscharführer Josef Schwammberger vor dem Landgericht Stuttgart von allen Beteiligten— mit Ausnahme des Angeklagten — zumindest der ehrliche Versuch unternommen, auch der schwerwiegenden moralischen Verantwortung den Opfern gegenüber gerecht zu werden. Daß sich dies jedoch in den letzten Prozeßtagen möglicherweise noch ändert, dafür könnte ein neues Gesicht auf der Verteidigerbank sorgen. Bisher wurde Schwammberger, der laut Anklage als Lagerkommandant im besetzten Polen zwischen 1941 und 1944 am tausendfachen Mord an jüdischen Zwangsarbeitern beteiligt war, durch zwei vom Gericht beigeordnete Pflichtverteidiger vertreten. Am 55. Verhandlungstag legitimierte sich vor der 9. Strafkammer überraschend Heinrich Blessinger, ein Rechtsanwalt aus dem bayrischen Miesbach, als Wahlverteidiger Schwammbergers. Von Journalisten nach seinem Vornamen gefragt, bemüht er sogar Goethe: „Heinrich, mir graut vor Dir“, ohne jedoch zu erklären, welcher Hintersinn sich für ihn in diesem Faust-Zitat verbirgt.

Für viele Prozeßbesucher wird dies jedoch recht bald deutlich, als Blessinger sich in einen Streit mit dem vom Gericht bestellten Gutachter, dem Berliner Historiker Prof. Wolfgang Scheffler, verstrickt. Der Wissenschaftler stellt bei seinem zweiten Auftritt vor Gericht noch einmal die Entscheidungsabläufe und Zuständigkeiten innerhalb der vielschichtigen Nazi-Hierarchie bei dem Völkermord an den Juden dar. Dabei beleuchtet er auch die durchaus widerstrebenden Interessen zwischen Wehrmacht und deutscher Rüstungsindustrie einerseits, die „die Weiterbeschäftigung der Juden“ als billige Arbeitskräfte „als kriegsentscheidend“ ansahen und SS und Gestapo andererseits, die auf Befehl Himmlers planmäßig die Vernichtung der Juden vorantrieben. Scheffler machte auch deutlich, daß die Deportationen zahlreiche Dienststellen über längere Zeit „in Atem hielt“, so daß jeder, der dort arbeitete, „eigentlich erklären müßte, warum er bestimmte Dinge nicht wahrgenommen hat.“

Daß es genaue diese Dinge— nämlich die täglichen Erschießungen und Greueltaten, wie sie auch viele Zeugen im Prozeß beschrieben hatten — angeblich gar nicht gab, will nun offenbar Wahlverteidiger Blessinger nachweisen. Er versteigt sich gar in die These, es habe das Risiko strenger Bestrafung für diejenigen bestanden, die seinerzeit willkürlich jüdische Zwangsarbeiter erschossen hätten. Darauf habe sich auch sein Wahlmandant Schwammberger berufen, der bisher vor Gericht die ihm zur Last gelegten Verbrechen bestritten und lediglich eingeräumt hatte, das Ghetto A im polnischen Przemysl geleitet zu haben. Blessinger fügt hinzu: „Seine Einlaßung erscheint mir selbstverständlich.“ Mit Nachfragen nach den Erkenntnisquellen des Historikers versucht der Anwalt schließlich, dessen Darstellung in Zweifel zu ziehen. Als sich Scheffler auf die Aussagen von Opfern, aber auch von verurteilten NS- Verbrechern in früheren Prozessen bezieht, stellt der Wahlverteidiger die rhetorische Frage in den Raum: „Entspricht die Zahl der Verurteilten auch nur annähernd der Zahl der angeblich begangenen Verbrechen?“

Die Befürchtung manch eines Prozeßbesuchers nimmt noch mehr Gestalt an, als Blessinger schließlich mehrere Beweisanträge stellt. Besonders zynisch nimmt sich der Antrag für ein Gutachten aus, wonach es nicht möglich sei, Leichen so zu verbrennen, „daß keine Rückstände bzw. nur Asche als Rückstände verbleiben.“ Hintergrund hierfür ist die Schwammberger ebenfalls angelastete „Turnhallen-Aktion“, bei der im September 1943 in Przemysl zwischen 1.000 und 1.500 jüdische Gefangene erschossen und anschließend verbrannt wurden.

Eine schlimme ideologische Wende am Ende des seit nunmehr fast neun Monaten dauernden Verfahrens, das auch im Ausland noch immer mit großer Aufmerksamkeit beobachtet wird, befürchten nicht nur viele Prozeßbeobachter. Auch die beiden Stuttgarter Pflichtverteidiger Dieter König und Achim Bächle machen aus ihrer Abneigung ihrem ungewollten Sozius gegenüber keinen Hehl. Daß sie sich nach dem bisherigen Prozeßmarathon nun vom Gericht vorzeitig entpflichten lassen wollen, liegt nahe. In den Verhandlungspausen machen König und Bächle deutlich, wie wenig ihnen an einem gemeinsamen Plädoyer mit dem neuen Verteidiger liegt. War doch ihre bisherige Arbeit schon eine ständige Gratwanderung zwischen dem Schutz der Rechte eines Angeklagten und der Schwierigkeit, der moralischen und historischen Dimension des Verfahrens gerecht zu werden. Nun aber befürchten die beiden Pflichtverteidiger, von ihrem Kollegen gar mit der „Ausschwitz- Lüge“ konfrontiert zu werden. Dabei wurden sie selbst oft genug kritisiert, wenn sie den einen oder anderen der bisher achtunddreißig vor Gericht aufgetretenen Zeugen intensiver auf Widersprüche in dessen Aussagen befragten. Häufig wurde die moralische Frage in den Raum gestellt, wie man angesichts der von Überlebenden geschilderten Greueltaten und Grausamkeiten einen solchen Angeklagten überhaupt verteidigen könne. Bächle hielt solchen Vorhaltungen immer entgegen, es sei wichtig, daß gerade in einem solchen Prozeß nicht jemand mit innerer Überzeugung die rechtsstaatlich wichtige Verteidigung übernimmt. Genau dies scheint nun jedoch eingetreten zu sein. Wenn das Gericht in der kommenden Woche von einer weiteren Reise in die USA zu einer konsularischen Zeugenvernehmung zurückkehrt, wird mit Spannung verfolgt werden, ob das Verfahren durch neue Anträge verschleppt wird, wie das die Staatsanwaltschaft befürchtet, oder ob in absehbarer Zeit gegen Josef Schwammberger ein Urteil ergeht, das dem von vielen Überlebenden geäußerten Wunsch entspricht: „Nicht Rache, aber Gerechtigkeit.“

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