Der Kultur ans Bein pissen

■ Ein Interview mit Jürgen Müller, dem Chef der »Berliner Kabarett-Anstalt«, über vier Jahre BKA, das Berliner Publikum und ein Experiment mit Messer und Gabel

Wenn mein BVG-Kontrolleur eine Brille trüge oder den Fahrschein einfach dicht unter die Nase hielte, dann könnte er das Kleingedruckte vielleicht lesen: »Schwarzfahren steckt an.« Der Papierstreifen lockt nämlich nicht nur als Eintrittskarte in die Berliner Kabarett-Anstalt (BKA), sondern ist auch unter sparsamen U- Bahn-Fahrern äußerst beliebt. Hoch über den Dächern Berlins, in einer riesigen Etage am Mehringdamm 34, residieren seit nunmehr vier Jahren Chansonniers und Diseusen, stottern Kabarettisten, vergaloppieren sich Comedy-Stars. Platz gibt es für 250 Abend- und Nachtschwärmer, die — hauseigene Cocktails schwenkend — verschlissene Cordstühle mit Begeisterung weiter durchsitzen. Wer es nicht nur halbseiden, sondern auch rustikal liebt, kann sich in den beiden BKA-Zelten an der Philharmonie belustigen. Hier stehen Hans Liberg oder Lisa Fitz auf dem Podest, und pünklich zum vierjährigen Jubiläum wird neben dem Zelt ein Restaurant eingeweiht, für Gourmets, Gourmands und Kleinkunstfans.

taz: Ende März hat das BKA Geburtstag. Was wünscht es sich?

Jürgen Müller: Daß es wächst und gedeiht. Also alles, nur keine Schmidtshow, wo die Menschen ausgepreßt und anschließend weggeschmissen werden. Im BKA soll eine Einmischung in aktuelle politische Fragen und Lebenslagen stattfinden. Es muß urteilen oder nicht urteilen, zum Beispiel, ob man legal kiffen, ficken und ich weiß nicht was darf.

Ist das so besonders?

Nein. Wir haben einfach das spannendste Publikum in Berlin, auch wenn wir nicht immer ausverkauft sind. Alte, Junge, Punks, Pelzmäntelträger, die ganze Palette, es wird keiner ausgegrenzt. Die sollen alle etwas zu lachen haben. Lachen ist die Kunst des Überlebens und das Entwaffnendste, was man sich denken kann.

Was für ein Kabarett willst du machen?

Es geht mir um den inneren Schweinehund. Das Unterbewußte muß nach oben kommen. Lange wollte die Kunst zeigen, wie schön und wie edel der Mensch ist. Ich drehe das um. Ich will der Kultur ans Bein pissen. Sonst ist es langweilig. In der Zauberflöte trällern nur eitle Säcke. Der Sinn geht einfach flöten, wenn man darauf achten muß, wer wie einen Ton fünf Minuten halten kann... Ich möchte mit dem BKA tatsächlich etwas initiieren. Kabarett ist die Form, die dir alles gestattet. Wir hatten zum Beispiel in der Geisterstunde eine Moderation zum Ficken. Ich fand, das war eine unserer schönsten Shows. Nicht penetrant, nicht frivol, nicht schlüpfrig, sondern sehr intelligent und sehr sinnlich.

Also genau das, was die BKA- Show »Zwei dicke Eier« nicht schafft?

Ich finde deren neue Produktion rundum Scheiße. Und wenn die nicht besser werden, dann schmeiße ich die raus... Nein, ich liebe das Experiment. Tim Fischer, ein 19jähriger, der die Bude von Knall auf Fall vollgemacht hat. Er singt abgöttisch. Er singt Zarah Leander...

Das klingt sehr beschaulich. Sind denn schon alle Tabus gebrochen?

Nein, natürlich nicht. Sagst du deinem Freund, daß er ein Arschloch ist, und zwar so knallhart, daß das Konsequenzen hat? Sagst du jemandem, daß er fett ist? Ich habe eher das Gefühl, daß die alten 68er, die jetzt ins Geschäft einsteigen, anfangen, neue Tabus aufzubauen. Sie wollen nicht daran erinnert werden, was ihre eigentlichen Träume einmal waren. Die haben auf einmal für Sicherheit zu sorgen, für ihre Kinder usw.

Wie haben die denn mit Kabarett angefangen?

Sie haben, wie ich auch, Anfang der 70er Jahre Politik gemacht. Ich erlebte zwar nur noch die unschönen Sachen, die Auflösungsgeschichten der K-Gruppen zum Beispiel. Ich habe an der roten Fahne gehangen, obwohl das Sinnliche zu dem Zeitpunkt bereits tot, deren Themen furztrocken waren. Seit 1977 mache ich Kabarett, auf und hinter der Bühne. 1983 waren wir auf unserem Höhepunkt, danach konnte das Publikum mit unserem Programm immer weniger anfangen. Die Alt-Linken sind damals schon zu Ikea gelaufen und haben zugesehen, daß sie ihre Apfelsinenkisten umtauschen. 1985 haben wir das Mehringhof-Theater aufgegeben, und die Kabarettgruppe CdW hat dichtgemacht. Als die Enterbten sind wir dann zwei Jahre rumgetingelt, ohne feste Stätte. Man verliert sehr viel Zeit, hat nie ordentlichen Probenraum.

Jetzt arbeitest du seit vier Jahren auf einer 600-Quadratmeter-Etage, dort, wo vorher die »Dachluke«, Berlins älteste Disco, untergebracht war. Aber das Outfit garantiert kein gutes Kabarett.

Das Theater steckt in der Krise, weil man auf der Bühne nichts mehr sieht, was man nicht schon gesehen hat. Der Hund gleicht dem Herrchen und umgekehrt. Man wählt seit Jahren Kohl und hat sich damit abgefunden. Viele Kabarettisten sind so arriviert, daß sie den Nachwuchs vergessen, was arrogant und dumm ist. Sie vertun die Chance, genau wie die großen Theater, junge Künstler aus der freien Szene zu fördern.

Kunst muß anarchisch sein, elementar. Ich für mich, ich brauche nix. Ich kann sehr bescheiden leben. Ich reflektiere mich über den anderen, der mir gegenübersitzt. Für den ich was tun will, der was für mich tun kann. Wir müssen zusammen spielen. Und wenn das nicht funktioniert, also das funktioniert ja nirgendwo...

Vielleicht klappt das in der neuen Talkshow mit Matthias Frings. Sie heißt »Ein Essen für...«, und zur Premiere am 22.März ist Alfred Biolek geladen.

Ja, Biolek wird auf der Bühne von Frings mit Schweinebraten bekocht. Was erzählt so ein Mann, wenn er dabei essen muß? Was schluckt er runter? Talkshows sind ja selten spannend. Wenn wir den Gästen aber Messer und Gabel in die Hand geben, kommen wir vielleicht eher an ein Outing heran, als wenn jemand in irgendeinem Sitzmöbel nicht richtig sitzen kann. Die Gäste werden übrigens auch bekocht, nicht alle, aber an die hundert. Mehr Platz haben wir nicht.

Ist das alles, was dem BKA fehlt?

Wir haben Strukturprobleme. Ich werde als (macht eine abwertende Geste) Chef hier gesehen. Es steht zwar »Direktion« an der Tür, aber das ist eigentlich ein Witz. »Die drei Schwestern« hätte draufstehen sollen...

Die Arbeit hier ist nicht nur Kunst. Man arbeitet zwölf Monate, um dreimal auf der Bühne zu stehen. Der Rest ist Putzen, Werbung für andere, Buchhaltung. Wir müssen das genau nehmen. Klauerei, Veruntreuung, das ist hier schon zu oft vorgekommen. Gestern mußte ich drei Leute rausschmeißen, (lacht) heute habe ich sie wieder eingestellt. Leider geht es hier zu wie im Taubenschlag. Manchmal denke ich, das BKA ist eine Allzweckhalle. Viele nutzen die Bequemlichkeit der Räume, anstatt das zu tun, was getan werden muß. Das Plüschsofa, auf dem ich sitze, ist zum Beispiel ein Geschenk aus dem Hause Zabel. Hier ist er vielleicht mal gevögelt worden.

Das BKA hat, scheint's, seine Lieblinge.

Im letzten Jahr machten wir verstärkt ein schwules Programm. Nach meiner Erfahrung gehen die Schwulen am weitesten im Experiment, die sind am mutigsten. Melitta Sundström ist hier aufgetreten, sie ist HIV positiv. Aber ich halte nichts davon, von der Bühne herunter Verhaltensvorschriften zu geben, das muß jeder mit sich selbst klarkriegen.

Wie finanziert sich das BKA?

Hauptsächlich durch die Geduld der Gläubiger. Wir haben 120.000 Mark Schulden, denke ich. Bei vielen guten Shows müssen wir draufzahlen. Die Miete beträgt allein schon 8.000 Mark. Nur mit Hängen und Würgen hat der Senat damals den Umbau finanziert. Wir sind sogar in die CDU eingetreten, um anschließend in hohem Bogen wieder herauszufliegen. Eigentlich verstehen wir uns aber ganz gut mit dem Senat (auch wenn es eine Unverschämtheit ist, daß die UFA 1,2 Millionen bekommt). Die Stadt bezuschußt nur die Reihe »Unerhörte Musik«. Momentan verhandeln wir über eine Zusammenarbeit mit Marlboro.

34 Premieren hattet ihr in der letzten Saison. Was waren für dich die Highlights?

Hans Liberg und Sissy Perlinger, Tim Fischer...

Ist das BKA für dich die beste Berliner Kabarettanstalt?

(lacht) Die einzige. Interview: Mirjam Schaub

Mein Essen für Alfred — Matthias Frings im Gespräch mit Alfred Biolek. Am 22.3. um 20.30 Uhr im BKA-Zelt; Vorbestellung für das 3-Gänge-Menü bis Donnerstag, 19.3., beim BKA, Mehringdamm