Schieflagen in der Stadtentwicklung

■ 18. Runde im Stadtforum: Hassemer legt räumliches Strukturkonzept vor/ Hochhäuser am Alexanderplatz?/ Grüner Parkring soll Berlin umschließen/ Stau auf der Autobahn Neukölln

Berlin. Volker Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, zeigt Flagge; Hochglanzbroschürt und vielfarbig präsentierte er auf der 18. Sitzung des Berliner Stadtforums einen Leitfaden für ein »Räumliches Strukturkonzept (RSK)«. In der 52seitigen Werbeschrift aus seinem Hause für das »Berlin morgen« seien die »Hausaufgaben« niedergelegt zur räumlichen Vorstellung für die gesamte Stadt. Zugleich sei der »Versuch einer Gesamtbilanzierung der Anforderungen bei den gegebenen räumlichen Möglichkeiten unternommen worden«, meinte der Senator. Das Ergebnis stelle einen ersten Schritt der schon »stadtumgreifenden Konzeptentwicklung« dar, die als Entwurf in einen detaillierten Flächennutzungsplan einmünden werde. Die antichambrierenden Investoren, Bundestagspolitiker oder Transrapidfanatiker sollen mit einem Plan gebremst werden.

Die Planungsaufgaben sind — folgt man dem Leitfaden, der in der Stadtforumsrunde diskutiert wurde — Legion: Im Unterschied zur »Innenstadt als Wohnort« ist die Zuordnung von Wohngebieten und Arbeitsstätten im Nordosten Berlins unbefriedigend. Schlecht ausgestattete Stadtzentren und fehlende Arbeitsplätze im Bereich der Großsiedlungen zwingen die Bewohner zu langen Fahrten bis in die Innenstadt. Im Gegensatz zur südlichen Region Berlins existieren im Nordosten keine ausreichenden wirtschaftlichen und verkehrlichen Erschließungen.

Der »Innenstadtrand« entlang des S-Bahn-Rings mit seinen Industriebrachen wird an den Verkehrsknotenpunkten West- und Ostkreuz, Gesundbrunnen und am Sachsendamm zu Zentren für Handel und Gewerbe ausgebaut. Außerdem sollen die City-Kerne Alexanderplatz und Zoo zu östlichen beziehungsweise westlichen »Toren« am Eingang der Kernstadt erweitert werden. Dort seien »Vertikalakzente und architektonische Dominanten«, so der Bauhistoriker Bruno Flierl, vorstellbar. Die Höhenentwicklung der historischen Silhouette allerdings solle »nicht überfremdet« (!) werden.

Der Verkehr staut sich weiter auf vier luftgefüllten Rädern, wird doch der Autobahnring über Neukölln hinaus verlängert. Zudem behalten die östlichen Ringstraßen ihren Schneisencharakter. Der Ausbau diene »zur Abschirmung dichtbesiedelter Stadtbereiche vom Durchgangsverkehr«. Der öffentliche Verkehr soll so konzipiert werden, daß mit zunehmender Nähe zu den Zentrumskernen der Anteil des ÖPNV- Netzes steigt.

Schließlich soll die Spree als stadtprägendes Rückgrat durch Uferwege, Promenaden und Parks wieder stärker ins Bewußtsein rücken. Im Freiflächenprogramm des RSK werden, neben den Stadtparks Tempelhofer Feld oder Gleisdreieck, acht Standorte eines »äußeren Berliner Parkrings« vorgeschlagen. Dieser erstreckt sich von Altglienicke über Malchow bis nach Blankenfelde und bildet einen zusammenhängenden Erholungsrayon mit den südlichen und westlichen Seengebieten.

Die »Hausaufgaben« des RSK erscheinen nicht nur angesichts neuer großer Wohnsiedlungen am nordöstlichen Stadtrand fragwürdig erfüllt. Für »fünfundzwanzig Standorte könnten zwar Arbeitsstätten nachgewiesen werden«, wie Dietrich Flicke prognostizierte, die Anreize für Investoren — nämlich die verkehrlichen Infrastrukturen — aber fehlen. Die »räumliche Schieflage« in der Verteilung von Wohn- und Arbeitsplätzen zwischen Ost- und West-Berlin würde verstärkt. Schließlich nimmt uns das RSK nicht die Angst vor einem automobilen Kollaps. Vielmehr verstärkt sich die Sorge, daß mit verkehrseuphorischen Konzepten der 50er Jahre hantiert wird: Der steigende motorisierte Individualverkehr wird als fatale Folge der Vereinigung interpretiert, dem die Verwaltung mit Agonie begegnet. Die Trambahn fehlt in dem Konzept, für ihren Weiterbau in den Westteil der Stadt existiert bisher kein Planfeststellungsverfahren — daran erinnerte Jörg Rheinländer von der »BI- Westtangente«. »Wann der S-Bahn- Ring endlich wieder unter Strom stehen wird, können wir nicht sagen«, meinte Michael Stoll von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Rolf R. Lautenschläger