: Gegen Napoleon turnen
■ Turnvater Jahn, die Aufklärung und die Sportgeschichte: Eine Ausstellung
hier
Fechters
Maske
Die rostige Maske des rothen Ritters
Wenn sich ein Boris Becker das Schultergelenk aus der Verankerung schmettert oder sich Men
schen in wechselnder Zahl auf die verschiedensten Arten um einen Ball bemühen, hat das etwas mit Französischer Revolution und Aufklärung zu tun. Das läßt sich zur Zeit in der Kassenhalle der „Bremer Bank“ an der Domsheide nachvollziehen: Dort steht die Ausstellung „Sport in Deutschland — von Turnvater Jahn bis zur Gegenwart“, die die Geschichte des Sports in den letzten 175 Jahren nachvollzieht.
Ob Jean-Jaques Rousseau gedacht hätte, daß es mit den Ideen seines Erziehungsromanes „Emile“ einmal so enden würde? Auf dessen Grundlage bereiteten nämlich Ende des 18. Jahrhunderts die Philanthropen, die in ihrer Aufklärungspädagogik der Leibeserzeihung einen hohen Stellenwert einräumten, der modernen Leibeskultur den Weg.
Weiter ging es zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem berühmten Turnvater Jahn, das zeigen die rund zwei Dutzend Stelltafeln in der Kassenhalle: Die „Turnkunst“ war eine Vorbereitung des Befreiungskampfes gegen die napoleonische Fremdherrschaft, der Aufbau eines Volksheeres das Ziel. 1811 eröffnete der erste deutsche Turnplatz an der Berliner Hasenheide.
Alte Sportgeräte, denen heute wohl niemand mehr Leib und Leben anvertrauen würde, so zum Beispiel alte Massivholz-Rennskier oder eine leicht angerostete, eher durchlässig scheinende Fechtmaske, dekorieren die weitere Geschichte des Turnens und des Sports — dazwischen wurde nämlich peinlich genau unterschieden: Der Sport — so zum Beispiel Radfahren, Schwimmen, „Athletik“ und Fußball — trat um 1880 in Konkurrenz zum althergebrachten Turnen.
Frauen blieben bis zu den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts beim Turnen außen vor: Die Anhänger von Turnvater Jahn hielten sie mit unsinnigen medizinischen Argumenten und dem Verweis auf die Sittsamkeit davon ab. Der Bereich des Sports blieb den Frauen sogar bis zur Jahrhundertwende verschlossen. Wie der Wintersport anfing, wie sich die Sportorganisation in der Weimarer Republik aufsplitterte: das ist hier nachzulesen und zu begucken.
Von der Aufteilung der „rothen“ Sportler in einen kommunistischen und einen sozialdemokratisch orientierten Flügel — die dann beide 1933 zumeist gewaltsam aufgelöst wurden, erfährt man ebenso wie von der Instrumentalisierung der Sportler im Dritten Reich als „politische Soldaten“. Wisenschaftliche Leiter der Ausstellung sind die beiden Bochumer Professoren Dr.Horst Ueberhorst und Dr. Gerhard Reckendorf; sie interessieren sich nicht zuletzt auch für die unterschiedliche Entwicklung des Sports in den beiden deutschen Staaten.
Aktuell geben die beiden den BesucherInnen Weizsäcker-reife Worte mit auf den Weg: „Vereinen heißt schlicht teilen — und nur dann kann zusammenwachsen, was zusammengehört. Der Sport hat dabei eine wichtige Aufgabe.“ skai
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