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Die Masse des Umsatzes

■ betr.: "Metamorphose eines Paragraphen", taz vom 12.3.92

betr.: Leserbrief von Gloria aus Göttingen zu „Metamorphose eines Paragraphen“, taz vom 12.03.1992

Die vor allem von reaktionärfeministischer Seite geführte Kampagne gegen den „sexuellen Mißbrauch“ nicht nur von Kindern sondern neuerdings auch von Jugendlichen treibt mitunter recht seltsame Blüten.

So berichtet die ‘tageszeitung' [...] unlängst über die derzeit virulente Diskussion über die Streichung/Modifizierung der §§ 175 und 182 des strafgesetzbuches. Wie kaum anders zu erwarten erhob sich fast sofort vehementer Widerspruch aus unberufenem Frauenmunde. Eine „Gloria“ aus Göttingen [...] ließ es sich angelegen sein, ihren Senf dazuzugeben. Im Originaltext ihre Replik auf die Forderung nach ersatzloser Streichung dieser beiden Paragraphen: „In einer Zeit, in der das Ausmaß sexueller Verbrechen gegen Kinder und Jugendliche zunehmend sichtbar wird, kann die ersatzlose Streichung der wenigen betreffenden Paragraphen ja wohl nicht problemlösende Antwort sein.“

Was will Gloria dem Leser damit sagen? Der § 175 (der kriminalistisch kaum noch eine Rolle spielt und seine vornehmste Funktion in der Sicherstellung und ideologischen Untermauerung der Diskriminierung Homosexueller fand) und der § 182 (der aus alten Zeiten überkommen das jungfräuliche Eintreten ins gottgefällige Eheleben — oh Herr, bewahre uns vor vorehelichem Geschlechtsverkehr — garantieren sollte) sind unverzichtbar, weil es ja gilt, auch gegen „sexuelle Verbrechen“ zum Nachteil Jugendlicher anzugehen. Und wie tut man das? Ein dichtes Netz von „Selbsthilfegruppen“, psychologischen Praxen, psychiatrischen Einrichtungen etc., das von Staats wegen unterstützt und vor allem, dies ist das wichtigste, finanziert wird und an diesem inzwischen bis zur Hysterie aufgebauschten Thema arbeitet überzieht das Land, von der Etsch bis an den Elt ... und in ihm finden Hunderte — vor allem Frauen — Lohn und Brot. Weils mit den Kindern allein noch nicht so lukrativ ist, müssen jetzt eben auch Jugendliche aus der Selbsthilfe oder der Therapie bedürftig einbezogen werden. Ein neuer Markt tut sich da auf! Und wie überall macht die Masse des Umsatzes die Kohle! Gerade unter diesem Blickwinkel wärs ja gar zu schrecklich, wenns plötzlich keine ach so arg mißbrauchten Jugendlichen mehr gäbe, sondern solche, die selbstbestimmt und selbstbewußt ihre Sexualität leben und sich von den selbsternannten Muttis aus der SM-Bewegung nicht mehr vorschreiben lassen, wann und wie sie lieben dürfen.

Die anonyme Gloria weiß wohl, auf welch schwankenden Boden sie sich mit ihrer merkantil bestimmten Argumentation begibt und um Kritikern von vorneherein das Maul zu stopfen darf der in drohendem Ton vorgebrachte Nachsatz natürlich nicht fehlen: „Es ist schon merkwürdig, wie eifrig sich gerade Männer immer wieder für Sexualität mit Minderjährigen engagieren.“

Ich glaube, selbst bei angestrengstem Nachdenken wird es einer derart vernagelten Gloria nicht aufgehen, daß diese Männer (aber auch viele Frauen) längst begriffen haben, welche Funktion diese beiden von ihr wohl für (vor allem aus oben genannten Gründen) unverzichtbar gehaltenen Paragraphen tatsächlich haben und daraus zu Recht die Forderung ableiten: Weg mit 175 und 182 — aber subito! Dieter F. Ullmann, Berlin-Ost

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