piwik no script img

Mißtrauen bestimmt die Politik in Kenia

Der Staat demonstriert seine Stärke in den Straßen Nairobis/ Die Herrschenden halten Oppositionelle für Kriminelle/ Schürt Präsident Moi das Chaos, um den Ausnahmezustand auszurufen und die Demokratisierung zu verhindern?  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Über Stunden hinweg gleicht Nairobi derzeit an manchen Tagen einer besetzten Stadt: Bewaffnete Polizisten und Angehörige der paramilitärischen Einheit „GSU“ beziehen im Abstand von etwa zwanzig Metern auf allen Straßen der Innenstadt Posten. Fürchten sie eine Bedrohung — oder stellen sie selbst eine Bedrohung dar? Verstohlene Blicke Vorübergehender streifen die Repräsentanten der Staatsmacht. Die starren zurück: unbewegten Gesichts, selbstbewußt. Auf den Straßen sind auffallend viele Militärfahrzeuge unterwegs. Freunde und Kollegen fragen einander bei zufälligen Begegnungen und am Telefon: „Hast du sie gesehen? Was tun sie? Hat's wieder Unruhen gegeben?“ Niemand kommt auf die Idee, die Uniformträger selbst zu fragen. Zwischen der Bevölkerung und jenen, die für ihren Schutz bezahlt werden, herrscht ein mißtrauisches Schweigen. Meist bleibt die Frage, was den Einsatz veranlaßt hat, ein ungelöstes Rätsel. Die Posten ziehen wieder ab. Der Staat hat Stärke demonstriert.

Die wiederholte Präsenz von bewaffneten Einheiten im Straßenbild zeigt, daß sich die politische Krise in Kenia verschärft hat. Der Westen des Landes ist seit Tagen Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen verschiedenen Volksgruppen. Vergessen geglaubte ethnische Konflikte und Streitigkeiten um die Landverteilung haben Tausende von Kleinbauern und ihre Familien in die Flucht getrieben. In Kisumu am Victoria See und einigen kleineren Städten der Region sind Dutzende schwer verletzt worden, als die Polizei das Feuer auf Demonstranten eröffnete. Mindestens zwei Männer wurden getötet. Am Wochenende starben zehn Menschen bei Kämpfen auf dem Land. „Die Arbeiter wollen aus Angst, massakriert zu werden, nicht mehr auf den Baustellen der Umgebung übernachten“, berichtet ein Architekt. „Sie fahren abends mit bis in die nächste Stadt.“ Gemessen an den Vorfällen in der Provinz nehmen sich die Ereignisse in Nairobi harmlos aus: bei den zwei neuerlichen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung, die sich in den letzten zehn Tagen ereignet haben, gab es wenigstens keine Toten.

Hat Präsident Daniel Arap Moi also recht behalten mit seiner düsteren Prophezeiung, die Einführung des Mehrparteiensystems werde Chaos und Anarchie über Kenia bringen? Er hatte im Dezember nur widerwillig und unter dem Druck westlicher Geberländer der entsprechenden Verfassungsreform zugestimmt. Es mag so scheinen, als habe Moi die Lage richtig eingeschätzt — aber es gibt auch eine ganz andere Lesart der Ereignisse. „Die Regierung steckt selbst hinter all dem. Sie will Chaos erzeugen, um dann den Notstand ausrufen zu können“, glaubt die bekannte Umweltschützerin Wangari Maathai, die derzeit versucht, gemeinsam mit Verwandten von Häftlingen die Freilassung von Gefangenen zu erzwingen, die wegen politischer „Vergehen“ im Gefängnis sitzen. Sie steht mit ihrem Verdacht nicht alleine.

Die politische Führung Kenias will das nicht auf sich sitzen lassen: „Verräterisch, respektlos und absolut falsch“ sei dieser Vorwurf, heißt es in einer Verlautbarung der Regierungspartei KANU. Aber auch Diplomaten halten es für möglich, daß die Anschuldigungen der Opposition berechtigt sind: „Die sogenannten ,Stammeskämpfe‘ sind ganz eindeutig von außen in die Gegend hineingetragen worden“, sagt einer. Sein Mißtrauen wird genährt durch eine Erklärung der Regierung vom vergangenen Mittwoch. Darin wird schweres Geschütz aufgefahren: Zwei Oppositionsparteien verfügten über „militärische Flügel“. Diese „terroristischen Einheiten“ seien in Libyen trainiert worden und planten, während Unruhen und Demonstrationen mit eingeschmuggelten Waffen auf Polizei und Bürger zu schießen und dann die Regierung für das Blutvergießen verantwortlich zu machen. Wörtlich heißt es in der Erklärung: „Im Zuge ihrer illegalen Aktivitäten werden sie sich als Polizisten ausgeben und dabei Gewaltakte gegenüber Bürgern verüben, um den guten Namen der Polizei in Mißkredit zu bringen.“

„Diese Erklärung ist ein Freibrief für die Sicherheitskräfte“, meint der Diplomat. „Von jetzt an können sie bei jedem Übergriff behaupten, der ,militärische Flügel‘ der Opposition sei schuld.“ Es gibt mittlerweile allerdings sogar Regierungsmitglieder, die offen zur Gewalt aufrufen: Ein stellvertretender Minister sagte jetzt im Parlament, Gewaltakte der Opposition gegen die Regierungspartei KANU sollten „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ vergolten werden. Die Lage ist explosiv — und verwirrend. Was könnte die Regierung mit ihrer Taktik bezwecken, falls denn das Mißtrauen gegen sie tatsächlich berechtigt sein sollte? An Erklärungsveruchen mangelt es nicht: „Sie hat inzwischen gemerkt, daß KANU zumindest in Nairobi bei Wahlen keine Chance hätte und wollen jetzt einfach die politische Landschaft verändern“, sagt ein Bankangestellter. Dagegen glaubt eine Sekretärin: „Moi hat jeden Sinn für Realitäten verloren. Er ist wahrscheinlich wirklich überzeugt, bei seinen Gegnern könne es sich nur um Kriminelle handeln.“ Ähnlicn denkt ein Dozent: „Der Präsident hat Berater, die wissen, daß sie bei Wahlen alles verlieren können, selbst wenn er sich im Amt halten kann. Auf ihren Einfluß ist vieles zurückzuführen.“ „Die Regierung will den Geberländern Chaos vorführen, um zu zeigen, wie recht sie hatte“, meint ein ausländischer Beobachter.

Diese Rechnung dürfte allerdings kaum aufgehen: Repräsentanten westlicher Gebernationen lassen keinen Zweifel daran, daß sie zu finanziellen Neuzusagen erst bereit sind, wenn es einen Fahrplan und Garantien für freie und faire Wahlen gibt. Die Folge: Das Vertrauen der ohnehin wenigen Privatsponsoren sinkt, sie sind kaum bereit, neues Kapital ins Land zu bringen. Eine Zuspitzung der wirtschaftlichen Probleme aber würde auch die politischen Konflikte weiter verschärfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen