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»Ich dachte, er meint es ernst mit mir«

■ 32jähriger mutmaßlicher Zuhälter vor Gericht/ Prostituierte wollte aussteigen, sei aber von ihm beim Arbeitgeber denunziert worden/ Angeklagter zum Vorwurf der Mißhandlung: »Alles Quatsch!«

Berlin. Die Erinnerung an die Mißhandlungen wühlte die 33jährige Zeugin Marina B. gestern so auf, daß sie mitten in ihrer Vernehmung aus dem Gerichtssaal stürzte, weil sie sich übergeben mußte. Der Angeklagte Thomas B. quittierte den Gefühlsausbruch mit einem abfälligen Grinsen. »Das ist doch alles totaler Quatsch«, wehrte er die Vorwürfe von sich ab. Die Staatsanwaltschaft legt dem 32jährigen Mann zur Last, Marina B. über drei Jahre lang mit Schlägen und Drohungen zum Anschaffen gehen gezwungen zu haben. Das sei nach Aussagen von Marina B. so weit gegangen, daß er sie bei ihrem neuen Arbeitgeber als Prostituierte denunziert habe. Die Folge war, daß die Zeugin ihre Anstellung als Justizvollzugsbedienstete in der Tegeler Haftanstalt verlor.

Die gelernte Friseuse Marina B. erschien gestern in hohen Stöckelschuhen, schwarzen engen Hosen und langem Jackett vor Gericht. Sie berichtete, daß sie den Angeklagten 1987 in einem Sexkino in Neukölln kennengelernt habe. Sein Angebot, in seine leerstehende Wohnung zu ziehen, habe sie dankbar angenommen, weil sie ohne Verdienstbescheinigung keine Wohnung zu finden glaubte. Obwohl der Angeklagte vorgegeben hatte, dort nicht mehr zu wohnen, sei er regelmäßig bei ihr aufgetaucht. Weil er sie mit Blumen und Geschenken umworben habe, so Marina B., »habe ich gedacht, er meint es ernst mit mir«. Zu dieser Zeit ging Marina B. bereits in einer Bar anschaffen, aber ausschließlich für die eigene Tasche. Das sollte sich peu à peu ändern.

Im Herbst 1987, so die Zeugin, habe sich Thomas B. täglich 50 bis 70 Mark von ihr »geborgt«, das Geld aber nie zurückgezahlt. Später habe er sie genötigt, auf dem Straßenstrich in der Bülowstraße anschaffen zu gehen, indem er gedroht habe, ihren Eltern zu stecken, daß sie eine Prostituierte sei. Fortan habe er ihr die gesamten Tageseinnahmen, bis auf 50 Mark für Schminke und Kondome, abgenommen. Wenn sie sich weigerte, habe es Schläge gesetzt. Sie habe mehrmals versucht zu flüchten, sei aber immer wieder von dem Angeklagten mit der Drohung zurückgeholt worden, ihren Eltern Bescheid zu sagen.

Die Mißhandlungen gipfelten nach Angaben von Marina B. darin, daß sie sich bei klirrender Kälte mit Strapsen und Tanga bekleidet auf die Straße stellen mußte. Der Angeklagte habe sie von seinem Wagen aus kontrolliert, ihr aber verwehrt, sich drinnen ein bißchen aufzuwärmen. »Mach die Tür zu, es ist kalt«, habe er sie angeherrscht. Auch nachdem sie sich eine Nierenentzündung zugezogen habe, habe sie Thomas B. weiter auf den Strich geschickt. Zu Hause sei es bisweilen zu so heftigen Auseinandersetzungen gekommen, daß sie, nur mit einem Nachthemd bekleidet, von dem Angeklagten aus der Wohnung geworfen worden sei.

Dennoch, so Marina B., habe sie im Sommer 1990 gegen den hartnäckigen Widerstand des Angeklagten versucht, aus der Prostitution auszusteigen, indem sie sich bei verschiedenen Senatsverwaltungen bewarb. In der Haftanstalt Tegel habe sie eine Stelle als Justizvollzugsbedienstete angeboten bekommen und die Arbeit am 1. September begonnen. Thomas B. habe ihr nun jeden Monat 1.000 Mark ihres Verdienstes abgenommenn und sie an ihren freien Tagen weiterhin zum Anschaffen gezwungen. Gleichzeitig habe er sich eine junge Frau »aus dem Osten« in die Wohnung geholt, die ebenfalls für ihn auf den Strich gegangen sei.

Im Sommer 1991 wurde Marina B. zum Anstaltsleiter der JVA Tegel zitiert und dort mit einem anoymen Schreiben konfrontiert, in dem es hieß, sie sei eine Prostituierte. »Ich konnte mir denken, woher der Brief kam«, so die Zeugin gestern. Schließlich habe Thomas B. zuvor mehrfach damit gedroht, sie zu denunzieren. Marina B. wurde fristlos gekündigt. »Ich bin seither nicht mehr anschaffen gegangen«, sagte sie.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, was ihre Forderung an den Angeklagten sei, der in Untersuchungshaft sitzt, antwortete sie: »Ich will meine Sachen wiederhaben« — ihren Schmuck und ihre Taschen. Der Prozeß ist auf vier Tage anberaumt und wird am Freitag fortgesetzt. Plutonia Plarre

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