: Grandiose Hilflosigkeit
■ Eine internationale Friedensstiftung in Somalia ist nicht in Sicht
Grandiose Hilflosigkeit Eine internationale Friedensstiftung in Somalia ist nicht in Sicht
Vier Monate schon währt der neueste blutige Akt in der Tragödie Somalias, fast ebenso lange auch die internationalen Friedensbemühungen — doch ein substantieller Fortschritt wurde bislang nicht erreicht. Zwar erreichte man im Februar auf UNO-Vermittlung einen Waffenstillstand zwischen den beiden wichtigsten Kriegsparteien in Mogadischu, der auch weitgehend hält. Doch ist die Sicherheitslage gleichzeitig noch immer dermaßen prekär, daß die Weltorganisation nicht in der Lage ist, dringend benötigte Hilfsgüter im Hafen der somalischen Hauptstadt zu entladen. Und die langangekündigte Beobachtermission der Vereinten Nationen läßt ebenfalls auf sich warten.
Während die Diplomatie auf der Stelle tritt, verstärkt sich der Grund für ihre Hilflosigkeit: Der somalische Bürgerkrieg ist längst mehr als ein simpler Kampf um die Staatsmacht zwischen rivalisierenden Clans; er ist Ausdruck einer sozialen Entwicklung, in der der einzige Vergesellschaftungsmodus die Gewaltausübung ist. Das kurze und brutalisierte Leben der Somalis, das direkt den Naturzustandsphantasien der europäischen Staatsphilosophie entsprungen sein könnte, erschöpft sich im Rüstungswettlauf nackter Selbsterhaltung.
Wo ist er, der für solche Verzweiflungsfälle konzipierte Leviathan oder Sozialvertrag des liberalen Denkens — der durch die Vereinten Nationen geförderte erneute Staatsgründungsakt, der die Unmenschlichkeit der alleingelassenen Zivilgesellschaft überwindet? Schon die Grundsätzlichkeit der Frage verrät, daß es hierum nicht gehen kann. Was sollen denn ausländische Armeen im somalischen Beirut ausrichten? Einen Präzedenzfall gibt es: die Besetzung von Monrovia, Hauptstadt Liberias, durch Soldaten aus Nigeria und anderen westafrikanischen Ländern im Spätsommer 1990 zum Höhepunkt des dortigen Bürgerkrieges. Doch bei Somalia gibt es weit und breit keine zu einer solchen Intervention fähige und bereite Regionalmacht. So ist es auch unangebracht, der in keinster Weise für solche Fälle vorgesehenen UNO jetzt ihr Scheitern vorzuwerfen.
Realistischer als die große internationale Friedensstiftung wäre eine kleinformatige Kriegsbegrenzung, zum Beispiel durch die Einrichtung humanitärer Sicherheitszonen nach kurdischem Muster innerhalb oder außerhalb Somalias, wo Kriegsflüchtlinge versorgt werden könnten. Auf sich gestellt, sind die Hunderttausenden von Somalis, die heute in Äthiopien und Kenia unsichere und schlechtversorgte Lager füllen, nur Reservearmeen weiterer Bürgerkriege. Sie sind umgekehrt auch der am ehesten zugängliche Teil des Somalias der Zukunft, das von der Stunde Null ausgehend eine neue Gesellschaft errichten kann — wenn im Lande selbst bereits alles in Scherben liegt. Dominic Johnson
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