: Tod eines Neonazis
Plädoyers im Verfahren um den Tod von Rainer Sonntag/ Verteidiger Bossi plädiert auf Notwehr und Freispruch ■ VON DETLEF KRELL
Das „südländisch ausgeprägte Ehrgefühl“ des Griechen Nikolas Simeonidis könnte den letzten Anstoß zur blutigen Tat vom 31.Mai 1991 gegeben haben, so der Dresdener Oberstaatsanwalts Hans Heck. Damals war der in Dresden lebende Neonazi- Führer Rainer Sonntag mit einer Schrotflinte auf offener Straße erschossen worden. Den Finger am Abzug hatte Simeonidis, Mitinhaber eines Bordells in Dresden. Sonntag hatte ihn zuvor mit „Schieß doch, du Kanake“ provoziert. Der Oberstaatsanwalt, ein Importbeamter aus Baden-Württemberg, zeigte sogar ein gewisses Verständnis dafür, daß Simeonidis auf den „Straßenjargon“ Sonntags „anders reagierte, als wenn es jemand von hier gewesen wäre“.
Der gegen die beiden aus Mannheim an die Elbe gekommenen Zuhälter erhobene Vorwurf des gemeinschaftlichen und vorsätzlichen Mordes an Sonntag war längst vom Tisch, als gestern nach acht Verhandlungstagen vor dem Bezirksgericht Dresden die Staatsanwaltschaft zu ihrem Plädoyer ansetzte. Doch Hans Heck mochte sich nur ungern von seiner ursprünglichen Konstruktion verabschieden, wonach es einen Mordplan der Bordellinhaber gegeben habe. Er sei nach wie vor davon überzeugt, gab er zu verstehen, auch wenn die gesamte Anklage nur auf einer einzigen Zeugenaussage beruhte. Aus Mangel an Beweisen mußte Ronny Matz, Fahrer des Fluchtautos, letzte Woche auf freien Fuß gesetzt werden.
Obwohl seine auf tönernen Füßen stehende Eröffnungsanklage schon lange nicht mehr haltbar war, schoß Heck in seinem Plädoyer zunächst mit scharfem Geschütz gegen die Verteidigung. Staranwalt Rolf Bossi als Verteidiger von Simeonidis habe mit der „Eröffnung von Nebenkriegsschauplätzen“ versucht, vom Straftatbestand abzulenken. Nichts habe Bossi unversucht gelassen, um in einem „medienträchtigen Spektakel“ Rainer Sonntag als neofaschistischen Führer und Kriminellen bloßzustellen.
Für die Staatsanwaltschaft waren die beharrlichen Erkundungen der drei Verteidiger nach der Biographie Sonntags und der damals angespannten Lage in Dresden, wo es fast täglich zu Gewaltakten Rechtsradikaler kam, nur Versuche, Sonntag zur „Unperson“ zu disqualifizieren, „um die es nicht schade ist“. Bossi meinte dazu in einer Verhandlungspause trocken, diese Vorwürfe „können mich nur ehren. Sie zeigen, daß wir in die richtige Richtung gebohrt haben.“ Besonders Bossi war es, der den Neofaschismus als politisches Umfeld und den rechtsradikalen Straßenterror als Ursache für die damalige Tat thematisiert hatte.
Bewiesen ist für die Staatsanwaltschaft, daß am Vormittag des 31.Mai 1991 zwei „offensichtlich den Rechtsradikalen zugehörige Männer“ das Sex-Shop-Center auf der Moritzburger Straße auf eine „bevorstehende Aktion“ hingewiesen hatten. Ob dabei auch von Schutzgeld die Rede war, wie von den Bordellinhabern angegeben, konnte die Verhandlung nicht klären. „Zweifelsfrei“ sei erwiesen, daß im Laufe des Tages im Bordell besprochen wurde, den profitträchtigen Laden nicht einfach kampflos zu räumen. Als in den Abendstunden immer mehr Neonazis in der Leipziger Straße, unweit des Bordells, zusammenkamen, seien Matz und Simeonidis mit dem Wagen dort vorgefahren. Simeonidis sei, mit der Waffe in der Hand, ausgestiegen und auf die versammelten Glatzen zugegangen. Die wiederum „flohen wie die Hasen“.
Allein Führer Sonntag und ein Häuflein Aufrechter blieben stehen. Sonntag stieg aus seinem Auto. Dann sei er mit erhobenen Händen auf Simeonidis zugegangen. Angekommen, schrie er ihn mehrfach an: „Schieß doch, du Kanake!“ Während Matz aus dem Fahrzeug heraus Gas sprühte, habe der andere Zuhälter geschossen. Sonntag, so Heck zusammenfassend, mußte seinen „theatralischen Auftritt“ mit dem Leben bezahlen.
Auf die Notwehrthese der Verteidigung anspielend, erklärte Heck, es hätten sich genügend Fluchtwege geboten; die Zuhälter hätten nicht in die von Rechtsradikalen gebildete Sackgasse fahren müssen. Weil eine Notwehrlage „nicht existent“ war, und eine Mordabsicht nicht beweisbar, plädierte die Staatsanwaltschaft bei Nikolas Simeonidis auf Totschlag. In den Ermessungsrahmen von Freiheitsstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren gestellt, hielt Weck dem Angeklagten zugute, daß ihm „als Ausländer“ die damalige angespannte Lage in Dresden nicht entgangen war. Ein Totschlag in minder schwerem Fall könne in Erwägung gezogen werden. So hielt Heck viereinhalb Jahre Freiheitsentzug für angemessen. Ronny Matz habe sich als Fahrer des Wagens und durch das Absprühen von Reizgas der Beihilfe zum Totschlag schuldig gemacht, befand der Staatsanwalt. Für ihn beantragte Heck zwei Jahre Freiheitsentzug, die auf Bewährung ausgesetzt werden können.
Die Verteidigung konterte den Tadel der Staatsanwaltschaft mit einer akribischen Darstellung der Verhandlungsergebnisse. Sacha Prosotowitz, neben Bossi als Verteidiger von Simeonidis, räumte ein, daß in diesem Prozeß die Beweisaufnahme teils sehr emotional gelaufen sei. Dessen ungeachtet müsse jedoch festgestellt werden, daß „viele aufklärungsbedürftige Sachverhalte“ offen geblieben seien.
Die Aussage von Simeonidis, er habe Sonntag mit dem Gewehr lediglich aus Notwehr einen Schlag auf die Schulter geben wollen, sei nicht widerlegt worden. Es gebe für den Schuß, der sich aus der Waffe gelöst hatte, keine Zeugen. Alle Beteiligten, die vor Gericht ausgesagt hatten, wußten nur von akustischen Wahrnehmungen zu berichten.
Auf dieser Grundlage plädierte die Verteidigung von Simeonidis wie die von Matz auf Freispruch und Haftentschädigung ihrer Mandanten. Das Urteil wird Richter Matthias Wetz voraussichtlich am Donnerstag nächster Woche verkünden.
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