: Elf Himmelhunde in der Hölle
■ Werders 0:0 gegen Istanbul, gesehen in der„Schauburg“ / Halbfinale: geht klar
Die ersten Fernseh-Bilder gemahnten gestern an eine Live-Reportage von der Besteigung der Eiger-Nordwand, aber als anstelle von Luis Trenker plötzlich Bremens Mittelfeldstar Dieter Eilts durch den Schnee wuselte, wußten die 500 Zuschauer in der vollbesetzten Schauburg, daß sie hier nicht im falschen Film waren.
Männliche Hauptrolle des Nachmittags: Oliver Reck, Torwart des SV Werder und der Mann für gewisse Stunden. Reck holt auch aus langweiligen Drehbüchern immer ein Optimum an Spannung heraus, zuletzt beim 1:3 des SV Werder gegen die Stuttgarter Kickers. Wenn es, wie gestern, auch im Drehbuch richtig spannend wird, sehen schwach Benervte besser gar nicht erst hin: Nach einem Freistoß für Istanbul in aussichtsreicher Position 13 Minuten vor Schluß zögert der Held, ob er auf der Linie bleiben oder dem Ball im Strafraum entgegenstreben soll. 500 bange Augenpaare sehen einen um die Entscheidung ringenden Oliver Reck, der zwar den Ball nicht, dafür aber sich fängt, etwas zu spät, aber das Schicksal hat noch einmal ein Einsehen und der Schuß streicht am Tor vorbei.
In einer beliebten Nebenrolle: Jonny Otten. Beim nächsten Mann wird alles anders mochte sich Bremens Verteidiger nach dem Spiel gesagt haben. Den Polen Roman Korsecki im Dress der Türken hatte er nie im Griff. Daß trotzdem kein Tor fiel, verdankte Otten der Tatsache, daß dieser Nachmittag mehr mit einer Schlammschlacht als mit Fußball zu tun hatte.
Neue Fußballweisheiten gab es zu lernen: Gut gerutscht ist halb gelaufen, der Ball ist rund und rollt nicht, ein Spiel dauert 94 Minuten. Daß die 22 Akteure in der zweiten Halbzeit nicht mit Spaten und Hacke auf den Fußball-Acker zogen, sondern mit frischen Trikots, muß einer Sternstunde des Zeugwarts zu verdanken sein. Drei Tage lang war in der „Hölle von Istanbul“ (RTL-Reporter Burkhard Weber hat sich gestern mit seinen Kommentaren fortlaufend für die Ernst-Huberty-Gedächtnis-Medaille empfohlen) Schnee gefallen.
Es war ein hartes Spiel. Gleich zu Beginn wurde Günter Hermann gefoult, aber Nummer 5 lebt, gelbe Karten en masse, für Eilts gar rot in der 93. Minute. Sogar der stoische Reck mußte sich verwarnen lassen.
Fazit: An jedem anderen Tag wären die Männer von Otto Rehhagel für dieses 0:0 über den Tisch gezogen worden. An jedem anderen Tag, aber gestern eben nicht: Das Ergebnis in Istanbul sichert den Bremern den Einzug in das Halbfinale des Europapokals, Werder bleibt im Rennen, der Rubel und der Fußball rollen weiter an der Weser.
mad
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