: DE HADELN BLEIBT - LEIDER
■ Der Vertrag des Leiters der Filmfestspiele wurde klammheimlich verlängert
Berlins Kultursenator Ulrich Roloff-Momin ist ein fleißiger Mann. Kaum war er im Amt, knöpfte er sich die wiedervereinigte Berliner Theaterszene vor, gab Gutachten in Auftrag, hielt Pressekonferenzen ab, räumte auf und krempelte um, griff für Daniel Barenboim als Staatsopern-Chef tief in die Tasche, bemühte sich um Schlichtung des Akademien-Streits, und erst vor wenigen Tagen präsentierte er die Lösung fürs Sorgenkind Berliner Ensemble: ein Team von bekannten Namen, von Langhoff bis Zadek. Kritik scheut er keineswegs, im Gegenteil, er quittiert sie mit souveränem Selbstbewußtsein. Keine Frage, Roloff-Momin ist ein Mann der Tat; kein Mensch wird ihm vorwerfen können, er sorge sich nicht um den reichlich angeschlagenen Ruf der Hauptstadt-Kultur.
Wenn es da nicht ein paar Sorgen gäbe, für die er qua Amt zwar zuständig ist, über die er sich aber lieber erst gar nicht den Kopf zerbricht. Das Kino zum Beispiel. Die DEFA: abgewickelt. Berlins Filmbeauftragter: gegangen. Filmförderung: so gut wie vergessen. Die Berlinale: im Aus. Mit der Entscheidung des Kuratoriums der Berliner Festspiele GmbH unter Vorsitz des Kultursenators, den Vertrag des Berlinale-Chefs Moritz de Hadeln bis 1998 zu verlängern, wurde das Desaster Filmfestspiele nun endgültig zementiert. Zwar bescheinigte Roloff- Momin der Berlinale '92 „eine erfreuliche Bilanz“, woher er jedoch seinen Optimismus bezieht, bleibt ein Rätsel: Seit Jahren sorgt Berlinale-Chef Moritz de Hadeln dafür, daß das einst so renommierte Festival in Bedeutungslosigkeit versinkt.
Längst haben Europas Filmproduzenten und Regisseure den Filmfestspielen die Quittung für verfehlte Festivalpolitik serviert: Sie kommen nicht mehr. Die — von den Verantwortlichen kräftig geförderte — Übermacht der Amerikaner hat die Europäer vertrieben; Dietls Schtonk, Almodovars High Heels, Annauds Der Liebhaber — um all diese Filme hat de Hadeln sich nicht einmal bemüht. Und wenn sie nicht in Cannes zu sehen sind, dann bestenfalls im Forum, wie in diesem Jahr Kaurismäki und Carax.
Längst weiß das jeder, und alle schimpfen, von den Tagesthemen bis zur 'Zeit‘, von 'FAZ‘ bis taz. Daß die internationale Kritik verhalten bleibt, hat seinen Grund: Wichtige ausländische Filmkritiker meiden die Berlinale seit Jahren, die Vielzahl der zum Festival anreisenden Journaille verschleiert die Tatsache, daß mittlerweile nur noch die zweite Garde an die Spree geschickt wird. Und die jedes Jahr von neuem lauthals angekündigten Stars aus den Vereinigten Staaten bleiben in letzter Sekunde ebenfalls mit schöner Regelmäßigkeit lieber weg. Kein Wunder, daß die satellitengeschaltete Pressekonferenz mit Martin Scorsese in New York von den Berlinale-Verantwortlichen zum Großereignis stilisiert wurde. So lügt man Niederlagen in Siege um.
Auch sonst konnte de Hadeln diesmal sein Versagen nur noch mühsam verschleiern: Italien zog kurz vor Festivalbeginn seinen Wettbewerbsbeitrag zurück; den wichtigsten sowjetischen Wettbewerbsbeitrag, Kanewskis Ein selbständiges Leben orderte der französische Koproduzent sogar während der Filmfestspiele überraschend nach Hause zurück, was heißt: nach Cannes. Woraufhin der Berlinale-Chef öffentlich den Eifersüchtigen mimte und jammerte: Es müßten neue Festival-Reglements her, um solche Willkür zu unterbinden. Dabei ist die Willkür nur logische Folge seines Desinteresses am europäischen Kino. Beim Filmgeschäft ist es wie in der Liebe: Ein Konkurrent hat nur dann eine Chance, wenn er begehrenswert erscheint.
All das ficht Roloff-Momin offenbar nicht an. Wenn er es denn überhaupt zur Kenntnis nimmt: So publikumswirksam, wie er seine Theaterpolitik verkauft, so klammheimlich geht er in Sachen Berlinale vor — die knappe Montags-Agenturmeldung zur Vertragsverlängerung für de Hadeln sorgt in der Tat nicht gerade für Aufsehen. Dabei war die Verlängerung, wie jetzt zu erfahren ist, schon während des Filmfestivals beschlossene Sache. Offenbar wollte man warten, bis die Kritik am Festival verstummt, die ausländischen Gäste abgereist sind und die Branche wieder ihren täglichen Geschäften nachgeht. So wird alles bleiben wie es ist: 500 Filme und 9.000 Gäste, Star TrekVII und die Stars auf Video. Bis 1998. Aber das Kino findet woanders statt.
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