: Wenn im Belgier der Brite erwacht
Europapokal der Pokalsieger: Der FC Brügge zieht durch ein 2:1 gegen Atletico Madrid (Hinspiel: 2:3) ins Halbfinale ein/ Mit englischen Tugenden wurde Atleticos kalkulierte Ordnung zerbrochen ■ Aus Brügge Thomas Lötz
Im Olympiastadion in Brügge wird nachgespielt. Die 94.Spielminute läuft. Juan Vizcaino zieht hart und flach ab, doch sein Schuß verfehlt das gegnerische Tor, wenn auch nur knapp. Ein paar Ballberührungen später ist alles vorbei.
Während sich die Anspannung von 27.000 Zuschauern beim Abpfiff in einem riesigen Jubelsturm entlädt, schleichen die Verlierer ratlos Richtung Kabinengang. Sie haben keinen Blick für ihre Gegner, die Spieler des Club Brügge, die sich in einer anderen Ecke des Stadions die blauen Trikots vom Körper reißen und sie irgendwo mitten in die Begeisterung auf den Stehrängen hineinwerfen. Nein, die Spieler von Atletico Madrid können nicht begreifen, wie sie gegen diese Belgier verlieren, wie sie das Halbfinale im Europapokal der Pokalsieger verpassen konnten.
Mit einem wenig komfortablen 3:2 hatten die Madrilenen das Hinspiel gerade noch mal gewonnen. Doch dann begann das Rückspiel in Brügge, wie es für Atletico besser nicht hätte laufen können. Der Gastgeber begann nervös, wirkte geistig immobil und bereits das Kontrollieren des Balls an sich geriet zur Schwerstarbeit. Kaum ein Paß war zu sehen, der ungefährdet einen der Mitspieler erreichte, und kam der Ball dorthin, wo er sollte, dann wurde er sogleich verwurstelt. Den vorläufigen Höhepunkt im belgischen Verhaspeln und Verstolpern stellte eine Aktion des hüftsteifen Luc Beyens dar. Eine bereits geklärte harmlose Situation im eigenen Strafraum wandelte er ungelenk in die spanische 1:0-Führung durch den portugiesischen Nationalspieler Paolo Futre um. Als Torwart Dany Verlinden zehn Minuten später einen Freistoß von Bernd Schuster ans Lattenkreuz lenkte, glaubte niemand im Stadion noch an Gutes für den Klub.
Natürlich, so wußten alle, waren es nicht die filigranen, die ballzauberhaften, sondern vielmehr die robusten englischen Tugenden des Spiels, die Brügge überhaupt erst in dieses Viertelfinale gebracht hatten. Doch von jenem unwiderstehlichen Vorwärtsdrang, der über schnelles Flachpaßspiel in den freien Raum mit direktem Zug auf das Tor irgendwann doch zum Erfolg führt, war im Spiel der Belgier nichts zu sehen. Auch das beharrliche Vorwärtstreiben des Balles, direkt an der Außenlinie bis zur Eckfahne mit abschließender Flanke in den Strafraum, hatte der Klub vorerst aus seinem Repertoire verabschiedet.
So wurde es still im Stadion, und nur noch die etwa 50 Anhänger aus Madrid und ein dicker spanischer Radioreporter, den jemand in Brügge-Schal und Strickmütze gesteckt hatte, machten in Lautstärke und Begeisterung. Auf dem Rasen lief das Spiel derweil ohne größere Höhen und Tiefen vor sich hin. Sofern Atletico nicht schon mit Zeitschinden bschäftigt war, genügte den Spaniern das Bewußtsein, mit der fortschrittlicheren Abwehrstrategie, Stichwort: Viererkette, aufwarten zu können. Aber selbst die neueste Rakete fliegt nicht allein zum Mond, und so riß Lopez den durchgeschlüpften Foekebooy um. Libero Alex Querter wuchtete den Ball ins Dreieck — das war der Startschuß. Die englische Mentalität kehrte in die belgischen Seelen zurück und machte Brügge stark.
Bis dahin war für die Madrilenen alles nach Plan gelaufen, und genaugenommen konnte ihnen auch dieser eine Treffer noch nichts anhaben. Doch es gelang ihnen nicht, eine Antwort auf das sich mehr und mehr entfesselnde Spiel ihres Gegners zu geben. Langsam, fortschreitend zerbrach ihre kalkulierte Ordnung.
Zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als könne Atletico sich wieder fangen, fiel dann das 2:1 durch Booy: Übrig blieben lediglich Fragmente mit den Namen Schuster, Manolo und Futre. Einzelaktionen, die zu nichts Zählbarem führten sowie eine belgische Abwehr, die in Ermangelung ihrer Kräftereserven die Bälle nur noch auf die Tribüne drosch, das war das Ende für Atletico.
Die Anhänger des Klubs aus Brügge sangen in den Lokalen in und um das Stadion, tranken Bier und aßen die wunderbaren Erzeugnisse der heimischen Schnellgastronomie. Wer wollte, und wer wollte das nicht, konnte bereits Blankotickets für das Halbfinale im Olympiastadion kaufen. Mögliche Gegner sind dann: Feyenoord Rotterdam, Werder Bremen und AS Monaco.
Atletico Madrid: Abel — Tomas (64. Aguilera), Toni, Solozabal, Lopez — Rodriguez, Vizcaino, Schuster, Soler (54. Moya), Manolo — Futre
Tore: 0:1 Futre (11.), 1:1 Querter (40.), 2:1 Booy (63.)
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