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Vom Hoffnungsträger zum Angeklagten

■ Bundestag hebt Immunität des PDS-Abgeordneten Hans Modrow auf/ Jetzt muß sich der frühere SED-Bezirkschef wegen Wahlfälschung vor Gericht verantworten/ PDS spricht von „Hexenjagd“

Bonn (dpa/taz) — Der vorletzte DDR-Ministerpräsident Hans Modrow muß sich vor Gericht wegen Anstiftung zur Wahlfälschung verantworten. Das letzte Prozeßhindernis, die parlamentarische Immunität Modrows, wurde gestern vom Bundestag aufgehoben. Das Parlament folgte mit der Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens einem Antrag der Dresdener Staatsanwaltschaft. Die Anklageerhebung ist für die nächste Woche geplant, der Prozeß soll noch vor dem Sommer beginnen.

Die Abgeordneten der PDS stimmten erwartungsgemäß gegen die Aufhebung der Immunität ihres Ehrenvorsitzenden. Sie sehen in der angekündigten Anklage eine politische Verfolgung des früheren DDR- Ministerpräsidenten, der zur Wendezeit der DDR auch im Westen als Hoffnungsträger galt. Modrow solle als politische Persönlichkeit zerstört werden, kommentierte Parteichef Gregor Gysi die Parlamentsentscheidung. Seine Fraktionskollegin Andrea Lederer sprach von einem „politischen Schauprozeß“. Modrow enthielt sich bei der Abstimmung der Stimme.

Ausgangspunkt des bevorstehenden Verfahrens ist der Wahlfälschungsprozeß gegen den früheren Dresdener Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer. Modrow, der seit 1949 Mitglied der SED war, hat dort als Zeuge ausgesagt, nichts von einer Wahlfälschung in der ehemaligen DDR gewußt zu haben. Das Gericht war jedoch zu der Auffassung gelangt, daß im Mai 1989 die einzelnen Kommunalwahlergebnisse in der SED-Bezirksleitung mit Modrow abgestimmt und vorab festgelegt worden waren.

Der 64jährige Politiker war in den letzten DDR-Jahren zunehmend in die Kritik der SED-Führung geraten, weil er als Anhänger der Reformpolitik des damaligen sowjetischen KP- Chefs Michail Gorbatschow galt. Noch im Sommer 89 schickte das SED-Zentralkomitee eine Kontrolldelegation nach Dresden, um Modrow unter Druck zu setzen. Im Westen wurde er gleichzeitig als einer der raren Protagonisten einer DDR- Reformpolitik nach sowjetischem Muster hofiert. Im Herbst 1989 gehörte er mit Wolfgang Berghofer zu den ersten SED-Politikern, die sich auf der Straße den Demonstranten stellten. Nach der Ablösung der alten SED-Führung wurde er im November zum vorletzten Ministerpräsidenten der DDR gewählt. In dieser Eigenschaft erschien er zeitweilig auch für Helmut Kohl als geeigneter Partner auf dem Weg zu einer deutsch-deutschen Konföderation.

Den einen gilt Modrow als Garant des friedlichen Übergangs, zu dessen Absicherung er im Januar 1990 auch Mitglieder der Opposition in die Regierung berief; andere haben ihn vor allem als Widersacher des Runden Tisches bei der endgültigen Auflösung der Staatssicherheit in Erinnerung. Nach dem Wahlsieg der CDU im März 1990 übergab er die Regierungsgeschäfte an Lothar de Maizière.

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