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■ Niemand, so behauptete Bundesverkehrsminister Krause gestern im Bundestag, sei dazu in der Lage, den Deutschen das Autofahren auszureden. Deshalb versucht er es erst gar nicht, sondern will mehr Autospuren bauen. Unterdessen propagiert sein Kollege Töpfer einen Verkehrsvermeidungsplan, den aber niemand umsetzt. Dabei gibt es Vorschläge genug, man muß sie nur zur Kenntnis nehmen. Verkehrswissenschaftler planen längst die autofreie Innenstadt und eine EG, die ohne mehr Lkw-Verkehr auch funktioniert.

Klaus Töpfer gibt sich kämpferisch: „Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, Verkehr zu vermeiden.“ Der Minister bezieht auf einer Tagung zur flächenhaften Verkehrsberuhigung in den Städten eindeutig Position. Währenddessen versucht in Bonn Kabinettskollege Krause dem Parlamant klarzumachen, daß nur ein möglichst großes Angebot von Straßen und Eisenbahnstrecken dem Osten auf die Beine helfen und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten kann. Von Verkehrsvermeidung keine Spur. Ein leichtes für Töpfer, sich gegen den Asphaltwahn abzugrenzen: „Es ist der spezifische Ansatz des Umweltministers, von der Nachfrage her zu denken. Wir müssen jedesmal fragen, ist die Nachfrage nach Verkehr zu vermeiden.“

Die verbalen Unterschiede zu Krause im fernen Bonn sind nicht der einzige Hinweis auf Differenzen. Die Besetzung der Pressekonferenz in Berlin spricht zusätzlich Bände. Neben Töpfer sitzt Bundesbauministerin Imgard Schwätzer (FDP). Die Ministerin hatte, von ihren Beamten auf Linie gebracht, schon im vergangenen Herbst zusammen mit Töpfer gegen das Autobahn-Beschleunigungsgesetz gestritten.

Was Töpfer und Schwätzer in Berlin zur Verkehrsberuhigung und -vermeidung vorstellten, geht Verkehrsexperten zwar nicht weit genug, aber es zeigt deutlich die Richtung an. Ohne den Begriff der Verkehrsvermeidung kommt die Politik nicht mehr aus. Der Giftschrank gegen die autogerechte Innenstadt und das Autobahnland ist inzwischen voll: Parkraumbewirtschaftung und -ausweisung, Verkehrsberuhigung durch Tempolimits plus Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, um nur die klassischen Ingredienzen zu nennen. Ein bißchen von jedem reiche aber nicht hin, so der Wuppertaler Verkehrswissenschaftler Karl- Otto Schallaböck vom „Institut für Klima, Umwelt, Energie“. „Nur viele Einzelmaßnahmen bringen uns wirklich weiter: 20.000 verkehrsberuhigte Zonen, 1.000 Busspuren und 50.000 bewirtschaftete Parkplätze.“

Minister Klaus Töpfer braut derweil an einem härteren Cocktail für die autofreie Innenstadt, den er dann den Kommunen in die Hände geben will. Eine neue Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz soll helfen, dem innerstädtischen Verkehr enge Grenzen zu setzen. Bei Überschreitung bestimmter Luftschadstoffwerte müssen die Kommunen dann prüfen, ob in Straßenzügen und gar ganzen Vierteln der Verkehr begrenzt oder sogar total gesperrt wird. Gründe gibt's genug: Heute haben Kinder in der Kölner Innenstadt zum Beispiel 70 Prozent mehr krebserregendes Benzol im Blut als Kinder in der westfälischen Kreisstadt Borken.

Nimmt man den Überland- und Fernverkehr ins Visier, ist der Giftschrank auch voll, aber keiner traut sich so recht, Hand an die Autogesellschaft zu legen. Das explosionsartige Wachstum des Verkehrs nach der Öffnung Osteuropas, der Vereinigung Deutschlands und vor dem EG-Binnenmarkt erscheint statt dessen als unabänderlich.

Verkehrsprognosen schreiben reihenweise das Wachstum fest, auf das dann angeblich nur noch mit neuen Straßen (und Bahnstrecken) reagiert werden kann. Verkehrswissenschaftler Schallaböck hat beobachtet, daß zwar alle über Lärm, Abgase und volle Autobahnen stöhnen und dann von Verkehrsvermeidung reden, aber „wenn vor Ort die Frage existiert, sollen wir eine bestimmte Straße bauen, dann wird doch gebaut“.

Die Diskrepanz müssen die politisch Verantwortlichen in Stadt, Land und Bundestag auf ihre Kappe nehmen. Bedient sie doch sogar das Verkehrsministerium selber mit allen Bestandteilen, die man für eine wirksame Anti-Auto-Mischung braucht. Ein Gutachten der schweizerischen Prognos für den Bundesverkehrsminister skizziert als wirkungsvollste Maßnahme zur Verkehrsvermeidung eine kontinuierliche und drastische Benzinpreiserhöhung. Steigt der Benzinpreis bis zum Jahr 2000 auf 4,60 Mark, reduziert das den Autoverkehr um 20 Prozent. Die Rechtfertigung der höheren Benzinpreise ist kein Problem: Heute werden von der Mineralölsteuer bei weitem nicht die Umweltschäden abgedeckt, die Autos und Brummis verursachen. Ein wirksames Mittel auch im Güterverkehr, rechnen die Speditionen doch mit dem spitzen Bleistift. Politisch ist die „Anlastung“ im Prinzip kaum mehr umstritten. „Selbst EG-Verkehrskommissar Karel van der Miert hat inzwischen die Kostenanlastung entdeckt“, so Schallaböck. „Auch wenn er sie nicht umsetzt.“

Neben den finanziellen Daumenschrauben kann man dem Güterverkehr auch die administrativen Schrauben anziehen. „Stärkere Verkehrskontrollen machen den lastwagengestützten Güterverkehr einfach teurer und schlechter kalkulierbar“, glaubt der Verkehrswissenschaftler. „Zum Ausgleich von Störungen und Staus fahren viele LKWs heute zu schnell. Wenn das nicht mehr geht, funktionieren auch „Just-in-time“- Lieferungen mit dem LKW nicht mehr“. „Just in time“ ist die moderne Produktionsvariante, bei der Bauteile von einer Firmenwerkstatt zur nächsten immer erst auf den letzten Drücker transportiert werden. Das reduziert die Lagerkosten [und stärkt die Gewerkschaften, d.K.].

Der EG-Binnenmarkt und die Öffnung Osteuropas stellen ein Problem dar, so Schallaböck. Aber der Binnenmarkt müsse keineswegs zu den prognistizierten Verkehrssteigerungen in Deutschland führen. „Es gibt keinen EG-Zwang zum Ausbau der Bundesfernstraßen.“ Die EG- Entwicklung mache allerdings das zentrale Problem deutlich: Verkehrsvermeidung ziele auf den „Vorrang der Nähe“. Wohnen und Arbeiten müßten in der Stadt wieder zusammenfinden, Produktionsstandorte wieder nach der Nähe von Zulieferern und Kunden ausgewählt werden.

Der Verkehrswissenschaftler aus Wuppertal und der Umweltminister aus Bonn sind sich in der Analyse häufig genug einig. In der Härte der Eingriffe hinkt Töpfer dem Wissenschaftler aber deutlich hinterher. Schallaböck grimmig: „Wenn es den Kanaltunnel schon gibt, dann muß man eben die Flugverbindungen zwischen Rhein/Ruhr, Brüssel, Paris und London streichen.“ Hermann Josef Tenhagen

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