piwik no script img

Mode in der Metropole

■ Der Senat kümmert sich wenig um das modische Image der Stadt. Anstatt die reichlich vorhandenen Designer zu fördern, werden ModeschöpferInnen von internationalem Rang in die City gelockt...

Der Senat kümmert sich wenig um das modische Image der Stadt. Anstatt die reichlich vorhandenen Designer zu fördern, werden ModeschöpferInnen von internationalem Rang in die City gelockt. THEKLA DANNENBERG hat nach den Gründen gesucht.

M

ode ist teuer — nicht nur für TrägerInnen, sondern auch für die Macher. Diese Binsenweisheit unterstreicht auch Ellen Jordan-Hellmuthhäuser, Professorin an der Berliner Hochschule der Künste (HdK). Obwohl viele Deutsche das nötige Kleingeld hätten, um dem Bodykult zu huldigen, sind die Deutschen kein besonders modebewußtes Volk im Gegensatz zu den Franzosen und Italienern, die die Haute Couture als Teil ihrer Kultur ansehen. In Berlin habe bisher sogar die Notwendigkeit des Understatements geherrscht, moniert die HdK-Designerin. Man hätte sich zwar teuer und gut kleiden können, aber niemals auffällig. Ein modisches Coming-out war für sie nur in Westdeutschland möglich gewesen: „Ich hätte mich niemals getraut, in Berlin meinen Pelz zu tragen.“

Sechs Modeschulen und eine große Zahl Autodidakten

Trotzdem werden nicht genug Worte gefunden, um die neue Bedeutung Berlins für die Mode zu beschreiben. Im nächsten Jahr wird der Grundstein für ein Modezentrum am Hausvogteiplatz in Berlin- Mitte gelegt — ein Signal, an das ehemalige Konfektionszentrum Berlin wieder anzuknüpfen. Sukzessive soll verlorenes Terrain zurückerobert werden. Vorbei sein sollen die Zeiten, in denen es als nicht opportun galt, seiner Kleidung den nötigen Chic zu geben und sein gutes Einkommen nicht zur Schau zu tragen. In der Stadt, in der wie in keiner anderen die Armut das Straßenbild bestimmt.

Die Voraussetzungen für diese Entwicklung scheinen günstig. In der Berlin gibt es so viele DesignerInnen, so viel Kreativität wie nirgendwo sonst; Kultur und Subkultur befruchten sich gegenseitig in der Drehscheibe zwischen Ost und West. Selbst in Mauerzeiten reisten ModeschöpferInnen aus allen Teilen Europas nach Berlin, um ihren Inspirationen den letzten Schliff zu geben. Heute planen sie sogar schon Niederlassungen in der Friedrichstraße. In der Stadt gibt es sechs Modeschulen, dazu kommt eine große Zahl Autodidakten.

Doch ebenso wie die freien DesignerInnen, die Off- ModemacherInnen und AvantgardistInnen für Berlin werbewirksam zitiert und mit Lorbeeren überschüttet werden, fühlen sie selbst sich im Stich gelassen. Das Gespenst des Designersterbens geht um. Nicht nur die ins Unerschwingliche gestiegenen Ladenmieten lassen die Modeszene „den Bach heruntergehen“, wie Szenen-Kenner Frank Bankowsky von der Agentur Endpress meint, sondern auch „eine völlig falsche Förderungspolitik“.

„Die freien Designer kollabieren, wenn sie keine Möglichkeiten haben, sich auszustellen“, befürchtet Bankowsky. „Sie brauchen eine Plattform, statt dessen werden sie aber nur auf den Shows verbraten. Man will sich weltoffen geben und läßt deswegen die jungen Leute für ein Bild ein bißchen schräg und schrill sein und geht zum nächsten über.“ Er hält es für kurzsichtige Politik, einen Berliner Designer für anderthalb Minuten zwischen Lacroix und Gaultier über den Laufsteg laufen zu lassen, quasi als neckische Einlage, um ihn dann wieder zu vergessen. Statt die ModeschöpferInnen von internationalem Rang für teures Geld in die Stadt zu holen, sollte sich der Senat lieber des reichlich vorhandenen kreativen Potentials in der Stadt annehmen.

Die Sparmaßnahmen des Senats bedrohen Modeszene und Modemessen

Doch der Senat will nicht. Auf der Modepräsentation ABC goes Fashion stellten dreißig Design-StudentInnen der HdK und des Lette-Vereins ihre Kollektionen in eigener Regie vor, finanziert lediglich von freien Sponsoren. Einer Modestadt Berlin fehlen überall die Freiräume, in denen sich Design präsentieren kann, und die kompetenten Leute, die in der Lage sind, originelle Kreationen zu Trends oder Mode zu machen.

Neben den eigenen provinziellen Querelen haben auch die Sparmaßnahmen des Senats dazu geführt, daß in Berlin keine Modemessen mehr stattfinden können, die den Berliner ModemacherInnen Platz zum Ausstellen bieten. Nachdem die Off-Line und die Intensiv pleite gegangen sind, die Select mangels gutem Willen und ausreichender Subvention nicht mehr in Berlin stattfindet, sind als Modemessen nur noch die Ave, die ModaBerlin, die Durchreise und die Fashion übriggeblieben. Doch die 1988 ins Leben gerufene Ave ist keine Verkaufsmesse, sondern bietet nur ein Show-Programm für geladene Gäste; die ModaBerlin ist eine reine Fachmesse für den Handel; die Durchreise bietet nur Konfektionsware; und die 1990 kreierte Fashion hat in der Modeszene schon unter dem Namen Tussen-Messe Eingang gefunden.

„Massenkollektion lebt von Ideen der individuellen ModeschöpferInnen“

Ein weiterer Stolperstein für eine potentielle Entwicklung Berlins zu einer Stadt der Avantgarde ist das Mißverhältnis zwischen Industrie und den freien ModemacherInnen. Anders als in Frankreich und Italien, wo außer den großen Modemoguln fast alle DesignerInnen jährlich pleite gehen würden, wenn sie nicht von branchenfernen Unternehmen aufgefangen würden, ist das Verhältnis in der Bundesrepublik eher von Konkurrenzdenken geprägt. Bekleidungsunternehmen sind mehr daran interessiert, die freien Modeschaffenden für sich zu gewinnen, als sie auf dem Markt neben sich zu dulden.

Mit dem Verweis auf internationale Praktiken kritisiert die Designerin Barbara Dietrich aus Charlottenburg: „Der Erfolg ist nicht im Alleingang zu erzielen. Es bedarf der Unterstützung der Großen, der Zusammenarbeit mit der Industrie. In der Praxis findet jedoch ein permanenter Kampf zwischen David und Goliath statt, bei dem jedoch der Marktstärkere den Kleinen besiegt und verdrängt.“ Um das Überleben der Berliner Designer zu sichern, hält sie es für unerläßlich, eine Anbindung an die Industrie zu ermöglichen, die der Kreativität ihren Freiraum zugesteht, im Hintergrund aber „als Garant für eine funktionierende Produktion und Distribution fungiert“.

Die Industrie baut damit einen Kunkurrenzkampf auf, der im Grunde gar nicht existiert. Jordan-Hellmuthhäuser ist davon überzeugt, daß industrielle Konfektion und freies Design gut nebeneinander existieren können. „Die Kundenkreise sind völlig voneinander getrennt. Die Designer haben eine bestimmte Vorstellung von ihrer Klientel, dem Umkreis ihrer Geschäfte, sie sprechen ganz andere Kunden an und legen Wert darauf, ihr Genre auch beizubehalten.“ Im Grunde lebe die Massenkollektion von den Ideen der individuellen ModeschöpferInnen, denn von ihr selbst würden keine Impulse ausgehen, keine Trends gesetzt werden. Das sieht auch Bankowsky: „Politik und Industrie rufen immer: Wir brauchen Designer. Das tun sie ja auch. Aber die Industrie ist nicht bereit, etwas für ihren Nachwuchs zu geben. Sie wollen ihn nur in die Firma einbinden.“

Hauseigene Modenschau im Kreuzberger „Molotow“-Keller

Wenn DesignerInnen nicht in die Industrie gehen wollen, bleibt ihnen oftmals nichts anderes übrig, als ihre Kreationen in Kommission bei einzelnen Modeboutiquen zu geben. Die Fluktuation in der Designerszene ist groß. So schnell, wie am Modehimmel ein Stern aufgeht, so rasch versinkt er auch wieder. Wer nicht dazu bereit ist, einen Tribut an den „gewöhnlichen“ Geschmack zu entrichten, sondern seinem Stil treu bleiben will, kann sich mit einem eigenen Geschäft kaum halten. „Wenn man schrille oder schräge Mode macht, verhungert man“, kommentiert Arno Karge, Inhaber des Kreuzberger Modekellers „Molotow“, die Ablehnung jeglicher Kompromisse.

Karge gehört zu denjenigen, die mit ihrem Konzept erfolgreich waren. Sein Modekeller wird von ungefähr dreißig bis vierzig DesignerInnen beliefert, die in Abständen vor Stammkundschaft und geladenem Publikum ihre Kreationen vorführen. An den Nöten der freien DesignerInnen sind seiner Meinung nach vor allem ihre Überzahl und ihre Ablehnung des Kommerziellen schuld. Er sieht denn auch das Problem Berlin im Modegeschäft vielmehr darin, daß zu vielen Leuten zu viel angeboten wird. „Wenn es auf einer Messe siebzig bis neunzig Aussteller gibt, verlieren die Besucher den Überblick. Sie können sich doch überhaupt nicht mehr in diesem Überangebot zurechtfinden. Der Aussteller bekommt dann nicht einmal mehr seine Standmiete wieder rein.“ Zudem sei ein Publikum, dem es egal ist, ob es ins Kino oder zur Modemesse geht, nicht das geeignete für eine Modenschau. Sein Konzept für die Zukunft meint er deshalb in der hauseigenen Modenschau gefunden zu haben.

Die HdK-Designerin Jordan-Hellmuthhäuser hegt starke Zweifel an einem solchen individuellen Konzept: „Modebewußte Leute haben zwar viel Geld, aber wenig Zeit für Modeeinkäufe.“ Solche Leute hätten bereits ihren eigenen Stil gefunden, den sie nicht ändern wollten. Ihr Fazit: „Wer marschiert heute schon zwei Stunden durch Matsch und Kälte, um ein hochmodisches Kleidungsstück zu ergattern, nur weil Berlin für sich als Modestadt wirbt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen