: Neue Vollzugsgruppen: Knast im Knast?
■ Häftlinge, Knastchef und Scherf diskutierten
Das Gespräch zwischen Gefangenen der JVA Oslebshausen, Vollzugsbeamten und dem Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff war schon in vollem Gange, da schlich sich Justizsenator Henning Scherf mit in die Runde. Das Streitgespräch ging weiter. Offensichtlich war es den Häftlingen wichtiger, sich mit dem Anstaltsleiter auseinanderzusetzten.
Eingeladen hatte die Redaktion der Gefangenenzeitung „Diskus 70“ zu einer Diskussionsrunde zum Thema „Neue Vollzugsgruppen, eine langfristige Alternative?“. Die nach ihrer Meinung einseitige Berichterstattung in den Medien über die neuen Vollzugsgruppen wollten sie berichtigen: für sie war das hochgelobte neue Strafvollzugsmodell (bei dem jeweils 30 Gefangene in einem Haus zusammengelegt werden, denen 9 Bedienstete zugeteilt sind) eine Enttäuschung. Die Häftlinge, die sich freiwillig für die neuen Vollzugsgruppen gemeldet hatten, beklagten, daß nach drei Monaten „nicht viel passiert sei“. Wegen des chronischen Personalmangels seien therapeutische Gespräche mit Betreuern kaum möglich. Auch die Vollzugsbeamten beklagten den Personalmangel: alles wäre so knapp berechnet, daß „um Himmels willen keiner mehr krank werden darf.“
Aber es gibt auch grundsätzliche Kritik am neuen System. Ein Häftling nannte es sogar „Knast im Knast“. In den kleineren Vollzugseinheiten sei die Überwachung intensiver, und man würde dazu gezwungen, in engeren Zwangsgemeinschaften zu leben. Die Drogenprobleme der Mithäftlinge belasteten die „cleanen“ Häftlingen in der Gruppe ganz erheblich. Eine drogenfreie Vollzugsgruppe wurde gefordert oder zumindest Schlösser, mit denen man die Zellen auch von innen abschließen kann, damit die Häftlinge nicht von Drogenabhängigen „belästigt“ werden.
Anstaltsleiter Hoff, wie Scherf ein ehemaliger Staatsanwalt, antwortet wie erwartet: Nach drei Monaten gäbe es natürlich noch Schwierigkeiten in den Organisationsabläufen, alles müße sich erst einlaufen.
Hennig Scherf wurde von den Häftlingen zurückhaltend behandelt. Nicht einmal die Klagen über fehlende Freizeitmittel, die Vollzugsgruppen haben nicht einmal Geld für Tischtennisplatten, wurden direkt an ihn gerichtet. So hob er selber nach einer guten halben Stunde bescheiden den Finger, wartete, bis ihm der Diskussionsleiter das Wort erteilte und gab dann allgemein gehaltene Antworten auf Fragen, die ihm garnicht gestellt worden waren: mit den kleinen Gruppen könnte der Strafvollzug etwas positiver gestaltet werden, sie wären für die Häftlinge ein kleiner Schritt in Richtung offener Vollzug und eine Vorbereitung auf das Leben nach der Haftzeit. Wilfried Hippen
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