■ Stadtmitte: Nicht nur Objekte einer Administration
Nicht nur Objekte einer Administration
Der Semesterbeginn läßt einige Turbulenzen an der Humboldt-Universität erwarten. Am 1. April wird das Arbeitsgericht in der Sache Heinrich Fink verhandeln, und am 8. April wird das neugewählte Konzil — das Wahlgremium des Rektors — erstmals zusammentreten.
Einen Kandidaten zu finden, der das Vertrauen der Universitätsmitglieder und der Wissenschaftspolitiker hat, scheint möglich zu sein.
Im Streit um die Humboldt-Universität, um ihre Erneuerungsfähigkeit und -willigkeit, wird die tägliche Leistung des normalen Studienbetriebes bei gleichzeitiger grundsätzlicher Umstrukturierung des Personals, der Ausbildung und der Forschung übersehen. Dieser tagtägliche Studienbetrieb ist aber das Hauptindiz für die Lebensfähigkeit und den realen Veränderungsprozeß der Universität. Wer nur die Anzahl der Kündigungen und Neuberufungen zählt, verkennt, was Universität ist. Der Übergang in Forschung und Lehre zu neuen Inhalten und nicht nur den bereits in der Bundesrepublik bekannten und gelehrten, dies ist die Leistung, die in der Universität vollbracht werden muß, wenn sie ihrem akademischen Anspruch gerecht werden will.
Die Humboldt-Universität scheint eine der wenigen Institutionen zu sein, wo der Verlauf des Einigungsprozesses noch nicht die Entscheidung erzwungen hat, daß alles möglichst schnell so werden muß, wie es in der Altbundesrepublik heute schon ist. Dieses ist das Verdienst derer, die sich gewehrt haben, gegen Abwicklung und Ergänzungsgesetz, und die zögerlich begonnen haben, innere Differenzierungen in Gang zu setzen und eine Berufungspolitik betreiben, die auf der Suche nach Partnern für den Erneuerungsprozeß ist. Abwicklung und Ergänzungsgesetz haben der Universität und ihren Mitgliedern ihre Rolle als Subjekte genommen. Dort, wo in den Struktur- und Berufungskommissionen westdeutsche Partner kamen, die mit den Humboldtianern nicht als Objekte umgehen, ist der Erneuerungsprozeß weitergegangen. Auf rechtsstaatlichem Wege ist die Abwicklung nun endgültig durch die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts gescheitert. Mit der Akademieentscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind wichtige Aussagen über die Geltung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit für ehemalige DDR-Wissenschaftler gemacht worden. Der im Einigungsvertrag vereinbarte Weg, mit gesetzlichen Regelungen Überleitungen in neue Strukturen für das Personal zu schaffen, ist dadurch noch einmal bestätigt worden. Nachdem Zeit verloren wurde für die Ausarbeitung eines Übergangsgesetzes, sollte nun schnell zwischen dem Gesetzgeber und der Universität zu einem dem Grundgesetz entsprechenden Überleitungsgesetz Vorschläge ausgetauscht werden. Die bisherige Arbeit ist keineswegs verloren. Der Struktur- und Stellenplan der Universität, der jetzt in den Grundkonturen feststeht, ermöglicht es festzustellen, wer in den neuen Strukturen gebraucht wird und deshalb übergeleitet werden kann. Die bisherige Arbeit zur Evaluierung des anwesenden Personals kann mit Blick auf die neuen Strukturen fortgeführt werden. Das Überleitungsgesetz müßte rechtsstaatlich geordnete Verfahren für eine solche Überleitung festschreiben. Dabei kann es nicht darum gehen, daß Hochschullehrer und Mitarbeiter nachweisen, daß sie die Besten gegen eine weltweite Konkurrenz sind.
Vielmehr ist es notwendig, zu überprüfen, ob sie in den neuen Strukturen gebraucht werden und für die zu leistende Arbeit geeignet sind. So käme man zu neuen Strukturen, in denen sich Vertreter aus Ost und West wiederfinden und gemeinsam die Zukunft der Universität gestalten müssen. Wer glaubt, daß ein gemeinsamer Anfang mit mit allen Rechten ausgestatteten Westprofessoren und auf der anderen Seite mit in ihren Kooperationsrechten beschnittenen Ost-Kollegen möglich ist, irrt. Gesucht wird also nicht nur eine napoleonische Figur für das Amt des Rektors oder Präsidenten, der mit der historischen Situation angemessen umgehen kann. Gesucht wird immer noch nach Lösungen, die aus der deutschen Vereinigung nicht nur eine vergrößerte Bundesrepublik machen.
Die Ost-Berlinerin Rosemarie Will ist Dekanin an der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität. In der Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu den Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
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