Bettgeflüster vom Wüstenrot-Mann

■ Barry White & Love Unlimited Orchestra im ICC

Dick, fett, komplett — das trifft nicht nur auf Stadtzeitungen zu, das könnte auch der Werbespruch von Barry White sein. Viele werden sich nur noch dunkel an seinen Namen erinnern. Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1972: die sexuelle Befreiung steuert ihrem Orgasmus entgegen, die Röcke sind kurz, die Hosenschläge weit, und aus dem Kassettenrekorder unter der Bettdecke flüstert jemand: Can't get enough of your love, Babe. Die voluminöse Baßstimme Barry Whites, die mit Inbrunst Brunftlaute von sich gab, von Streichern und Philly-Sound unterstützt durch Schlafzimmer und Discos hallte, wurde für die Generation der heute 40jährigen zum Synonym für ganz tiefe Gefühle.

Schaut man sich 1992 bei einem Barry-White-Konzert um, gewinnt man allerdings den Eindruck, daß der rebellierende Teil der SiebzigerJugend doch die Rolling Stones vorzog. Die treuen Fans jedenfalls, die sich bei Kartenpreisen bis 81 Mark am Samstag im ICC tummeln, scheinen sich recht gut mit einem Angestelltendasein abgefunden zu haben. Solariumsbräune und Fitneßcentermuskelpakete schauen unter gebügelten weißen Hemden hervor. Man hat sich in Schale geworfen, als sei White in Wirklichkeit Luciano Pavarotti. Die diversen Rolltreppen des ICC bieten Nylon- und Hochhackenfetischisten Reize, die das Eintrittsgeld bei einem Glas Sekt schnell vergessen lassen.

Nachdem ein nicht sehr geschickt agierender Vor-Sänger mit Summertime von der Bühne gepfiffen war, gehört der Abend ganz allein Barry White und seinem Love Unlimited Orchestra. Damit er neben den 28 Mitarbeitern, die für den fetten Sound verantwortlich zeichnen, nicht untergeht, hat man die Background-SängerInnen, die Bläser und Teile des Orchesters hinter transparentem Stoff plaziert. Wer die Tänzerinnen genauer unter die Lupe nehmen will, fühlt sich wie der heimliche Voyeur, der durch Gardinen in fremde Schlafzimmer späht.

Obwohl der Sänger mit der Flüsterstimme in den Achtzigern, nicht gerade sein Jahrzehnt, quasi überwinterte, wirkt er frisch und ungealtert. Seit zwei Jahren ist er wieder im Geschäft und weiß, was die Leute von ihm hören wollen: nicht zu viel von seiner neuen Platte Put me in your mix , dafür um so mehr Hits von damals. Eine dieser Nummern, die heute noch gern im Radio gespielt werden, ist You're the first, the last, my everything. Die Streicher tragen dick auf, Barry tupft sich mit dem Samttuch die Schweißperlen von der Stirn, flüstert »Love love love« in die erste Reihe, nimmt den Blumenstrauß einer Anbeterin entgegen und schüttelt Hände. Pärchen umarmen und küssen sich, es ist ihr Lied — Auf diese Steine können Sie bauen sagt ihnen der Wüstenrot-Berater.

Zum großen Finale werden die Gardinen gelüftet, das Orchester setzt zur Höchstleistung an: Love Theme, eine Art Klassik-Hit mit der richtigen Melodie für jede Fernsehshow. Dann die Publikumsbeschimpfung I love you just the way you are. »Berlin, I love you«, und nur wegen uns sei das alles möglich.

Ja, wir haben ihn glücklich gemacht, weil wir seine Platten gekauft haben, zu diesem Konzert gekommen sind und ihm die Treue gehalten haben. So abgedroschen das alles klingt und obwohl Barry White seit Tourneebeginn im November wahrscheinlich jeden Abend diese Geschichte erzählt, nimmt man ihm (fast) jedes Wort ab. Man würde ihm jede verkratzte Gebrauchtplatte abkaufen, wenn nur seine Liebesfeger drauf sind. Andreas Becker