: Gebremster Blutschaum
■ Italo Montemezzis Eifersuchtsdrama „L'amore dei tre re“, von del Monaco in Kassel angerichtet
Die Story ist operngerecht bizarr. Der alte blinde Schwiegervater erwürgt seine Schwiegertochter. Dann bestreicht er den Mund der aufgebahrten Toten mit Gift, um herauszubekommen, wer der Liebhaber ist, mit dem sie seinen Sohn betrog. Am Ende aber drücken Geliebter und Gatte je einen heißen Kuß auf die kalten Lippen, und der böse Alte ertastet den Leichnam seines eigenen Sohnes an der Bahre der Schönen.
Italo Montemezzis 1913 vollendete Oper spielt im Mittelalter, der Textdichter Sem Benelli aber schrieb sein Drama L'amore dei tre re um die Jahrhundertwende, und ein schwerer Moschusduft und Opiumhauch haftet an der Sprache und den psychologischen Konstruktionen. Der blinde Alte begehrt die junge Frau natürlich selbst und entlädt seine Leidenschaft in der erwürgenden Umarmung; der Ehemann ist seinem Vater hörig und unfähig, den Nebenbuhler zu hassen, Fiora provoziert die Gewalttätigkeit... Die Endzeit-gestimmte Künstlerschaft suchte die grenzenlosen und moralfreien Leidenschaften der Liebe und den ungebremsten Blutschaum der Rache in grauer Vorzeit. „In der stampenden stählernen Sprache unseres Volkes“ wird Italien gepriesen, und „eine silbrig-grün und von Gold funkelnde Horde“ erobert diese „Göttin zwischen zwei Meeren, die uns gelehrt hätte, über die Welt zu herrschen“.
Gian-Carlo del Monaco sorgte in Kassel dafür, daß die durchweg wohlklingende Personage ausgerechnet in einem solchen Psycho- Stück nicht miteinander spielen konnte. Der heißen Überspannung des Textes, der die Musik lange kontemplative Zwischenspiele gleichsam als Ventil zur Verfügung stellte, setzten konservatives Operngehabe, abgebrauchte Gesten und Gänge keine Bildwelt entgegen. Eher zufällige Arrangements bewegten die vorzüglich singende Marisa Vitali als Fiora, den mit aufgeladener Tenor- Spannung aufwartenden Igor Filipovic als Liebhaber, den eher bläßlichen Gatten (Bruno Balmelli) und den darstellerisch am ehesten überzeugenden Archibaldo (Dieter Hönigs) über die Bühne. Das beste an der Kasseler Aufführung des Dramas war, daß man es nicht im Mittelalter auf zinnengekröntem Burgberg spielen ließ, sondern in einer Palladio-Villa, der schwülen, großbürgerlichen Atmosphäre seiner Entstehungszeit entsprechend. Das Publikum honorierte denn auch genußvoll Michael Scotts Interieurs — wie die Leistung des Orchesters und Eugene Kohns.
Wäre der Abend delikater inszeniert gewesen, hätte man wenigstens in überfeinerter Neoromantik baden können — so gab es ein etwas langatmiges musikdramatisches Kompendium des späten 19. Jahrhunderts. Unüberhörbar der späte Verdi, noch unüberhörbarer Puccini. Kühne Dramaturgen wagen im Programmheft den Vergleich des Stückes mit Tristan und Isolde oder Pelléas e Mélisande. Freilich räumen sie ein: klanglich gilt er nicht. Diese Werke klopften an das Tor zur Moderne; Montemezzi zog sich zurück. Distinktion und Geschmack, die Qualitäten dieser Oper, reichten für dauerhaften europäischen Ruhm nicht aus. Da aber auf Erden so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit waltet, sorgte L'amore... seit 1914 „für allgemeine und unbestreitbar ehrliche Freudenfeste“ in New York und Chicago. Irene Tüngler
Italo Montemezzi: L'amore dei tre re. Oper Kassel, Regie: Gian- Carlo del Monaco, Dirigent: Eugene Kohn, Bild: Michael Scott; mit Marisa Vitali, Igor Filipovic, Dieter Hönigs; die nächsten Aufführungen: 27.3., 31.3., 1.4. und 18.4.
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