Franzosen zersplittern die Parteienlandschaft

Die rechtsextreme Front National etabliert sich als drittstärkste Kraft/ Zwei konkurrierende Umweltparteien halbieren ihren Sieg — und erringen gemeinsam knapp 15 Prozent/ Die Sozialistische Partei erlebt die größte Niederlage ihrer Geschichte  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Die Franzosen wollen in der Politik mitreden. Das ist die große Überraschung der Regional- und Kantonalwahlen vom Sonntag. Entgegen aller Vorhersagen gingen 68 Prozent der Berechtigten zur Wahl — eine hohe Beteiligung für rein lokale Wahlen. Ihr Votum ist eindeutig: Sie lehnen die klassischen Regierungsparteien ab und setzen ihre Hoffnungen auf neue Parteien und Bewegungen.

Geprügelt wurden erwartungsgemäß die Sozialisten. Nur noch 18 Prozent der Wähler stimmten bei den Regionalwahlen für die Regierungspartei. Das sind 12 Prozentpunkte weniger als vor sechs Jahren, zugleich ist es das schlechteste sozialistische Ergebnis seit der Parteigründung vor 20 Jahren. Von den zahlreichen Ministern, die als Listenführer Stimmen sammeln sollten, konnte nur Kulturminister Jack Lang seine Gegner überflügeln. Im Großraum Paris, wo Verteidigungsminister Joxe antrat, halbierten die Wähler die Stärke der PS: Sie sackte auf 14,5 Prozent ab und wurde sogar von der Front National (16,3 Prozent) überflügelt.

Als stärkste Gruppe schnitt mit 33 Prozent das konservative Parteienbündnis „Union für Frankreich“ (UPF) ab. Dennoch stehen Neogaullisten und Liberalkonservative nicht als Sieger dar. Sie profitierten nicht vom Niedergang der Sozialisten, sondern verloren im Vergleich zu 1986 fünf Prozentpunkte. Die reformunfähige Kommunistische Partei (PCF) kam immerhin auf acht Prozent, das sind nur zwei Prozentpunkte weniger als 1986. Ihr gelang es jedoch nicht, sich auf die Seite der „Protestparteien“ zu schlagen und die angepeilte Marke von zehn Prozent zu verwirklichen.

Sieger sind die Parteien, die noch nie Regierungsverantwortung getragen haben, also Front National und die beiden Umweltbewegungen. Aufgrund der hohen Wahlbeteiligung ist der Durchbruch der Front National weniger spektakulär als erwartet. Mit ihren 14 Prozent hat sie sich jedoch eindeutig als stabile Kraft im französischen Parteiensystem behauptet. Nur bei den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren erzielte ihr Zugpferd Jean-Marie Le Pen ein etwas besseres Ergebnis. Aufgrund der Spaltung der Umweltparteien ist die FN heute die drittstärkste Kraft in Frankreich. Besonders demütigend für die Sozialisten: In vier Regionen wurde die FN zweitstärkste Kraft, im Pariser Großraum Ile-de-France, im Elsaß, in Provence-Alpes-Cotes d'Azur und in Rhone-Alpes.

Wie aus dem Nichts sind die Umweltbewegungen emporgeschnellt: Les Verts verbesserten sich von 2,3 Prozent auf 7,5 Prozent. Die noch nicht zwei Jahre alte Bewegung des Umweltministers Brice Lalonde, Génération Ecologie, liegt bei sieben Prozent. Im Gegensatz zur FN müssen die Umweltparteien jedoch noch beweisen, ob sie nur Protestwähler sammeln oder eine feste Wählerschar an sich binden können. Das gute Abschneiden von Génération Ecologie schwächt die fundamentalistische Position von Grünen-Chef Antoine Waechter und stärkt den Flügel, der eine Union der beiden Öko-Parteien wünscht.

Nur in drei der 22 Regionen des Mutterlandes herrschen klare Mehrheitsverhältnisse. Vor der Wahl der Regionalpräsidenten am Freitag müssen Linke und Rechte außerhalb ihrer Lager Bündnispartner finden, die Protestparteien rücken dadurch in die Rolle von Schiedsrichtern. Die PS, die nur zwei Regionen regierte, kann sich mit Unterstützung der PCF nur des Limousin sicher sein. In Nord-Pas-de-Calais geben die Umweltparteien den Ausschlag darüber, ob Städteminister Delebarre Regionalpräsident wird. In der Haute-Normandie hoffte PS-Parteichef Fabius auf einen Durchbruch. Dort kann die PS nur dann den Regionalpräsidenten stellen, wenn sie von allen gewählten Kommunisten und Öko-Politikern unterstützt wird — eine äußerst ungewisse Konstellation.

Doch auch die konservative Allianz UPF ist in den meisten Regionen auf Unterstützung angewiesen. Die Chefs der liberalkonservativen UDF sorgen sich nun, daß einige ihrer bisherigen Regionalpräsidenten entgegen aller Beteuerungen doch Bündnisse mit der FN eingehen könnten. Da die Wahl geheim stattfindet, sind alle Szenarien möglich. Statt von der Niederlage der PS zu reden, betonte Premierministerin Cresson dann auch am Wahlabend, die Partie gehe erst am Freitag zu Ende.

So paradox es klingt: Staatspräsident Mitterrand erhält durch die Zersplitterung der Parteienlandschaft neuen Spielraum. Die PS ist so geschwächt, daß es fraglich ist, ob sie neue Bündnisse schmieden kann. Entscheidend ist jetzt, ob sie die von Mitterrand gewünschte Wahlrechtsreform für die Parlamentswahl verhindern kann. Unter dem jetzt geltenden Mehrheitswahlrecht dürfte die UPF die im April 1993 anstehenden Parlamentswahlen klar gewinnen. Um eine zweite „cohabitation“ zu verhindern und seine Macht zu sichern, will der Präsident die Nationalversammlung unregierbar machen. Das Mittel dazu ist das Verhältniswahlrecht. Mit dieser Strategie könnte er den Vorsprung der klassischen Rechten begrenzen, zugleich würden Umweltparteien, aber auch die FN in erheblicher Stärke ins Parlament einziehen. Ein Spiel mit dem Feuer, denn für die FN könnte das Parlament zum Sprungbrett werden.