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EG will Tschernobyl-Reaktoren retten

Interne Projektliste belegt nukleare Schieflage des EG-Energiehilfeprogramms für die GUS-Staaten/ Millionenbeträge versickern in auch von AKW-Befürwortern längst abgeschriebenen Altmeilern  ■ Von Gerd Rosenkranz

Die Brüsseler Eurokraten beweisen Mut zum Risiko. Mit einer immer stärkeren Konzentration der technischen Osthilfe auf den Sektor „Nukleare Sicherheit“ versucht die EG- Kommission, den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) abzusichern, die von westlichen Experten übereinstimmend als „nicht nachrüstbar“ eingestuft werden. Das geht aus einer internen Aufstellung „herausragender“ oder „förderungswürdiger“ Projekte hervor, über deren Realisierung die EG noch abschließend entscheiden muß. Die Liste enthält Vorhaben, die im Rahmen des im Dezember 1991 beschlossenen Energiehilfeprogramms für die GUS finanziert werden sollen.

Das Programm mit einem Gesamtvolumen von 230 Millionen Mark hatten die Regierungen der EG-Staaten bereits ein Jahr zuvor beim EG-Gipfel in Rom grundsätzlich abgesegnet. 106 Millionen Mark sollten allein dem nuklearen Sektor zukommen, aber nur 42 Millionen in Projekte zur Energieeinsparung fließen. Mit der „vorläufigen Liste der geförderten Projekte“, welche die federführende EG-Koordinierungseinheit kürzlich vorgelegt hat, gerät das Hilfsprogramm nun endgültig in Verdacht, mehr die Interessen westlicher Reaktorbauer als die Energiemisere in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Auge zu haben. Für den Nuklearbereich enthält die Liste Fördervorschläge mit einem Volumen von etwa 260 Millionen Mark. Die Summe übertrifft damit sogar den ursprünglich anvisierten Gesamtetat des Energiehilfeprogramms. Im Sektor Energieeinsparung wird dagegen die schmale Vorgabe von 42 Millionen Mark nicht annähernd ausgeschöpft: Die Liste enthält Projektvorschläge im Wert von etwa 13,6 Millionen Mark.

Siemens-Manager: „Die müssen weg!“

Innerhalb des AKW-Programms soll über die Hälfte der Mittel ausgerechnet in Studien und Projekte fließen, die sich mit Möglichkeiten zur Verbesserung der „nuklearen Sicherheit“ der 16 Tschernobyl-Reaktoren (RBMK), die noch in Betrieb sind, sowie der zehn ältesten und gefährlichsten Druckwasserreaktoren (WWER-230) befassen. Mit Einzelvorhaben wie „Entwicklung neuer Betriebsverfahren“, „Verbesserung des WWER-230-Simulators“ oder „Brandschutz für RBMK-Reaktoren“ soll offenbar das Überleben der Altmeiler gewährleistet werden. Beide Reaktortypen sind nach einhelliger Auffassung atomkritischer wie auch atomfreundlicher Fachleute nicht zu retten. Joachim Grawe, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) hält die RBMK- Meiler „wegen grundlegender Konzept-Schwächen für kaum nachrüstbar“. Adolf Hüttl, Chef des Siemens- Bereichs Kraftwerkunion, bezeichnete diese Reaktoren kürzlich als nicht sanierungsfähig: „Da ist nichts zu machen, die müssen weg.“

Die baufälligen WWER-Reaktoren, die mit EG-Geldern ebenfalls erneut teuren Prüfungen unterzogen werden sollen, werden ähnlich bewertet. In Greifswald legte Bundesumweltminister Klaus Töpfer vier dieser Atomkraftwerke still, nicht zuletzt weil die Stromwirtschaft eine Nachrüstung für ökonomisch unsinnig hielt. Im bulgarischen Kosloduj schockten die Sicherheitsdefizite dieses Reaktormodells sogar die atomfreundlichen Aufseher der Wiener Atomenergiebehörde IAEO. Auch der designierte Siemens-Chef Heinrich von Pierer glaubt, daß sich „umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen“ bei dieser Reaktorgeneration „kaum lohnen“. Trotzdem stößt die Projektliste bei den Brüsseler Spitzenbeamten auf viel Wohlwollen. „Nach Ansicht der Kommission“, heißt es ausdrücklich in einem der Aufstellung beigefügten Deckblatt, „bieten Streuung und Qualität der vorgesehenen Projekte eine gute Grundlage für die Durchführung des Programmes.“ Die EG-Aktivitäten stoßen auf beiden Seiten des energiepolitischen Spektrums zunehmend auf Kopfschütteln. Während die West-Reaktorbauer und -betreiber seit geraumer Zeit statt Millionen für immer neuer Sicherheitsstudien, Milliarden für die tatsächliche Sanierung der neueren, von ihnen als „nachrüstbar“ eingestuften Ostmeiler verlangen, halten Umweltschützer schon die jetzt Gelder für „eine völlig sinnlose Verschwendung“.

Grüne fordern Energiesparen

Die „durch und durch atomorientierte EG-Förderpolitik“, schimpfte vergangene Woche die Grünen-Europaabgeordnete Hiltrud Breyer, müsse gekippt, statt dessen das gewaltige Energieeinsparpotential in den ehemals sozialistischen Staaten mit gezielten Programmen mobilisiert werden. Mit einer Anfrage im Europaparlament wollen die Grünen die EG-Kommission nun zwingen, die Schieflage des Energiehilfeprogramms öffentlich zu begründen.

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