INTERVIEW: „Die Enquete-Kommission kann nicht die Aufgaben der Justiz übernehmen“
■ Gerd Poppe, für Bündnis90 im Deutschen Bundestag und sowohl Mitglied der Enquete-Kommission wie im Vorstand des neugegründeten Forums, zur Themenstellung beider Projekte
taz: Herr Poppe, betrachten Sie die jetzt vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission als Konkurrenz zum Leipziger Forum?
Gerd Poppe: Nein, überhaupt nicht. Wir waren von jeher der Meinung, daß die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit auch eine Aufgabe des Parlaments darstellt, nicht zuletzt um deutlich zu machen, daß es sich dabei nicht um ein rein ostdeutsches Problem handelt.
Die Unterstellung einer Konkurrenz ist ja insofern nicht ganz abwegig, weil es ja gerade aus der etablierten Politik massive Kritik an der Tribunal-Idee gegeben hat.
Vorbehalte gab es insbesondere gegen den Begriff des Tribunals, wobei es von Anfang an nicht darum ging, ein selbsternanntes Pseudogericht zu installieren, das irgendwelche Urteile spricht, zu denen es nicht befugt ist. Intendiert ist vielmehr der Versuch einer öffentlichen Aufarbeitung. Das auch in Form eines Tribunals zu versuchen, unter Beteiligung von Tätern, sofern sie dazu bereit sind, wäre eine Möglichkeit. Ich würde das aber nicht so in den Vordergrund stellen, schon allein deshalb, weil die Gruppe der Täter mit weitreichender Verantwortung für das Geschehen in der DDR dazu überhaupt nicht bereit ist.
Die inhaltlichen Themenstellungen von Enquete- Kommission und Tribunal sind sehr breit angelegt und überschneiden sich zudem deutlich. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, im Parlament einen Untersuchungsausschuß zu installieren, der ein engeres Problemfeld unter Hinzuziehung der beteiligten Personen ausleuchtet?
Wir haben einen Untersuchungsausschuß favorisiert, doch dafür gibt es zur Zeit keine Mehrheiten. Nach den Erfahrungen mit dem Schalck-Ausschuß hält sich das Bedürfnis, einen zweiten Untersuchungsausschuß zu einem verwandten Thema zu installieren, offensichtlich in Grenzen. Man sollte dennoch die Chance der Enquete- Kommission nicht unterschätzen — auch wenn sie keine Täter zur Aussage zwingen kann. Was das Themenspektrum von Enquete und Forum betrifft, so gibt es da in der Tat Überschneidungen. Den Unterschied sehe ich vor allem in der Behandlung: In der Enquete arbeiten Parlamentarier unterstützt von Sachverständigen. Das Leipziger Forum wird dagegen in engem Kontakt mit den Betroffenen und den bereits entstandenen gesellschaftlichen Initiativen arbeiten.
Wenn man Aufarbeitung aufschlüsselt nach ihrer juristischen, politischen und moralischen Dimension, lassen sich daraus grob auch die unterschiedlichen Schwerpunkte ableiten: Die Justiz ahndet strafrechtlich relevante Vergehen, die Enquete betreibt in erster Linie die politische, das Forum die moralische Aufarbeitung. Könnte Letzteres nicht vielleicht am ehesten dazu beitragen, die für die Opfer schmerzliche Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit zu schließen?
Das Forum wird natürlich auch keine Gerechtigkeit herstellen können. Es könnte allenfalls so etwas wie moralische Verurteilung aussprechen oder Öffentlichkeit schaffen für das, was den Opfern widerfahren ist. Das aber muß auch in der Enquete-Kommission passieren. Es kann ja nicht darum gehen, daß sich die großen Parteien bezüglich ihrer früheren Deutschland-Politik gegenseitig Vorhaltungen machen.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Einsetzung der Enquete-Kommission und den offensichtlichen Schwierigkeiten der Justiz, Vergehen aus der Zeit der DDR zu verfolgen?
Natürlich kann die Enquete nicht Aufgaben der Justiz übernehmen. Aber die Tatsache, daß eine rechtsstaatliche Justiz nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten hat, die Ergebnisse einer Diktatur zu behandeln, hat auch im Parlament zu größerem Problembewußtsein geführt. Hinzu kommt die Diskussion um die Stasi-Akten. Das Bewußtsein, daß es sich hier um gemeinsame deutsche Geschichte handelt, und die Bereitschaft, sich da einzubeziehen, sind größer geworden.
Läuft die Enquete-Kommission nicht Gefahr, Aufarbeitung entlang dem Parteienproporz zu betreiben?
Es wäre nicht nötig gewesen, bei der Zusammensetzung der Kommission wie üblich dem Parteienproporz zu folgen. Vielleicht wird aber eine parteiorientierte Sichtweise dadurch aufgeweicht, daß die Mehrzahl der Mitglieder von den zu behandelnden Vorgängen früher selbst betroffen waren. Rainer Eppelmann, Markus Meckel und ich zum Beispiel waren jahrelang gemeinsam in der Opposition und haben auch in vielen Details eine gemeinsame Geschichte. Da wird man sicherlich zu Einschätzungen und Entscheidungen kommen können, die über die Parteigrenzen hinausführen.
Erklärt sich so, daß sich die Anträge der Fraktionen zur inhaltlichen Aufgabenstellung der Enquete kaum unterscheiden?
Das ist zunächst überraschend, aber einen grundsätzlichen Konflikt kann ich bisher nicht erkennen. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß, wenn es um die Rolle auch der bundesdeutschen Politik geht — etwa um den Honecker-Besuch 1987 oder das SPD/SED-Papier — es schon Versuche geben wird, das schnell vom Tisch zu kriegen. Da sehe ich schon potentiellen Konfliktstoff. Natürlich ist die Frage untersuchungswürdig, inwieweit die Deutschland-Politik zur Stabilisierung des Systems beigetragen hat. Wichtiger noch scheint mir aber, daß es nach der bislang eher oberflächlichen Beschäftigung mit den Stasi-Strukturen jetzt um eine differenziertere Darstellung sämtlicher Repressionsmechanismen gehen muß — wobei vor allem auf die verdeckten Formen, die im Alltagsleben eine wesentliche Rolle spielten, eingegangen werden sollte. Dieser Bereich ist sicher für die Mehrheit von größerer Bedeutung als das, was einer Handvoll Oppositionellen passiert ist. Hat etwa das Volk mehrheitlich dieses System getragen, oder hat es allein schon mit dem Widerwillen, mit dem es sich ja auch entzogen hat, die Macht relativiert? Das ist ja noch keinesfalls geklärt.
Bündnis 90 hat in seinem Antrag darauf verwiesen, daß die Beurteilungskriterien der Enquete-Kommission nicht selbstverständlich aus der Praxis der Bundesrepublik hergeleitet werden können...
Die Vorgänge in einer Diktatur können nicht ohne weiteres mit den Kriterien eines Rechtsstaates beurteilt werden. Das gilt für die Herrschenden wie die Unterdrückten in einer solchen Diktatur. Insofern haben wir Probleme damit, daß man die Vorgänge in der DDR umstandslos aus der Sicht einer vierzigjährigen Demokratie bewertet.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Stasi-Akten vollzieht sich ein Stimmungsumschwung. Überdruß am Thema scheint sich breitzumachen. Kommen nicht beide Projekte, Enquete und Forum, schon zu spät?
Das sehe ich überhaupt nicht. Es rufen doch mittlerweile alle nach Kriterien und beklagen zudem die Einseitigkeit der Diskussion und die Verengung auf das Problem der Stasi und ihre Inoffiziellen Mitarbeiter. Insofern kommen doch beide Projekte den öffentlich geäußerten Ansprüchen genau entgegen.
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