: Diesmal auch die Großen hängen?
Im Wirtschaftsprozeß um die Mailänder Banco Ambrosiano fordert der Staatsanwalt harte Strafen ■ Aus Mailand Werner Raith
Daß man bei Skandalen, sobald sich die öffentliche Meinung beruhigt hat, nur kleine Fische ins Netz sperrt, um die großen davonschwimmen zu lassen — das möchte sich der Chefankläger im Mailänder Prozeß um die 1981 zusammengebrochene Banco Ambrosiano nicht nachsagen lassen. Staatsanwalt Pierluigi dell'Osso hat Strafanträge gestellt, die für einen Wirtschaftsskandal geradezu Weltrekord bedeuten: Zwischen fünf und achtzehn Jahren möchte er den seiner Ansicht nach Verantwortlichen oder Mitprofiteuren aufbrummen.
Drei der Hauptakteure konnte er zwar nicht greifen — den ehemaligen Chef der Vatikan-Bank „Instituto per le opere di religione“ (IOR), den mittlerweile pensionierten Erzbischof Paul Marcinkus, sowie die beiden Hauptgeschäftsführer des Instituts, Pellegini und Strobel. Sie gelten nach Auffassung des italienischen Verfassungsgerichts als ausländische Diplomaten und sind insofern dem Zugriff der Mailänder Justiz entzogen. Ansonsten aber hat der Staatsanwalt so ziemlich die Crème der italienischen Hochfinanz angeklagt, sofern diese jemals etwas zu tun hatte mit der Mailänder Katholenbank (die so fromm war, daß man zur Kontoeröffnung einen Persilschein des örtlichen Geistlichen brauchte).
Da sitzen Top-Advokaten auf der Anklagebank, wie Giuseppe Prisco (ihm hat der Staatsanwalt achteinhalb Jahre zugedacht), die Finanzgesellschafts-Eignerin Anna Bonomi (sieben Jahre, acht Monate), dazu der „König des Mineralwassers“, Giuseppe Ciarrapico (fünf Jahre und zwei Monate) sowie Olivetti-Chef Carlo De Benedetti (sechs Jahre) — vor allem aber nahezu der gesamte Vorstand der 1981 aufgeflogenen Geheimloge „Propaganda due“ (P2): Logenmeister Licio Gelli, bereits 70, soll für achtzehn Jahre und vier Monate hinter Gitter, sein Ober- Geschäftsführer Umberto Ortolani für achtzehn Jahre und acht Monate, der ehemalige Geschäftsführer des damals größten italienischen Verlages, Tassan Din, für vierzehn Jahre.
Die P2-Verschwörer hatten sich, wie andere Prozesse und mehrere Untersuchungsausschüsse ergeben haben, die Mailänder Bank unter den Nagel gerissen, als ein anderes mit ihnen verbündetes Unternehmen zusammenkrachte, das Privatbankimperium des Mafia-Bankiers Michele Sindona (der 1988 im Hochsicherheitsknast Volterra an vergiftetem Espresso starb). Sindona hatte in Italien und der Schweiz viele trübe Geschäfte gemacht, war aber erst beim Start in den USA auf Sand gelaufen, als er die neuntgrößte US-Bank, die Illinois Bank, kaufte. Der Chef der Banco Ambrosiano, Roberto Calvi, Logenbruder und damit ganz unter der Herrschaft Gellis, erwies sich als Meister im Herumjonglieren riesiger Summen und trug mit seinem Geld zur illegalen Finanzierung so unterschiedlicher Aktionen wie der Gründung und Ausstattung der polnischen Gewerkschaft Solidarność und der Versorgung der Argentinier mit Exocet-Raketen bei.
Sein Reich brach zusammen, als die Loge im Zuge der Ermittlungen gegen Sindona aufflog und ein politisches Erdbeben in Italien auslöste (nicht weniger als fünf amtierende Minister und Staatssekretäre gehörten ihr an, dazu alle Geheimdienstchefs, der gesamte Generalstab sowie zahlreiche Top-Finanziers und Medienherrscher). Kurze Zeit danach wurde Calvi in London erhängt unter der „Brücke der Schwarzen Brüder“ aufgefunden. Die von den englischen Behörden zunächst behauptete Selbstmord-Version wurde mittlerweile auch auf der Insel zugunsten von Mord aufgegeben.
Vor diesem Hintergrund wurde nun fast eineinhalb Jahre lang in Mailand der Prozeß zelebriert — mit zahlreichen teils einsehbaren, teils verwunderlichen Hindernissen. So etwa gelang es Olivetti-Chef De Benedetti — dessen Anklage in der Tat wackelt, weil ihm nur die rechtzeitige Entfernung seines Kapitals aus der bereits kränkelnden Firma vorzuwerfen ist — zweimal die Untersuchungsbehörden von seinem Nichtwissen um den maroden Zustand der Bank zu überzeugen. Doch jedesmal wurde das bereits eingestellte Verfahren wiedereröffnet. Dann sollte gegen ihn zunächst getrennt verhandelt werden, da sein Fall ja in der Tat etwas anders liegt als der aller anderen, die jeweils wegen ungedeckter Kreditnahme oder -vergabe zu belangen sind. Nichts zu machen, Staatsanwalt dell'Osso (der seinen Namen — „Knochen“ nicht zu unrecht trägt) setzte ihn zu den anderen auf dieselbe Anklagebank.
Eine besondere Stellung nimmt der Logenchef Licio Gelli ein. Er hatte sich bei Entdeckung seiner Loge verkrümelt, war dann in der Schweiz gefangengesetzt worden, brach kurz danach aus dem angeblich sichersten Knast der Eidgenossenschaft in Champ Dillon aus, hielt sich fünf Jahre verborgen, stellte sich wieder den Schweizer Behörden, die ihn danach ans heimatliche Italien auslieferten — allerdings mit genauer Vorgabe der Delikte, für die er haftbar gemacht werden darf. So konnten ihn die Italiener weder wegen der mutmaßlichen Beteiligung an rechtsterroristischen Attentaten noch wegen politischer Konspiration mit Hilfe seiner Loge belangen. Am Ende blieb nur die Beiteiligung am betrügerischen Bankrott der Banco Ambrosiano, deren Machenschaften nach Staatsanwalt-Auffassung nahezu ausschließlich von Gelli bestimmt waren.
Als Gelli unter solchen Bedingungen ausgeliefert wurde, faßten sich die Italiener an den Kopf — allenfalls drei oder vier Jahre, abgegolten durch die Untersuchungshaft, waren zu erwarten. Um so erstaunter rieben sich nicht nur die Angeklagten, sondern auch die JournalistInnen die Augen, als sie den Staatsanwalt in aller Gemütsruhe die immens hohen Strafforderungen stellen hörten.
Der Trick, der derlei ermöglicht, ist in Italien nicht unüblich: Der Staatsanwalt ist nicht gehalten, die innerhalb einer Straftat zusammengekommenen Einzelverbrechen zu einer einzigen Strafe zusammenzuziehen (also etwa Betrug, Krediterschleichung, Fälschung von Dokumenten), sondern kann in voller Höhe akkumulieren — und da ist dem wackeren Staatsanwalt so viel eingefallen, daß den Angeklagten geradezu die Ohren schlackerten. Jede noch so geringe Unkorrektheit hat er vermerkt und penibel in Tage oder Monate Knast umgerechnet.
Die Verteidigung sieht in alledem nicht nur — wie der Anwalt des Mineralwasser-Mannes Ciarrapico — „haarspalterische Juristen-Akrobatik“, sondern, wie im Falle De Benedetti, „geradezu mittelalterliche Hexenjagd-Methoden“, die „man auch auf ihre politischen Hintergründe abklopfen müßte“. De Benedetti, so bringt der Verteidiger immer mal wieder in Erinnerung, „soll wohl dafür zahlen, daß er der erste war, der die Geschäfte dieser Bank mit rechten Kreisen als unerträglich empfand“ und darum ausschied.
Wie dem auch sei: Wenn der Staatsanwalt mit seinen Anträgen auch nur halbwegs durchkommen sollte, kann man in Italien wohl endgültig von einer Kehrtwende der Justiz sprechen. Nachdem es in den letzten Monaten bereits spektakuläre Aushebungen allzu nachsichtiger Urteile gegen notorische Mafiosi und rechtsterroristische Attentäter gegeben hat, wäre mit dem Wirtschaftsbereich ein weiteres bisher eher mit Samthandschuhen behandeltes Gebiet einer schärferen Strafverfolgung ausgesetzt.
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