: Die Angst vor Skins und Abschiebung bleibt
Im Winter 1991 überfielen Skins die damals schwangere Hoang Thi Vinh/ Gesundheitliche Schäden für das Neugeborene nicht absehbar/ Familie bangt um Aufenthaltsgenehmigung ■ Aus Dresden Detlef Krell
Trang schläft. Die Strahlen der Vormittagssonne spielen auf ihrem blauen Himmelbett. Behutsam schließt die Mutter die Tür. „Sie weint fast jede Nacht und ist sehr unruhig“, klagt sie.
In Deutschland war Nikolaustag, als Hoang Thi Vinh ihr erstes Kind bekam. Die Entbindung war normal verlaufen. Trang wog 2.500 Gramm. Jetzt ist sie neun Wochen alt und noch so klein wie der Unterarm ihrer Mutter. Ob Trang ohne gesundheitliche Schäden überstanden hat, daß am 11.September 1991 mehrere Skins auf den Bauch ihrer Mutter eingetreten haben, bleibt ungewiß. Der behandelnde Arzt nannte es „ein Wunder“, daß die beiden überlebten. Hoang Thi Vinh ist noch immer in ärztlicher Behandlung.
Nach der Entbindung brauchte Hoang Thi Vinh nicht mehr in jene Wohnung im belebten Stadtteil Pieschen zurück, in der sie damals am hellichten Tag überfallen wurde. „Ich war allein zu Haus. Es klingelte gegen 17 Uhr. Ich schaute durch den Spion und sah noch, daß sich Männer mit Tüchern vermummten. Da bin ich zum Fenster gerannt. Ich schrie um Hilfe.“
Doch die Vietnamesin wußte nur zu gut, daß sie in ihrer Not nicht auf Hilfe hoffen konnte: „Unten sonnten sich Leute. Sie sagten nur, sie seien alleine und hätten auch Angst. Ich floh in die Küche und merkte dort, daß die Männer versuchten, die Tür aufzubrechen. Da bin ich in die Stube und habe Gasspray geholt. Doch kaum daß ich es benutzen konnte, haben sie mich schon niedergeschlagen und in den Bauch getreten. Die Skins plünderten die Wohnung, nahmen Sachen und Geld.“
Dies war nicht der erste Überfall. Nur wenige Nächte zuvor waren schon einmal Glatzen da. Sie wollten Zigaretten, ihr Mann konnte den „Besuch“ damals noch mit Reizgas abwehren.
Der Überfall auf Frau Vinh war der erste, von dem die Öffentlichkeit erfuhr. Schlechte Erfahrungen mit der deutschen Polizei und die Angst, abgeschoben oder statt der Täter belangt zu werden, halten viele VietnamesInnen davon ab, den alltäglichen Terror anzuzeigen.
Bekannte aus der ökumenischen AusländerInnen-Beratung Cabana sorgten in der Stadtverwaltung dafür, daß die junge Famile eine Wohnung in einem anderen Viertel bekam. Dort lernte Hoang „Oma“ Lehmann kennen. Vom Überfall auf die schwangere Frau hatte sie in der Zeitung gelesen. Als die Vietnamesin dann mit dem Kind aus dem Krankenhaus kam, hatte Oma Lehmann die Wohnung schon eingerichtet. Couch und Sessel, Tisch und Deckchen, eine Schrankwand und das Bett. An Vietnam erinnert bei Vinhs nur noch der Kalender über der Couch. Er zeigt lächelnde Mädchen in pastellfarbenen folkloristischen Kleidern.
Mit der Vereinigung der Deutschen kam die Fremdenfeindlichkeit
Hoang Thi Vinh lebt seit Juni 1987 in Dresden. Zu Hause in Vietnam arbeitete sie als Spinnerin. Nebenher, in den Sommerferien, betreute sie Kinder im Ferienlager. Gern nahm sie an den zahlreichen, vom Staat organisierten Festspielen teil. Sie sang Lieder, gewann Preise. Ihr Engagement für den sozialistischen Staat belohnte Vietnam mit einem Aufenthalt in der DDR. Hoang Thi Vinh erzählt, sie sei damals glücklich über diese Auszeichnung gewesen. Dresden, „die große, schöne Stadt“, war bekannt. „Für mich war das eine gute Gelegenheit, ins Ausland zu kommen.“
Dort kam sie mit anderen VietnamesInnen in einer Hutfabrik unter. Zweihundert Stunden Deutsch, kurzes Anlernen und ab ans Fließband. Das Verhältnis zu den deutschen KollegInnen sei „eigentlich gut“ gewesen und von Fremdenhaß scheinbar frei. Damals waren die vietnamesischen Mädchen beliebt, erinnert sich Frau Vinh; in der Fabrik ging es ihnen nicht schlechter und nicht besser als den deutschen Frauen. „Feindschaft habe ich erst seit der Wende gespürt.“ Bis dahin schien alles geregelt. Doch seit der Vereinigung der Deutschen steht die bange Frage, wie lange sie noch in deren Land bleiben dürfe. „Lust, nach Hause zurückzukehren, hätte ich sofort. Aber praktisch ist das nicht möglich.“ An Wohnung und Arbeit ist in Vietnam nicht zu denken. Die junge Familie wäre vollständig auf ihre Angehörigen angewiesen. „Meine Familie gehört zu der Generation, die die Revolution gemacht hat. Sie lebt in sehr einfachen Verhältnissen und kann sich gerade mal über Wasser halten.“ Bis heute wissen Hoang Thi Vinhs Eltern nichts von dem brutalen Überfall der Neonazis.
Muß Hoang zurück nach Vietnam?
Im Sommer läuft die Aufenthaltsgenehmigung für die Vinhs ab. Obwohl Herr Vinh in einem Dresdner Unternehmen als Schlossser arbeitet und eine Wohnung hat, muß die Familie sich mit Hilfe von Cabana gegen die Behörden zäh durchsetzen. In der Meldebehörde sagte ein Beamter, sie müßten noch ihre Heiratsurkunde vorlegen. Weil diese noch nicht übersetzt war, sollten sie später wiederkommen. Beim zweiten Anlauf in der Behörde war ein anderer Beamter der Meinung, „in ihrem Fall“ ginge gar nichts.
Es klingelt an der Tür. Kurzer Blick durch den Spion. Oma Lehmann wird hereingelassen. Sie mustert kritisch den Besuch und nimmt die kleine Trang auf den Arm, die schon wieder weint. Die Ersatz-Oma kümmert sich: „Wie lange hat die Kleine denn heute geschlafen? Müde sieht sie aus, leg sie doch ins Bett.“
Oma Lehmann hat ihrer Wahl-Enkelin einen deutschen Vornamen verpaßt, der sich im Sächsischen besser aussprechen läßt und zugleich als Code-Wort fungiert. Nur wer Hoang Thi Vinh unter diesem Namen kennt, bekommt eine Auskunft. „Wir waren im Krieg selbst Ausländer und wissen, was das heißt“, sagt die Verschwörerin und schäkert mit Trang. „Jeder Mensch ist ein Mensch!“
Vor Gericht braucht Hoang Thi Vinh nicht auszusagen, ein Rechtsanwalt vertritt sie. Könnte sie den Tätern verzeihen? Verlegen blickt sie zum Fenster, streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie zögert mit der Antwort: „Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich konnte damals kaum noch schlafen. Und wenn ich jetzt schlafe, kommen die Bilder wieder. Ich habe immer noch Angst.“
Der Autor bedankt sich bei Phung Hang Thanh für die freundliche Unterstützung.
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