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Tinkerbell darf nicht sterben

„Hook“ — die neueste Steven-Spielberg-Phantasie  ■ Von Karl Wegmann

Jedes Jahr kommt Peter Pan im Frühling, außer wenn er es vergißt, um Margit zum Großreinemachen zu holen. Er nimmt sie mit ins Nimmerland, wo sie ihm Geschichten über ihn selbst erzählt, denen er begierig lauscht. Wenn Margit erwachsen ist, wird sie eine Tochter haben, die ihrerseits wieder Peter Pans Mutter ist; und so wird es weitergehen, solange es fröhliche, unschuldige und selbstsüchtige Kinder gibt.“ Als der Schotte Sir James Matthew Barrie mit diesen Worten im Jahre 1906 seinen bald darauf weltberühmten Peter-Pan-Zyklus abschloß, konnte er natürlich nicht ahnen, daß es so eben nicht weitergehen würde. Denn zehn Jahre nach seinem Tod betrat ein neuer Peter Pan die Weltbühne.

Die moderne Ausgabe ist Amerikaner. Er wurde am 18.Dezember 1947 in Cincinnati, Ohio, unter dem Namen Steven Spielberg geboren, und obwohl er eine lausige Kindheit hatte, beschloß er es genauso wie der kleine Engländer zu machen. Er entdeckte Nimmerland, es lag in Kalifornien, man nannte es Hollywood, und damit hatte auch er den Dreh gefunden, der es ihm erlaubte, niemals erwachsen zu werden. Es dauerte einige Zeit — in der er unter anderem sieben der einspielstärksten Werke der Filmgeschichte entweder inszenierte oder produzierte —, dann nahm sich der talentierte Bengel Barries Klassiker vor.

„Ich habe Hook aus einem einfachen Grund gemacht: Ich dachte, meine Kinder würden den Film mögen“, behauptet Spielberg, und man darf ihm das getrost glauben. Weil aber der neue Pan Vater ist, sollte es dem alten nicht besser gehen: „Es war unglaublich, undenkbar, unfaßbar — aber Peter Pan war erwachsen geworden“, heißt es anreißerisch auf dem Filmplakat. Dieser dritte Pan ist Robin Williams (auch so ein Lausejunge) alias Peter Banning. Er hat zwei Kinder, aber keine Zeit für sie, weil er andauernd mit furchtbar wichtigen Geschäften sein Leben verplempert. Zunächst hat er keine Ahnung, daß er eine lebende Legende ist, daß er einst fliegen konnte und mit Hilfe seiner Freunde und der tollpatschigen Fee Tinkerbell das Nimmerland von dem schrecklichen Kapitän Hook und seinen Piraten befreite. Doch dann, während eines Urlaubs in England, werden seine Kinder entführt, Tinkerbell (Julia Roberts) taucht wieder auf und erzählt ihm die grausame Wahrheit: Käpt'n Hook ist überhaupt nicht tot, er lebt und ist voller Rachegedanken. Banning glaubt ihr kein Wort, und so schleppt Tinkerbell ihn kurzerhand per Luftfracht ins Nimmerland.

Kritiker machen sich jedesmal ein Fest daraus, einen neuen Spielberg- Film zu verreißen. Das ist auch nicht weiter schwierig, da ihnen der Regisseur immer eine große Angriffsfläche bietet. Aber Kritikern sollte man sowieso niemals Glauben schenken, schon gar nicht bei Spielberg-Filmen, dafür sind die Schreiber viel zu alt und nehmen sich viel zu wichtig. Spielbergs immer gleiche Botschaft, daß wir uns doch alle wieder daran erinnern sollten, wie wir als Kinder waren, und daß es uns dann bedeutend besser gehen würde, finden die meisten von ihnen lächerlich oder gar anmaßend. Dadurch entgeht ihnen eine Menge Spaß, und ungefährlich ist die ganze Sache auch nicht, wie Tinkerbell weiß: „Jedesmal wenn jemand sagt, ich glaube nicht an Feen, fällt irgendwo eine Fee tot um.“ Spielberg tut etwas gegen das Feen-Sterben. „Die Erinnerungen an meine Kindheit verblassen nicht“, sagt er, „ich denke, daß jedes Kind als eine Art Filmemacher beginnt. Wenn es mit Figuren spielt, sich Geschichten ausdenkt — das ist der Anfang. Und aus dieser Phase bin ich nie herausgewachsen.“ Das ist nett, kann aber auch fürchterlich schief gehen, wie seine Filme Die Farbe Lila und Das Reich der Sonne gezeigt haben. Doch bei echten Abenteuer- und Märchengeschichten ist der Regisseur unschlagbar.

Selbstverständlich übertreibt Spielberg auch bei Hook maßlos. Bei ihm ist alles bunter, lauter, größer. Effekte werden bis zum Gehtnichtmehr ausgereizt: Peter Pan fällt ins Wasser, eine Nixe kommt und hilft ihm, dann kommt eine zweite und auch noch eine dritte. Übertrieben? Na sicher, aber herrlich anzuschauen. Ebenso wie die Bauten, die Fregatte „Jolly Rogers“, der Nimmerlandbaum, auf dem die Kinder hausen, die Krokodilsuhr und das Piratendorf. Die Flugszenen sind einmalig. Nie zuvor sah man Menschen so wundervoll geschmeidig fliegen wie Robin Williams und Julia Roberts. 70 Millionen Dollar hat Spielberg für den Film ausgegeben, aber verdammt, man sieht jeden Cent.

Der Spaß, den Dustin Hoffman, Julia Roberts und Bob Hoskins (als der dicke Koch Smee) beim Drehen gehabt haben müssen, sieht man ihrer lockeren Spielweise an. Wer einen Film mit Robin Williams versäumt, kann sowieso nicht mehr alle Nadeln an der Tanne haben. Phil Collins taucht in einer Nebenrolle (als Inspektor Good) auf, ebenso David Crosby (von C,S,N&Y), der mal eben eine Planke in die Weichteile geknallt kriegt, und Glenn Close spielt den (männlichen) Piraten Gutless. Eigentlich sind alle Erwachsenen in dem Film noch Kinder. „Natürlich repräsentiert Peter Pan Jugend, Freude und Unschuld; lauter Eigenschaften, die man als Erwachsener leicht verliert“, erzählt Hoffman, „doch Kinder haben sehr wohl auch andere Seiten, etwa Eigensucht oder ein enormes Talent zum Lügen, sobald sie unbedingt etwas haben wollen. Diese Wesenshälfte ist bei Hook stark ausgeprägt — auch in ihm steckt ein Kind, wenn er auch ein hinterlistiger Knabe ist. So habe ich seinen Charakter immer begriffen, und so wollte ich ihn spielen.“

Spielberg ist J.M. Barries Geist ebenfalls treu geblieben. Sein Film ist eine wilde Mischung aus Kinderromantik, Ironie, Sentimentalität und Humor. Hook ist pralle Phantasie, überladen, kitschig, voller Blödsinn und, Nimmerlands buntem Himmel sei Dank, niemals sticht ein hochgereckter pädagogischer Zeigefinger durch die Leinwand.

Steven Spielberg: Hook. Mit Robin Williams, Dustin Hoffman, Julia Roberts, Bob Hoskins u.a., USA 1991, 135 Minuten.

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