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Etwas auszusäen

■ Gerhard Midding sprach mit Jean-Jacques Annaud, dem Regisseur von „Der Liebhaber“

Frage: Monsieur Annaud, worin lagen Ihre — in Frankreich sehr publicityträchtigen — Unstimmigkeiten mit Marguerite Duras begründet?

Annaud: Das war nichts anderes als der übliche Streit zwischen einem Autor und dem Regisseur. Ich schätze sie sehr, empfinde große Zärtlichkeit für sie. Aber wir fanden keine gemeinsame Basis für die filmische Umsetzung ihres Romans. Ich respektiere ihre Art von Kino, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man es macht! Für sie hat das Kino weitgehend mit Worten zu tun, für mich mit Bildern. Die Differenzen waren also grundlegender Natur, und nach einer Weile war es zwecklos, weiter zusammenzuarbeiten. Sie ist ein sehr reizbarer, jähzorniger Charakter — was einen Großteil ihres Charmes ausmacht. Vor allem zwei Dinge haben wir gemeinsam: Stolz und den Wunsch nach Unabhängigkeit. Sie wollte zum Beispiel die letzte Szene, den Anruf, nicht im Drehbuch haben. Ich sagte ihr: „Tut mir leid, Marguerite, du hast die Szene geschrieben, und ich liebe sie. Zu spät, sie bleibt drin.“

Außerdem war es für sie unmöglich, das Drehbuch chronologisch von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen, für sie waren die Szenen austauschbar. Damit konnte ich mich natürlich überhaupt nicht abfinden, denn die Struktur war mir ungeheuer wichtig. Ich muß Ihnen gestehen, daß es nie mein Wunsch war, mit ihr am Drehbuch zu arbeiten. Das war ihr Wunsch. Weder als Leser noch als Regisseur habe ich das Bedürfnis, den Romanautor in meinem Nacken zu spüren.

Wie steht sie zum fertigen Film?

An dem hatte sie bisher noch nichts auszusetzen, denn sie hat ihn noch nicht gesehen! Ich glaube, weil sie gespalten ist zwischen dem Wunsch, ihn zu sehen, und dem Bedürfnis, ihre eigenen Erinnerungen an die Geschehnisse zu behalten. Sie wissen ja, daß der Roman sehr eng an eine Episode aus ihrem eigenen Leben anknüpft. Aber ich glaube, der Gedanke reizte sie, daß aus ihrem Buch ein sehr aufwendiger Film werden würde. Schließlich hat sie die Rechte nicht an Godard verkauft. Sie dachte schon an einen Regisseur wie mich, Bertolucci oder Stephen Frears. Gleichzeitig ging es natürlich um etwas sehr Intimes, Privates, vielleicht verweigert sie sich deshalb.

Dieser Drang, es noch einmal zu erleben, und sich andererseits der Erinnerung zu verweigern, ist im Roman ja auch ein literarisches Prinzip. Ich denke dabei an den häufigen Wechsel von der ersten zur dritten Person Singular.

Absolut richtig. Es entspricht Marguerites Mentalität, etwas abzugeben und es danach wieder zurückzufordern. Sie befindet sich in einem andauernden Kampf mit sich selbst. Sie hatte ja auch ein sehr schwieriges Leben: Probleme mit Alkohol, mit Männern, mit dem Erfolg, mit diesem ungeheuren, monströsen Talent.

Dieser Wechsel vom „ich“ zum „sie“ ist eine außerordentliche literarische Konstruktion. Ich fand heraus, daß sie häufig von der Figur in der ersten Person spricht, wenn es um etwas geht, das sich nicht wirklich zugetragen hatte. „Sie“ schreibt sie immer dann, wenn es um etwas geht, das sie tatsächlich getan hatte, nun aber bereute. Es gibt also diesen ständigen Widerstreit zwischen dem Impuls des Aufdeckens und des Verheimlichens. Als ich nach Vietnam fuhr, kamen viele Leute auf mich zu, die sich an sie als junges Mädchen erinnerten. Das bereitete Marguerite große Sorgen, denn sie hatte Angst, ich könne die Wahrheit über manche der Ereignisse erfahren und diese dann im Film verarbeiten. Tatsächlich war diese Angst natürlich unbegründet, denn mich interessierte ihre Erinnerung an die Ereignisse.

Um das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Zeitebenen im Roman filmisch umzusetzen, hätte es eigentlich eines Alain Resnais bedurft.

Aber auch mit dem hat sie sich bei Hiroshima mon amour ja ständig gestritten. Sie warf ihm vor: „Tu n'a rien compris à Hiroshima!“ (Du hast nichts begriffen in Hiroshima.) Genau wie der Dialog im Film!

Wie sind Sie und Ihr Co-Autor Gérard Brach nun an die Adaption herangegangen? Der Roman war Ihnen dabei ja sicher keine große Hilfe. Es gibt keine durchgängige Handlung, keine wörtliche Rede.

Das war genau das Vergnügen daran! Wir konnten uns sofort von dem Gedanken befreien, das Buch Seite für Seite zu adaptieren. Eine unserer ersten Entscheidungen war, einen Erzähltext beizubehalten. Denn für uns war es ein Film über die Erinnerung. Für uns war das nicht einfach die Geschichte eines Mädchens am Mekong, sondern die eines Mädchens, das Schriftstellerin werden wollte. Diese Anekdote, die Begegnung mit dem Chinesen, sahen wir also immer aus der Perspektive der späteren Schriftstellerin und im Bewußtsein der Einsamkeit, der Mühsal und der faszinierenden Trockenheit dieses Schriftstellerlebens. Deshalb mußten wir mit einem literarischen Erzähltext beginnen und wollten dann auch mit der Schriftstellerin aufhören.

Um Marguerites Stil in Dialoge umzusetzen, las ich sehr viele ihrer Bücher, einfach um in ihrer Sprache sprechen zu können. Was mir gefällt, ist, daß bei ihr nicht nur die einzelnen Abschnitte miteinander in Konflikt geraten, sondern auch die Wörter innerhalb eines Satzes. Sie schreibt beispielsweise: „Der Abfall, meine Mutter, meine Liebe.“ In der Verknüpfung von Wörtern ist sie sehr rigoros, und die Emotion entsteht für den Leser nicht aus dem Wort „Abfall“ oder „Mutter“ oder „Liebe“, sondern aus deren Zusammenspiel. Das ist ungewöhnlich und provozierend, gleichzeitig entspricht es aber auch der Widersprüchlichkeit von Gefühlen. Diese Methode machten wir uns auch im Drehbuch dienstbar: Wir reihten die Anekdoten ohne erkennbaren logischen Zusammenhang aneinander, wobei der Konflikt zwischen widersprüchlichen Szenen eine neue, andere Bedeutung schafft. Üblicherweise stehen Filmszenen in einem Ursache-Wirkung-Verhältnis. Bei uns entstand die Kontinuität der Szenen aus ihrem emotionalen Zusammenhalt: A, B oder C können nicht für sich allein stehen, aber zusammen entsteht aus ihnen D.

Eine offensichtliche Veränderung gegenüber dem Roman, welche aber auch mit der Erinnerung des Zuschauers arbeitet, ist die Parallelität einiger Szenen. Ich denke an die zwei Restaurantrechnungen, die auf unterschiedliche Weise bezahlt werden, aber auch an das zweimalige Begießen der Blumen im Refugium der beiden Liebenden.

Das machen Brach und ich sehr gern: etwas auszusäen und uns später anzuschauen, wie es wächst. Auf diese Weise kann man dem Zuschauer etwas mitteilen, ohne es ihm erklären zu müssen. In der ersten Szene bezahlt der Chinese die Rechnung, und das Mädchen reagiert darauf mit einer Haltung, wie sie später, in der zweiten Szene, die Mutter haben wird. Und die Szene mit der Mutter habe ich zuerst gedreht, damit Jane (March, die Hauptdarstellerin) sich an deren Verhalten orientieren konnte. Ich wollte, daß beide Szenen miteinander korrespondieren, denn durch das schäbige Verhalten der Brüder konnte ich auch etwas über das allgemeine Verhältnis zum Geld aussagen. Die Szenen mit den Blumen erfüllen eine etwas andere Funktion, denn mit ihrer Hilfe kann ich die Veränderung im Verhältnis des Mädchens und des Chinesen verdeutlichen. Deshalb habe ich auch die gleiche Einstellung gewählt, habe aber die Szene völlig anders ausgeleuchtet und dadurch eine viel melancholischere Stimmung geschaffen. Diese Art von symbolischen Handlungen funktioniert auch ohne Dialog. Denn bei der Adaption eines literarischen Werkes ist es für mich immer das Wichtigste, ein visuelles Äquivalent zu finden, das unabhängig von Worten ist.

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