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Pariser Banlieue wird braun

In der französischen Hauptstadt haben die Sozialisten bei den Regionalwahlen besonders viele Stimmen verloren/ Jetzt wird über einen Personalwechsel an der Regierungsspitze nachgedacht  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Nachdem die Franzosen bei den Regionalwahlen am vergangenen Sonntag die politische Landschaft umgekrempelt haben, blühen die Spekulationen. Durch die Gewinne der Öko- Parteien und der rechtsextremen Front National funktioniert das alte Rechts-Links-Muster nicht mehr. Nur in drei der 22 französischen Regionen gibt es klare Mehrheiten. Zur morgigen Wahl der übrigen Regionalpräsidenten sind daher ganz neue Parteienbündnisse nötig.

Mit einer Reaktion des Staatspräsidenten rechnen die Franzosen nach dem zweiten Durchgang der Kantonalwahlen am kommenden Sonntag. Mitterrands Strategen knobeln derzeit, welche Kur die Franzosen ein Jahr vor den Parlamentswahlen wieder zur sozialistischen Partei (PS) zurückholen könnte; am vergangenen Sonntag hatten nur noch 18,3Prozent der Wähler für die Regierungspartei gestimmt. Zwei Szenarien werden jetzt in Paris durchgespielt: Mitterrand könnte Premierministerin Cresson austauschen — EG- Kommissionspräsident Delors, Wirtschaftsminister Beregovoy und Kulturminister Lang werden als Nachfolger gehandelt. Oder aber Cresson darf mit einer neuen Kabinettsbesetzung weiterregieren, die sie aus den „Kräften des Fortschritts“ zusammenstellen will — gemeint sind die beiden erfolgreichen Öko-Parteien.

In der mit 10,6 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Region Ile-de-France haben sich die neuen Tendenzen besonders stark niedergeschlagen. Der „rote Gürtel“ um Paris war schon länger Legende. Neu ist jedoch, daß die Banlieue einen braunen Anstrich bekommt: Die Front National wurde hier zweitstärkste Kraft hinter dem konservativen Bündnis „Union pour la France“ (UPF). In der neuen Regionalversammlung stellt die FN 37 Abgeordnete, fünf mehr als die Sozialisten. Die Kommunisten erhalten 17 Sitze, die beiden Umweltparteien Génération Ecologie und Les Verts kommen auf 22 und 15 Mandate.

Die UPF kann sich ihres Sieges mit 85 Sitzen nicht freuen. Die Zersplitterung der Parteien erfordert ungewöhnliche Allianzen zur Wahl des Regionalpräsidenten am Freitag; auch das Regieren danach dürfte ein Eiertanz werden. Wie noch in vier weiteren Regionen könnte auch in der Ile-de-France ein Block aus PS, Kommunistischer Partei (PCF) und den beiden Umweltparteien den Konservativen die Präsidentschaft streitig machen. In mehreren Regionen erwägen die Parteien sogar, ob sie die Kandidatur eines Öko-Politikers unterstützen sollen.

Der Generalsekretär der neogaullistischen RPR, Alain Juppé, warf daher bereits das Handtuch und verzichtete auf seine Kandidatur. Als Präsident der wichtigsten Region Frankreichs wollte er aus dem Schatten von Parteichef Chirac heraustreten. „Das Verhältniswahlrecht macht die Bildung einer kohärenten und positiven Mehrheit sehr schwierig“, begründete der Spitzenpolitiker seinen Rücktritt.

Die Wahlen haben gezeigt, daß die französischen Wähler völlig aus den alten Mustern ausbrechen: Während die Öko-Parteien besonders viele Erstwähler anzogen, gelang der FN der Durchbruch bei Angestellten und insbesondere bei Arbeitern; die Unterstützung durch Bauern, Händler und Selbständige hingegen ließ etwas nach.

Die rechtsextreme Partei proletarisierte sich also, es gelang ihr, die sozial Unzufriedenen aufzufangen. Erste Analysen ergaben, daß rund elf Prozent der FN-Wähler früher links gewählt haben. Das erklärt ihre Erfolge in den tristen Pariser Vororten, den ehemaligen Hochburgen der Kommunisten. Ausschlaggebend für die Entscheidung vieler FN-Wähler waren zuallererst die radikalen Positionen der FN zur Einwanderung, als größte Sorge nannten sie die Arbeitslosigkeit.

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