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Dem EG-Binnenmarkt droht der Verkehrsinfarkt

Verkehrskommissar Karel van Miert schlägt Steuererhöhungen für LKWs vor/ Die heute in Brüssel tagenden Fachminister sind sich nicht einig  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

„Eine weitere Zunahme des Verkehrs“, weiß Karel van Miert, „das geht natürlich nicht.“ Der Kommissar ist zuständig für die Verkehrspolitik in der EG und als solcher verantwortlich für den reibungslosen Transport von Gütern und Personen im künftigen Binnenmarkt. Weil vor allem die grenzüberschreitende Mobilität nach 92 enorm zunehmen soll, sagen selbst seine Mitarbeiter einen Verkehrsinfarkt voraus, der den freien Handel lahmlegen könnte. Bis zum Jahr 2010 soll ihren Hochrechnungen zufolge die Zahl der Privatautos um 45 Prozent, der LKW-Verkehr um 42 Prozent und der Personenflugverkehr gar um 74 Prozent zunehmen. Aber, so der einzige Belgier im Kreis der 17 EG-Kommissare selbstsicher: „Der Ministerrat hat unter meiner Regie bereits eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die zeigen, daß die EG auf dem richtigen Kurs ist.“

Heute will van Miert den in Brüssel tagenden EG-Verkehrsministern vorschlagen, die LKW-Steuern nicht nur — wie bislang angestrebt — zu harmonisieren, sondern auch stufenweise anzuheben. Bereits Mitte Februar hatte der Verkehrskommissar diese Idee zusammen mit seinem für Umwelt zuständigen Kollegen Carlo Ripa di Meana in dem „Grünbuch für Umwelt und Verkehr“ konkretisiert. Wichtigste Forderung: Der Natur und Gesundheit zuliebe müsse der Straßenverkehr, insbesondere der LKW-Verkehr, langfristig verringert und auf alternative Transportmittel wie Eisenbahn und Binnenschiff umgelenkt werden. Dies wollen die beiden Kommissare nicht durch Verbote, sondern mit „marktkonformen Maßnahmen“ durchsetzen. Zur angestrebten „erheblichen“ Verteuerung des Straßenverkehrs soll eine CO2-Steuer eingeführt werden. Daneben sollen die Spediteure die vollen Kosten für die Straßen-, Umwelt- und Sicherheitsschäden übernehmen, die die LKWs verursachen.

Steuererhöhung

Um Binnenmarkt und Umwelt zu retten, werden die EG-Verkehrsminister aufgefordert, die LKW-Steuern nicht nur — wie jetzt angestrebt — zu harmonisieren, sondern auch stufenweise anzuheben. Einen Beschluß dazu erwartet van Miert jedoch vorerst nicht. Denn Steuerfragen müssen in der EG einstimmig verabschiedet werden. Bislang konnten sich die Zwölf noch nicht einmal auf eine Angleichung der LKW-Steuern einigen. Die Regierungen der Niedrigsteuerländer — dazu gehören alle EG-Länder außer Großbritannien und Deutschland — sind dagegen, solange die Harmonisierung auf höchstem Niveau stattfinden soll. Eine Angleichung auf niedrigerem Niveau hätte allerdings zur Folge, warnt van Miert, daß der LKW-Verkehr zumindest in den beiden Hochsteuerländern billiger und damit noch attraktiver würde.

Dies, so fürchtet Helmut Holzapfel, Verkehrsexperte im Düsseldorfer Verkehrsministerium, werde sowieso die unvermeidliche Folge des Binnenmarkts sein: „Die Spediteure rechnen mit Preissenkungen um 20 Prozent, was natürlich heißt, daß die Bahn noch weniger konkurrenzfähig wird.“

Daran werde auch die von van Miert propagierte Einführung des „Kapotage-Systems“ nichts ändern. Bislang ist es internationalen Speditionen nur in bestimmten Regionen erlaubt, auch in anderen Ländern als ihrem Heimatland Ladung aufzunehmen. Folge: Ein Drittel der LKWs fahren leer. Diese Regelung soll abgeschafft werden, um den Auslastungsgrad der LKWs zu erhöhen. Die Bundesregierung sperrt sich jedoch. Die Kapotage hätte sowieso einen gegenteiligen Effekt, so Holzapfel. Dadurch würde nämlich nur die Konkurrenz unter den Speditionen zunehmen, die sich mit Dumping- Preisen aus dem Geschäft zu drängen versuchten. Die Bahn hätte dabei keine Chance.

Ratloser Kommissar

Kurzfristig hält auch der Kommissar eine Verdrängung des Güterverkehrs auf der Schiene für möglich. Mittel- und langfristig sei deswegen eine Verteuerung des Straßengüterverkehrs unbedingt nötig. „Wenn es hier keinen Fortschritt gibt“, droht van Miert, „dann muß man wohl akzeptieren, daß was anderes gemacht wird.“ Was, scheint er selbst nicht so recht zu wissen. „Man könnte eine Vignette wie etwa in der Schweiz einführen, um den Straßenverkehr teurer zu machen.“ Alle Autobenutzer müssen dort eine Karte kaufen, um die Autobahnen benutzen zu dürfen.

Ähnliches versuchte die Bundesregierung, als sie 1989 eine Straßenbenutzungsgebühr für LKWs einführte. Dagegen erhob die EG-Kommission damals beim Europäischen Gerichtshof Einspruch. Ein Urteil ist noch nicht gefallen, allerdings scheinen die Hohen Richter dazu zu tendieren, van Miert Recht zu geben. Daß er mit seinem Einspruch einen mächtigen Verbündeten verprellt und so zu der Misere selbst beigetragen hat, will der Kommissar jedoch nicht einsehen. Die Initiative der Bundesregierung habe gegen EG- Recht verstoßen, sagt er, weil sie die deutschen Verkehrsunternehmer bevorzugt hätte.

Immerhin hat van Miert jetzt durchgesetzt, daß die EG in sein Steckenpferd, den kombinierten Verkehr (auf Schiene und Straße), vier Milliarden DM investiert. Die Zahl der von der Bahn gebuckelten Brummis sei zwar noch gering, aber ausbaufähig, propagiert van Miert. Bislang werden nur vier Prozent der Waren in der EG, der Schweiz und Österreich auf diesem Wege befördert. Sieht man vom Alpentransit ab, sind es sogar nur zwei Prozent, der Trend ist zudem seit letztem Jahr rückläufig. Dies sei nicht verwunderlich, behauptet der Brüsseler Vertreter der Internationalen Straßentransport-Union, Winfried Röckmann. Der kombinierte Verkehr könne nur wirklich zur Entlastung der Straße beitragen, wenn er nicht nur im Langstreckenbereich, sondern auch schon bei Entfernungen um die 300 Kilometer eingesetzt werde. Denn nur drei Prozent der gesamten Güter in der EG werden über lange Strecken befördert, während zwei Drittel der Güter, die auf der Straße bewegt werden, maximal 50 Kilometer zurücklegten.

TGV oder Trans-Rapid

Statt in den Ausbau des kombinierten Verkehrssystems zu investieren, kommen die EG-Milliarden jedoch den Hochgeschwindigkeitszügen zugute. Dies hält der Kommissar ganz und gar für falsch. „Im Gegenteil“, sagt er, „die Hochgeschwindigkeitsprojekte helfen bei der Modernisierung der bestehenden Eisenbahnlinien.“ Außerdem würden sie den Zuwachs an umweltschädlichem Flugverkehr abfedern. Deswegen ist er auch von dem deutschen Trans-Rapid-Projekt nicht sonderlich begeistert. „Man kann ja nicht alles gleichzeitig machen. Dafür fehlt das notwendige Geld.“ Weniger bestimmt äußert sich der Kommissar, wenn er auf das deutsche „Beschleunigungsgesetz“ angesprochen wird. Um den Ausbau des Straßennetzes in den neuen Bundesländern zu beschleunigen, wird damit die Bürgerbeteiligung an den Planungsverfahren reduziert. Für dieses Verfahren zeigt van Miert „durchaus Verständnis“. Deswegen überläßt er es auch seinem Kollegen Ripa di Meana, zu beurteilen, ob die Kommission dagegen Einspruch erheben soll. Der Umweltkommissar hat dies vor einigen Monaten angekündigt. Seitdem hüllt sich die Eurokratie in Schweigen.

Ein Widerspruch, der dem grundsätzlichen Konflikt zwischen Binnenmarkt und Umwelt entspricht? Das glaubt der Verkehrskommissar nicht. Denn „an sich ist der große Binnenmarkt ein sinnvolles wirtschaftliches Ziel. Aber wenn das Transportsystem nicht funktioniert, dann wird es auch wirtschaftliche Schwierigkeiten geben.“

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