Von grüner Harmonie in Baden-Württemberg

Eine unfeine Äußerung über Frauenpolitik bleibt im Raume stehen/ Im Wahlkampflokal nachts um halb eins: Wie die baden-württembergischen Grünen einen internen Skandal weggebügelt haben/ „Biggi, werd doch jetzt nicht zickig“  ■ Aus Stuttgart CC Malzahn

Das Szene-Restaurant „L'Aleph“ in der Stuttgarter Innenstadt sieht ganz anders aus als sonst. Die für gewöhnlich weiß getünchten Wände hat jemand mit kitschigen Fototapeten überklebt. Wohin man auch schaut, prangen einem Sonnenblumen und Alpenmotive entgegen. Auch die schicken Stühle und Tische sind verschwunden, statt dessen hat man eine Ladung Bierzelt-Möbel in dem großen Kellerraum verteilt.

Die Musikkapelle, die vorne auf der Bühne Gassenhauer zum besten gibt, nennt sich „Die Neckartaler“ und besteht aus einem halben Dutzend älterer Herren. Sie tragen alle die gleichen Hawaiihemden. Man ahnt, daß sie von der Bühne aus schon viel Elend mitansehen mußten.

Heute, am Samstag abend, spielen die Neckartaler für die Grünen in Baden-Württemberg. Wer am vergangenen Samstag die Wahlparty bei „L'Aleph“ besuchte, hat sehr schnell gemerkt: Die Grünen in Baden-Württemberg sind eine Partei, die sich dafür einsetzt, daß es weniger Elend und mehr Sonnenblumen gibt auf der Welt.

Am 5. April wird in Baden-Württemberg gewählt. Die Grünen möchten diesmal gerne ein zweistelliges Ergebnis einfahren, 1988 landeten sie bei 7,9 Prozentpunkten. In den vergangenen vier Jahren sind die Grünen hier oft gelobt worden, unter anderem vom amtierenden Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU). Er findet, daß die Grünen die interessanteste Oppositionspartei sind. So ähnlich hat sich auch sein Vorgänger, Lothar Späth, schon über die Öko-Partei geäußert.

Junge Männer in Hertie-Lederjacken

Natürlich wollten Späth und Teufel mit diesen Bermerkungen auch die Sozialdemokraten und die Liberalen ärgern. Aber wenn man sich bei „L'Aleph“ so umguckt: vorne die Neckartaler, links und rechts die Alpen und um einen herum lauter junge Männer, die aufregende Hertie-Lederjacken tragen — ja, das würde Erwin Teufel, dem katholischen Moralisten, durchaus gefallen.

Vor fünf Jahren sorgten die hiesigen Grünen bundesweit für Furore, als sie öffentlich darüber nachdachten, der CDU im Falle des Verlustes der absoluten Mehrheit ein Tolerierungsangebot zu machen. Dazu kam es aber nicht, Lothar Späth holte genügend Stimmen. Das schwarz- grüne Techtelmechtel von einst ist längst vergessen, die von den Grünen proklamierte Option heißt heute Rot- Grün oder Ampelkoalition.

Daß es zu einem der beiden Bündnisse kommt, glaubt aber niemand hier im Saal, auch nicht Fritz Kuhn, der grüne Spitzenkandidat. Man müsse aufpassen, daß man öffentlich nicht zu sehr mit den Sozis in Verbindung gebracht werde, verrät er. Denn die SPD in Baden-Württemberg schifft im Wahlkampf derart ab, daß selbst Christdemokraten schon Mitleid mit ihren Herausforderern haben. Nein, Kuhn holt die Stimmen für die Grünen und kämpft nicht für eine Farbenlehre.

Fritz Kuhn, 36, verheiratet, ein Kind, gilt als intellektueller Kopf der hiesigen Ökopaxe. Der Professor für sprachliche Kommunikation ist in Baden-Württemberg sehr bekannt. Großen Unterhaltungswert bekommen die Auftritte des 1,69 Meter großen Parteistrategen, wenn er seinen besten Freund mitbringt. Der ist 1,86 Meter groß und auch ein grüner Spitzenkandidat: Rezzo Schlauch, 100 Kilo schwer, bärtig, schwäbisch, trinkfest. Das Politgespann Kuhn und Schlauch hat die regionale Presse zu einem Ideenwettbewerb animiert, mit welchen Titeln man das Duo versehen könnte: Bud Spencer und Terence Hill, Pat und Patachon, zwei wie Pech und Schwefel, zwei gegen Tod und Teufel — nur Dick und Doof paßt nicht, weil der kleine Kuhn ziemlich schlau ist.

Nachdem Kuhn seine Pizza Verde— der extra für die Wahlparty angefertigten kulinarischen Innovation eines Koches namens Luciano — verspeist hat, betont er, daß die „Grünen hier anders sind“ als woanders. Viele Mitglieder kämen aus dem ländlichen Raum, hätten durchaus bürgerliche Vorstellungen vom Leben. Für die Agitation der schwäbischen Bauern ist aber nicht Kuhn, sondern der Pfarrerssohn Schlauch zuständig. Erst vor kurzem war er wieder im Einsatz und predigte in der katholischen Kirchengemeinde von Pfaffenweiler bei Freiburg vor einem ländlichen Publikum.

„Der Rezzo wurde von Journalisten gelinkt“

Schlauch ist populär, er zieht nicht nur Leute an, die der grünen Programmatik wohlgesonnen sind. Auf der Veranstaltung in Pfaffenweiler ging es unter anderem um die schlechten Schweinepreise. Im Anschluß an seinen Auftritt erklärte Schlauch einem Journalisten, daß „Frauenpolitik keine Sau interessiert“. Hintergrund dieser Bemerkung war ein schlecht besuchter Kongreß zum Thema 218, den die Grünen organisiert hatten.

Außerdem, so polterte Schlauch weiter, sei ihm nicht bekannt, daß grüne Frauen im Wahlkampf oft von Kreisverbänden zur Unterstützung angefordert würden. Bumm, Bumm, das saß. Man stelle sich vor: Der SPD-Fraktionschef Spöri erklärt auf einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg, „Gewerkschaftspolitik interessiert keine Sau“. Er könnte danach sein politisches Testament machen — nur würde das keiner seiner Parteifreunde mehr lesen wollen.

Bei „L'Aleph“ sieht man das gelassener. Die Bemerkung sei natürlich „schwachsinnig“, meint Fritz Kuhn, „unverzeihlich, blöd, einfach dumm“. „Aber“, meint Kuhn und rückt ein bißchen näher, „der Rezzo wurde von dem Journalisten gelinkt“. Aha. Hat der Rezzo Schlauch das etwa nicht gesagt? „Doch, aber...!“ Geschenkt.

Die Feministin Biggi Bender (35), ehemalige Fraktionschefin der Grünen und neben Kuhn Kandidatin der Grünen in Stuttgart, hätte genügend Gründe, Schlauch wegen seiner Äußerung zur Sau zu machen. Sie tut es nicht. „Ich bin natürlich sauer“, erklärt die Politikerin, die öffentlich bekennt: „Mein Mann ist eine Frau.“ Aber sie will „so kurz vor der Wahl“ keinen Aufstand proben, nicht das tun, was Schlauch getan hat, nämlich „Wahlkampf gegen die eigene Partei machen“. Auch Fritz Kuhn möchte vermeiden, daß die Presse in diesem langweiligen Wahlkampf das Thema „interne grüne Machtkämpfe“ entdecken könnte. Als er Biggi Bender im „L'Aleph“ begrüßt, erklärt er ihr: „Das, was der Rezzo da gesagt hat, war natürlich Scheiße!“ Als Birgit Bender zu schimpfen beginnt, mahnt Kuhn: „Liebe Biggi, werd doch jetzt bitte nicht zickig!“

Die Neckartaler haben ihre Instrumente beiseite gepackt und räumen die Bühne für eine Gruppe, „die wir wegen der jungen Leute“ (Kuhn) engagiert haben. Die Band heißt „Fetisch“ und spielt Hard Rock. Die Mitglieder dieser Band machen mit derselben Einstellung Musik, mit der jugendliche Schwaben in Berlin- Kreuzberg am 1. Mai die Scheiben kleiner Geschäfte einschmeißen. Die Leute, für die ihr Auftritt gedacht war, verlassen zunehmend den Saal. „Ja, leck mich doch am Ärschle, so ein Scheiß“, beschwert sich ein Jungwähler und zieht ab. Stimmung kommt erst wieder auf, als die Neckartaler wieder zurückkehren. Sie spielen ein wunderschönes Lied: Ramona, denk immer daran, daß nichts so endet, wie es begann.

Um vier Uhr morgens haben die meisten Gäste das „L'Aleph“ verlassen. Rund 20 Italiener sitzen in einer Ecke, verspeisen gutgelaunt ihre „Spaghetti da mezza notte“, das Essen, das man nachts kurz vor dem Abschied noch zu sich nimmt. Fritz Kuhn hat zu Hause längst seinen Babysitter abgelöst. Auch Biggi Bender ist gegangen, um am nächsten Tag fit zu sein — weil Frauenpolitik im Endspurt dieses Wahlkampfs eben doch eine Rolle spielt. Nur Rezzo Schlauch ist noch da, obwohl auch er früh raus muß. Rezzo Schlauch ist eigentlich ein unheimlich netter Kerl. „Bißchen blöd“ wäre das mit der Sau, die sich für Frauenpolitik nicht interessiert, wohl gewesen, gesteht er. Aber Biggi Bender hat er das bisher noch nicht gesagt.