Kommunalwahl: Schluß mit Tempelhofer Flugplatz
■ Serie: Berlin vor den Kommunalwahlen (Teil 10)/ Tempelhof: Die Nutzung des einst zu weltweitem Ruhm gelangten Tempelhofer Flughafens ist im Wahlkampf zum Zankapfel geworden
Tempelhof. Wenn man mit dem Flugzeug über Tempelhof kreist und herunterschaut, dann muß dieser Bezirk aussehen wie ein dicker Schlauch — zwölf Kilometer lang und fünf Kilometer breit. Oder wie eine Speiche des »Rades Berlin«, die am südlichen Ende an ehemaliges DDR-Gebiet grenzt, den heutigen Nachbarkreis Zossen, und am anderen Ende an die Stadtbezirke Kreuzberg und Schöneberg stößt. Viele Tempelhofer, und auch die angrenzenden Neuköllner und Kreuzberger, hoffen allerdings, daß bald niemand mehr einen Blick aus dieser Perspektive auf ihren Bezirk werfen kann.
Denn die Nutzung des einst zu weltweitem Ruhm gelangten Tempelhofer Flughafens ist umstritten. War das Überleben Berlins in den elf Blockademonaten in den Jahren 1948/49 noch von den »Rosinenbombern« der Alliierten abhängig, so wünscht sich die betroffene Bevölkerung heute den Tempelhofer Flugverkehr aus der Stadt. Die Schließung dieses Zankapfels ist denn auch Forderung aller Parteien im bevorstehenden Bezirkswahlkampf — nur mit unterschiedlicher Vehemenz.
Die Grünen waren die ersten, die sich bereits vor Jahren für die Schließung des Flughafens einsetzten. Sie wollen definitiv die baldmöglichste Verlegung des Flugverkehrs auf die Schiene. Die SPD fordert — wie die CDU auch — für die Übergangszeit, das Nachtflugverbot einzuhalten, lärmarme Maschinen einzusetzen und keine Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes zuzulassen. Doch haben die Sozialdemokraten bereits ein Konzept für die zukünftige Nutzung des Flughafengeländes entwickelt. Anders die CDU: »Realistisch betrachtet, gehen wir von einer Ausdehnung des Flugverkehrs aus«, so Bürgermeister Wolfgang Krüger (CDU). Wie in vielen anderen Bezirken steht das Verkehrsproblem im Zentrum des Wahlkampfes.
Jede Menge Verkehr und verstopfte Straßen
Die Öffnung der Grenze hat besonders den Randbezirken viel zusätzlichen Verkehr beschert, so auch Tempelhof. »Täglich sind die beiden Bundesstraßen 96 und 101 sowohl vom Durchgangs- als auch vom Wirtschaftsverkehr in unser Industriegebiet verstopft«, weiß Krüger. Aber die CDU will den »Verkehrsfluß auf Hauptstraßen verbessern und nicht behindern«. So soll zur Entlastung des Bereichs Marienfelder Allee (B96), Nahmitzer Damm, Hildburghauser Straße die Friedensfelser Straße über die Hildburghauser Straße direkt auf die B96 geführt werden, und zwar mit Hilfe eines Straßenneubaus. Ferner will die CDU eine östliche Umfahrungsmöglichkeit für Lichtenrade, die Schließung der Autobahnlücke am Sachsendamm und die Verlängerung der Stadtautobahn nach Neukölln.
Während die Grünen gänzlich gegen einen Ausbau von Straßen dafür für Tempo 30 und eine Straßenbahn plädieren, versucht sich die SPD mit einem Kompromiß. Stellvertretender Bürgermeister und Krüger-Kontrahent Manfred Christian (SPD) setzt einerseits auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, wodurch der Individualverkehr zurückgedrängt werden soll. Auch wird die vom Land Brandenburg geplante Verbreiterung der beiden Bundesstraßen auf vier Spuren abgelehnt: »Statt dessen schlagen wir vor, die B101 bei Großbeeren zweispurig in Richtung Osdorfer Straße, Marienfelder Allee und eine neu zu bauende Straße in Richtung Schichauweg aufzuteilen«, so Christian.
Das zweite drängende Problem dieses ansonsten wenig krisenerschütterten Wohnbezirks liegt in der mangelnden Infrastruktur. Scharf wird die bisherige Politik der CDU, die Baukonjunktur zu fördern, ohne auf den Ausbau von Schulen und Kitas zu achten, von der SPD kritisiert. Hier sei eine Entwicklung verschlafen worden, die mit der immensen Bevölkerungszunahme Tempelhofs abzusehen gewesen sei. Obwohl der Bezirk nicht gerade über ein reichhaltiges Angebot an Nachtleben verfügt, ist Tempelhof ein begehrtes Zuzugsgebiet. Dem wurde aber nicht Rechnung getragen. Daher müssen in den nächsten Jahren nicht nur dringend die fehlenden 3.000 Kita-Plätze geschaffen werden, sondern auch drei neue Grundschulen und ein Gymnasium gebaut werden. Bisher war man auf Schulen anderer Bezirke und auf auf sieben »mobile Teile« ausgewichen, die insgesamt 48 Klassenräume schaffen.
Diese Situation hat mit dazu geführt, daß es an Tempelhofer Schulen zu gewaltvollen Ausschreitungen von Jugendlichen kam. Für Bürgermeister Krüger eher ein »gesellschaftliches Problem«. Für die Grünen wie für die SPD ein Grund, mehr Gelder für Jugendeinrichtungen zu fordern, sowie die teilweise Öffnung der vorhandenen Freizeitheime am Wochenende. In der letzten BVV wurden entsprechende Anträge von der CDU mit den beiden Stimmen der Republikaner abgelehnt.
Doch zu Koalitionswünschen reicht das gemeinsame Stimmverhalten nicht aus. In der CDU wird mit einer Wiederwahl der Republikaner, die 1989 in Marienfelde auf 18 Prozent kamen, gar nicht gerechnet. Gerechnet aber wird vielleicht am Wahltag, wenn es darum geht, wer den Bürgermeister stellen wird. Zum ersten Mal wird der in den Westbezirken nämlich »politisch gewählt«. Das heißt, daß der Bürgermeister aus der stärksten Koalition kommt — und nicht wie bisher aus der stärksten Fraktion.
Bezweifelt wird ein spektakuläres Wahlergebnis vom grünen Fraktionsvorsitzenden Boris Semrow. »Die Tempelhofer sind zufrieden, die stört nicht viel. Das höre ich immer wieder gerade von älteren Leuten.« Und Detlev Schmitt, Stadtrat für Sozialwesen, findet: »Wir haben hier halt nicht die großen sozialen Probleme, meine Hauptarbeit liegt in der Altenbetreuung.« Sonja Striegl
Die Serie wird am 31. März mit dem Bezirk Tiergarten fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen