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NOTRUFSÄULEN FÜR POLITIKER Von Micha Schulze

Noch können sich unsere Politiker nicht einigen, ob sie unter ihrem Schlips kleine Trillerpfeifen tragen oder die Polizei um Notrufsäulen in allen Rathäusern und Parlamenten bitten sollen. Um bei Überfällen in dunklen Regierungsfluren gewappnet zu sein, plädieren Grüne und Bündnis90 eher für das Selbsthilfe-Modell, das darin liegt, sich Hilfe von Kollegen herbeizutrillern. Dagegen bevorzugen die Verehrer des staatlichen Gewaltmonopols in den noch etablierteren Parteien den direkten Draht zur Polizei. Nicht mehrheitsfähig scheint der PDS-Vorschlag, fraktionsübergreifende Schutztruppen mit Baseballschlägern aus den neuen Bundesländern vor dem Bonner Wasserwerk aufzustellen.

Doch der Ruf der Politiker nach mehr Schutz vor Gewalttaten empörter Wähler ist berechtigt. Nach Beobachtungen der Kriminalpolizei haben Übergriffe gegen Abgeordnete und Regierungsmitglieder in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Die Opfer sind in allen Parteien zu finden. Für bundesweite Schlagzeilen sorgten etwa die flammende Abwicklung des VW-Busses des früheren Berliner AL-Parlamentariers Volker Härtig, der scharfe Blumenstrauß für Saarlands SPD-Enkel Oskar Lafontaine oder der Hallenser Eierwurf auf Bundeskanzler Helmut Kohl. Schlimmstes Opfer der Gewaltwelle ist zweifellos Berlins Ex- Regierungschef Walter Momper. Schon dreimal rüttelten in der Vergangenheit schwarzgekleidete Jungwähler an seinem roten Schal, weil er ihre Vorschläge zur Rekonstruktion der Mainzer Straße einfach unter den Runden Tisch fallen ließ.

Über die Ursachen der steigenden Politikerfeindlichkeit sind sich die Gewaltforscher noch uneins. Einige sehen in der Bundesrepublik eine regelrechte „Politikerflut“, der umgehend mit der Verkleinerung von Parlamenten und Kabinetten begegnet werden müsse. Andere Wissenschaftler verweisen darauf, daß es der Minderheit der Politiker schwerfalle, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Schon vom äußeren Erscheinungsbild würden sich die mit Aktenkoffer und Funktelefon ausgestatteten Mandatsträger vom Volke unterscheiden. In Verbindung mit Sprachbarrieren aufgrund monotoner, phrasenhafter Redeweise könne dies zu Vorurteilen führen.

Unterdessen kann die Alternativszene vermutlich von der Gewaltwelle profitieren. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Gewaltbereich winken ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von Frauen-Notruftelefonen, Trainern von Selbstverteidigungskursen für Schwule und Lesben und fleißigen Berufs-Mahnwächtern von SOS Rassismus plötzlich gutbezahlte Planstellen im Bundeskanzleramt. Mit der Begründung, daß Rassismus, Sexismus und Politikerphobie eng miteinander verknüpft seien, wird innerhalb der Grünen bereits die Forderung nach einem eigenständigen Antigewalt- Ministerium diskutiert.

Doch die Vorurteile gegen Politiker liegen tiefer als viele glauben. Welche Maßnahmen auch immer eingeleitet werden, sofort werden sie keinesfalls zu spürbaren Erfolgen führen. Denn das alte „Sündenbock“-Argument, das immer wieder gegen Minderheiten vorgebracht wird, läßt sich bei unseren Abgeordneten und Ministern gar nicht so einfach vom Tisch wischen. Im Gegensatz zu Immigranten nehmen doch die Wirtschaftspolitiker der Bonner Regierungsparteien den deutschen und ausländischen Bürgern tatsächlich ihre Arbeitsplätze weg.

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