: Der Osthandel ist auf Talfahrt
■ Ostausschuß: Exporte in ehemalige RGW-Staaten gingen 1991 um 29Prozent zurück/ Die Industrie in den neuen Bundesländern ist am stärksten betroffen/ Treuhand richtet Beratungsgesellschaft ein
Köln/Berlin (ap/dpa) — Der deutsche Osthandel ist im vergangenen Jahr drastisch zurückgegangen. Wie der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft gestern in Köln mitteilte, sanken die Exporte dorthin um fast 29Prozent auf 37,9 Milliarden Mark. Die Importe aus Osteuropa schrumpften hingegen um zehn Prozent auf 32,9 Milliarden Mark. Am schlimmsten traf es die Exporte aus Ostdeutschland: Sie seien mit einem Rückgang von 60Prozent „regelrecht eingebrochen“.
Wie es weiter hieß, ist der Anteil der Ausfuhren nach Osteuropa am gesamten deutschen Export von 7,8 auf 5,6Prozent, der Importanteil von 6,5 auf 5,2Prozent zurückgegangen. Der Handel mit der Sowjetunion im letzten Jahr ihres Bestehens sei ebenfalls stark rückläufig gewesen, während sich bei den Geschäften mit Polen, der CSFR und Ungarn Ansätze einer Wiederbelebung hätten erkennen lassen.
Im einzelnen fiel die deutsche Ausfuhr in die ehemalige UdSSR um über 35Prozent auf 18,2 Milliarden Mark zurück. Nach Einschätzung des Ostausschusses ist dieser Rückgang auf die Auflösung der UdSSR, die restriktive Importpolitik der letzten sowjetischen Regierung sowie auf die rechtlichen und wirtschaftspolitischen Unsicherheiten zurückzuführen. Die deutschen Importe aus der ehemaligen Sowjetunion nahmen um 20Prozent auf 14,6 Milliarden Mark ab. Für das laufende Jahr sei ein weiterer Rückgang zu erwarten.
Der Ostausschuß betonte, nur teilweise besser sehe es mit den Handelsbeziehungen zu den Staaten Ostmitteleuropas aus. Polen habe 1991 seine Exporte nach Deutschland um gut vier Prozent auf 7,25 Milliarden Mark steigern können. Die polnischen Importe aus Deutschland hätten um elf Prozent auf 8,5 Milliarden Mark zugenommen. Zuwächse verzeichnete auch der deutsche Import aus der CSFR, und zwar um 15Prozent auf 5,1 Milliarden Mark. Die deutschen Ausfuhren in die CSFR veringerten sich dagegen um über 23Prozent auf rund fünf Milliarden Mark. Auch im Warenverkehr mit Ungarn zeigte sich dieser negative Trend: Die deutsche Ausfuhr ging um mehr als 30Prozent auf 4,2 Milliarden Mark zurück. Die deutschen Einfuhren aus Ungarn verringerten sich um fast fünf Prozent auf 4,3 Milliarden Mark.
Nach Auffassung des Ost-Ausschusses erscheinen die politischen Voraussetzungen für eine weitere Stabilisierung des wirtschaftlichen Reformprozesses in der CSFR und in Ungarn relativ günstig. Demgegenüber würden die Voraussetzungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in Südosteuropa weniger optimistisch beurteilt. Fehlende politische Stabilität und unklare wirtschaftspolitische Entscheidungen verhinderten hier ein stärkeres Engagement ausländischer Kapitalgeber.
Treuhand will Osteuropa beim Aufbau beraten
Um Osteuropa beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen zu helfen, will die Treuhand eine Osteuropa-Beratungsgesellschaft einrichten. Dies kündigte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Joachim Grünewald, gestern auf einer gemeinsamen Tagung der Treuhandanstalt und des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft zu Fragen der Privatisierung in Osteuropa an. Die Gesellschaft solle Ansprechstelle und Steuerungseinheit für die osteuropäischen Länder sein.
Um Rückschläge in Osteuropa zu bekämpfen, dürfe die Hilfe nicht verzögert werden, betonte Grünewald. Die Bundesregierung sei dabei, erste spontane Unterstützungsinitiativen und Beratungsangebote zu bündeln und noch effektiver zu gestalten. Notwendig sei, daß die westlichen Länder erfahrene Verwaltungskräfte für Osteuropa zur Verfügung stellen. Die Länder selbst müßten Schritte zu einer staatlichen Finanzreform, Errichtung einer stabilitätsorientierten Geldverfassung und Abbau staatlicher Subventionen und Lenkungsaufgaben einleiten.
Treuhandpräsidentin Birgit Breuel sagte, die Weitergabe von Erfahrungen erfolge nicht im Sinne von Besserwisserei oder eines blinden Wetteiferns um das bessere Privatisierungskonzept. Als Empfehlung meinte sie, die osteuropäischen Länder sollten einfache, schlichte und unternehmensrechtliche Regelungen finden, die den Übergang in Neuland erleichtern. Es dürfe weder das Privatisierungstempo behindert noch das Spektrum der Privatisierungsmöglichkeiten eingeengt werden. Die Treuhand sei keine „Patentrezeptur“, aber einige ihrer Indikationen könnten für die Privatisierung in Osteuropa nützlich sein.
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