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Freispruch für Dresdner Todesschützen

Gezielter Schuß auf Neonazi sei in existentieller Notlage gefallen/ Revision angekündigt  ■ Aus Dresden Detlef Krell

So nahe waren sich Rechtsradikale, Multikulturelle und Rotlichtszene in Dresden lange nicht mehr gekommen. Eine Stunde vor Urteilsverkündung hatten sich gestern etwa 50 geistige Erben des am 31. Mai vergangenen Jahres erschossenen Dresdner Neonazi-Führers Rainer Sonntag und viele FreundInnen aus dem Kreise der beiden Angeklagten Nikolas Simeonidis und Ronny Matz eingefunden. Als der Vorsitzende Richter Matthias Wetz dann Freisprüche für die beiden Angeklagten verkündete, nahmen das die zahlreichen rechten Zuhörer zunächst schweigend hin. Wetz rief die Vorgeschichte jener blutigen Tat in Erinnerung, der damals auf offener Straße der 36jährige Rainer Sonntag zum Opfer fiel. In Dresden waren „Glücksritter“ dabei, Bordelle zu gründen. Der Dresdner Rainer Sonntag, nach einer „unter ungeklärten Umständen“ erfolgten Ausreise in den Westen zum Kühnen-Vertrauten aufgestiegen und nach seiner Rückkehr in Dresden um den Aufbau schlagkräftiger Trupps der Ultrarechten bemüht, war erfolgreich dabei, den „undifferenzierten Fremdenhaß“ in der Bevölkerung und dem Kompromiß vieler Leute gegen die „Liberalisierung des Sex-Gewerbes“ in Aktionen umzusetzen. Am 29. Mai gab er seinem Gefolge den Auftrag, den Sex-Shop „plattzumachen“. Nach Auffassung des Gerichts beinhaltete diese Formulierung die Übereinkunft, Gewalt sowohl gegen Sachen als auch gegen Menschen anzuwenden.

Zwei Rechtsradikale versuchten noch am Vormittag, bei den Inhabern des Shops Schutzgeld zu erpressen. Diese lehnten ab. Darauf begannen in dem Laden Vorbereitungen für die Verteidigung. Baseballschläger und Reizgas lagen bereit; Zuhälter Simeonidis wußte seine jüngst erworbene Schrotflinte im Auto. Auf die Benachrichtigung der Polizei verzichtete der Inhaber Hanitzsch bewußt, er wollte selbstbewußt dem Angriff entgegentreten. Damit, so der Richter, habe die Rotlichtszene die Situation verkannt.

Es war bald Mitternacht, Sonntag hatte den für 22 Uhr geplanten Überfall verschoben, als sich Matz und Simeonidis entschlossen, bei den Rechten vorzufahren und ihnen zu erklären, daß sie keine Chance hätten. Simeonidis stieg mit der Waffe in der Hand aus dem Auto, lud hörbar durch, darauf flohen die jungen Leute. Nur Sonntag blieb, er stieg ebenfalls aus dem Auto, ging auf Simeonidis zu und herrschte ihn an, er solle doch schießen. Simeonidis wich zum Auto aus, Matz sprühte Gas, und als Sonntag sich dennoch weiter näherte, drückte Simeonidis ab. Die Waffe hatte er auf Sonntags Kopf gerichtet.

Das Gericht berief sich auf ein psychiatrisches Gutachten, das Simeonidis eine gesteigerte Angstbereitschaft und die „Neigung zu inadäquaten Reaktionen“ bei unübersichtlichen, bedrohlichen Abläufen bescheinigte. Simeonidis wähnte sich in „existentieller Not“. Diese Angst sei, so die Auffassung des Gerichts, nicht unbegründet gewesen. Die von der Staatsanwaltschaft dargestellte Totschlags-Version war für das Gericht nicht haltbar, da beide Angeklagte deutlich versucht hatten, der als bedrohlich empfundenen Situation auszuweichen. Als das nicht mehr möglich schien, hatte Simeonidis zwar die Notwehrgrenzen überschritten und nicht etwa in die Beine, sondern sofort in den Kopf geschossen. Aber das Gericht hielt ihm nach Paragraph 33b Verwirrung und Angst zugute.

Doch auch die These der Verteidigung hatte vor den Zeugenaussagen keinen Bestand. Nicht aus Angst, sondern um die Fronten zu klären, hätten die Zuhälter das Bordell verlassen. Die Polizei, bei aller damals eingeschränkten Handlungsfähigkeit, wäre in der Lage gewesen, einen Überfall auf das Bordell zu verhindern. Den Gebrauch eines Gewehres befand das Gericht als nicht rechtswidrig. Wäre es zu einem Überfall der bewaffneten Rechten gekommen, hätten sich die Bedrohten auch mit einem Gewehr wehren können. Also war auch die Drohung mit der Waffe in diesem Zusammenhang billig. Das Gericht stellte klar, daß die Sonntag-Truppe damals dabei war, den Tatbestand eines Landfriedensbruches im schweren Falle zu erfüllen.

Nach der Urteilsbegründung machten die Rechten auf der Straße ihrer Wut Luft. Als „Erlaubnis, öffentlich Waffen zu führen“, interpretierte einer den Richterspruch und bedauerte, „daß die Rechten in Deutschland so zersplittert sind“. In diesem Bedauern gaben ihm auch Prozeßbeobachter der älteren Generation recht.

Die Staatsanwaltschaft, die für Simeonidis eine viereinhalbjährige Haftstrafe wegen Totschlags und für seinen Begleiter Matz eine zweijährige Bewährungsstrafe wegen Beihilfe gefordert hatte, kündigte Revision gegen das Urteil an.

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